Etappensieg der Frauen

40 Jahre lang galten Frauen im Iran als Barometer: Man konnte an ihrer Kleidung und ihrem Make up erkennen, wie frei sich die Menschen dort fühlten und wie fest die Machthaber im Sattel saßen. Die Regierenden und ihre Sittenwächter*nnen haben so ziemlich alles probiert, um Kleidung und Verhalten von Frauen zu regulieren: Haftstrafen von bis zu 20 Jahren für das Ablegen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit, 38 Jahre Haft gar für die Anwältin Nasrin Sotoudeh, die öffentlich gegen den Schleierzwang protestierende Frauen verteidigte. Nun sind sie offensichtlich gescheitert.
Von Nasrin Bassiri
„Ich schwöre bei Gott, dass es uns keinen Zoll weiter bringt, der Schleierproblematik mit den Instrumenten der Justiz zu begegnen.“ Diesen Satz sagte der oberste Staatsanwalt des Iran, der Geistliche Mohammad Jafar Montazeri, bei einem Treffen der gelehrten Elite der islamischen Hochschulen des Iran vor zwei Jahren.
Viele junge Frauen, die sich nicht wie vorgeschrieben islamisch kleideten und ihr Haar bedeckten, kämen, so Montazeri, aus Familien, die ihren Kindern dies nicht beigebracht hätten. Sie trügen Hijab nicht streng nach den Islamischen Regeln, weil sie durch die Erziehung auch eine Lockere Hijab in Ordnung finden. Einige, die ihre Haare nicht vorschriftsmäßig bedeckten, glaubten gar nicht an den Islam, sie seien Laizisten oder hätten eine andere Religion. Nur wenige von ihnen wollten damit die islamischen Werte absichtlich herausfordern, so der oberste Staatsanwalt, und weiter: Wenn die Ordnungskräfte alle Frauen, die keine islamische Kleidung tragen, verhaften würden, würde das zu einem Gesichtsverlust des Islam führen und der islamischen Ordnung schaden. „Schuld daran, dass die Frauen heute keine ordentliche Kopfbedeckung mehr tragen, sind die Schulen, die Geistlichkeit, die Hochschulen, wir alle.“
Hossein Rahimi, Oberbefehlshaber der Teheraner Polizei, hat bereits Ende 2017 verkündet, dass Frauen, die sich nicht islamisch kleideten, ab sofort nicht mehr vor Gericht gestellt, sondern angehalten würden, an Schulungen teilzunehmen, um „sich zu bessern“. Tasnim zitierte Rahimi weiter: „Die Ordnungskräfte werden generell mehr soziale Maßnahmen ergreifen, um das Verhalten von Bürgern zu regulieren. Wenn wir Gerichte einschalten, wird kurzfristig eine Person verurteilt. Aber wir versuchen, Verständigung zu erzielen, die nachhaltiger ist als eine einzelne Verurteilung.“ Wer aus Fahrlässigkeit der Würde und dem Ansehen des Islam schade, werde künftig nicht mehr festgenommen und nicht mehr vor Gericht gestellt. Für entsprechende Schulungen soll es laut Rahimi allein in Teheran 100 Beratungszentren der Polizei geben.
Warnung per SMS
Immer mehr iranische Frauen legen ihre Kopftücher ab, wo sie nur können. In bestimmten Stadtvierteln, in Restaurants, in Erholungsgebieten, beim Wandern oder einfach so auf der Straße. Viele tragen einen Schal um die Schultern, damit sie gegenüber plötzlich auftauchenden Sittenwächter*innen und Ordnungskräften erklären können, ihr Kopftuch sei eben heruntergerutscht.
Auseinandersetzung einer Moralhüterin mit jungen Frauen in Teheran:
https://youtu.be/vOlbMiqUkR0
Schon seit einigen Jahren nehmen viele Frauen in ihren Autos die Kopftücher ab. Seit einiger Zeit verschicken Ordnungskräfte oder Sittenwächter*innen deshalb Warnungs-SMS an die jeweiligen Fahrzeughalter. Sie lauten: „Guten Tag, Halter*in des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen … Die Fahrerin bzw. Mitfahrerin hat in Ihrem Fahrzeug die Gesetzwidrigkeit begangen, das Kopftuch abzulegen. Um die Wiederholung der Tat zu verhindern, warnen wir Sie hiermit. Sicherheit und Sittenpolizei der NAJA.“ NAJA ist die Abkürzung für „Ordnungskräfte der islamischen Republik“. Die Adressatin der SMS muss binnen 72 Stunden die Sicherheitspolizei für Moral ihres Bezirkes aufsuchen.
Nicht nur in Privatfahrzeugen legen die Frauen furchtlos ihre Kopftücher ab. Es wird berichtet, dass auch in den inländischen Touristenbussen zu den Sehenswürdigkeiten des Landes Vorhänge zugezogen werden und laute Musik gespielt wird. Der Bus wird zur Partyzone, Frauen legen Kopftücher und Mäntel ab und tanzen in ärmellosen Tops. Männer begleiten sie, Kinder klatschen, Ältere schauen zu oder machen ein Nickerchen, junge Leute trinken alkoholhaltige Getränke, erzählen Witze, lachen und amüsieren sich. Fühlten sich dabei nicht alle Beteiligten verstanden und sicher, würden sie nicht so gelassen gegen die strengen Regeln verstoßen. Doch offenbar fürchten weder die Fahrer, ihre Stellen zu verlieren, noch fürchten Reiseveranstalter oder Publikum Geldstrafen oder Peitschenhiebe.
Ohne Herzklopfen und Stress
Fortsetzung auf Seite 2