Schwache Antwort auf starke Frauen

Die Zahl der staatlichen Moralprediger*innen, die in den iranischen Großstädten die islamische Bekleidung von Frauen begutachten, hat zugenommen. Will das Regime damit das ungehorsame Volk, das täglich demonstriert, bändigen? Oder will es zeigen, dass die Obrigkeit fest im Sattel sitzt und die Bevölkerung bändigen kann? Ein Kommentar von Nasrin Bassiri.

Newsha Modabber spricht direkt in die Kamera: „Nun möchte ich die Maske fallen lassen und so sein, wie ich selbst sein will!“ Sie lässt das große Tuch, das ihr Haar verhüllt hat, heruntergleiten und sagt: „Ich entscheide mich für die Freiheit.“ Die Kamera folgt dem Tuch Richtung Boden, zeigt dabei das tief ausgeschnittene und bauchfreie T-Shirt Modabbers, ihre blaue Jeans und dann das Tuch, das nun zu ihren Füßen liegt.

Die 37-jährige Iranerin ist Grafikerin und Schauspielerin. Ihre Kariere begann vor sieben Jahren mit einer TV-Serie, die ihr Ruhm bescherte. Später spielte sie in einigen beachtenswerten Kinofilmen mit.

Zehntausende Vorbilder

Als eine Frau, die öffentlich ihr Kopftuch ablegt, hat sie Zehntausende Vorbilder: junge Frauen, die auf einer Hauptstraße in Teheran auf ein Podest stiegen und ihre weißen Kopftücher, an einen Stock gebunden, schwenkten. Seltener haben sich auch ältere Frauen an der Aktion beteiligt, sich mithilfe eines Gehstocks mühsam dem Podest genähert und gewagt, heraufzusteigen, um ihr Kopftuch an den Stock zu binden und es zu schwenken. Und sie wurden dabei gefilmt.

Auch Hunderte Frauen aus der Filmbranche, darunter bekannte Schauspielerinnen und Superstars, haben in der letzten Zeit gegen sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen durch Männer in ihrer Branche protestiert. Viele berühmte Schauspielerinnen, darunter etwa Golshifteh Farahani, die unter anderem an Seite von Leonardo DiCaprio in dem Hollywoodfilm „Body of Lies“ spielte, oder Mahnaz Afshar, die den Protest gegen den Schleierzwang unterstützte und sich gegen die Kinderehe aussprach, haben den Iran verlassen. Sie alle haben sich auch gegen den Schleierzwang und die Moralprediger*innen gewehrt, indem sie sich für ein Leben im Ausland, fern der Zwänge entschieden haben und sich als Vorbilder oder verbal an die Seite der Frauen gestellt haben, die gegen die islamischen Kleidervorschriften protestiertet haben und festgenommen wurden.

Vida Movahed löste mit ihrer Aktion gegen das Kopftuch die Kampagne "Die Mädchen der Revolutionsstraße" aus
Vida Movahed löste mit ihrer Aktion gegen das Kopftuch die Kampagne „Die Mädchen der Revolutionsstraße“ aus

Doch worum geht es wirklich?

Maßlose Preissteigerungen, Rezession, Unterschlagungen von Milliardenbeträgen, Arbeitslosigkeit, Hunger und Unmut in der Bevölkerung, Wasserknappheit, Umweltkatastrophen – und das einzige Gut, das nichts kostet, die Luft, ist so stark verunreinigt, dass man weder tief atmen und noch klar sehen kann. Die Sanktionen gegen den Iran wirken nach: Fabriken sind beinahe pleite, Löhne werden nicht bezahlt, Berufsverbände rufen zu Protesten und Streik auf. Nicht nur in den Großstädten wird täglich demonstriert. Politiker*innen sind korrupt, neu gebaute Hochhäuser stürzen ein, weil die Besitzer an Material sparen, nichts mehr ist in Ordnung, die Unzufriedenheit wächst. Alle, die eine Möglichkeit dazu haben, wollen das Land verlassen.

Wenn die so genannten „Belehrungsstäbe“, weibliche Wächterinnen der im Iran für Frauen in der Öffentlichkeit geltenden Vorschriften, überall Frauen belehren und festnehmen, geht es nicht um die islamische Kleiderordnung: Es geht um Gehorsam und gegen eine nicht gehorsame Bevölkerung, es geht um Machtpräsenz auf der Straße. Wo nichts mehr gerettet werden kann, soll die Obrigkeit sich wenigstens in dieser Nische durchsetzen. Damit Jede und Jeder sehen kann, dass die islamische Macht die Oberhand hat.

Mahnaz Afshar
Mahnaz Afshar

Mehrjährige Haftstrafen im Iran

So erhält Modabbers Protest eine andere Bedeutung. Fragwürdig ist jedoch, wenn sie sagt: „Ich entscheide mich nun für die Freiheit!“ Denn kehrt man diesen Satz um, bedeutet er, dass Frauen, die ihr Kopftuch nicht ablegen, sich (noch) nicht für die Freiheit entschieden haben – was nicht den Tatsachen entspricht. Newsha Modabber hält sich in der Türkei auf. Frauen im Iran müssen für die Entscheidung, ihr Kopftuch abzulegen, teuer bezahlen: Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen. Auch die Anwältin Nasrin Sotoudeh, die eine von ihnen vertreten wollte, bekam dafür eine lange Haftstrafe.

Und schließlich haben nicht alle der 40 Millionen Frauen im Iran die Möglichkeit, das Land zu verlassen: Sie haben vielleicht keine Ausbildung, um sich im Ausland über Wasser zu halten, keine Mittel, um illegal auszureisen, keine Einwilligung ihrer Ehemänner in die Ausreise, als Geschiedene keine Chancen, ihre Kinder mitzunehmen oder je wiederzusehen.

Und auch, wenn dies alles nicht wäre: Ist es eine Lösung, wenn die Bevölkerung eines Landes beinahe komplett auswandert?♦

Nasrin Bassiri

© Iran Journal

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