Macht und Ohnmacht der Frauen im Iran – Teil 1

Der Islam und die iranischen Frauen – das ist eine unvollendete Geschichte voller Brüche, Veränderungen und Gegensätze. Es ist die Geschichte der Einflussnahme des islamischen Rechts und seiner Auslegungen sowie des Pendelns zwischen Tradition und Moderne – und der Interpretationen dieser Begriffe.

Von Nasrin Bassiri

Schon in vorislamischen Zeiten spielten Frauen in der Geschichte des Iran eine bedeutende Rolle: Zu Lebzeiten des Propheten Mohammed – er starb 632 n. Chr. – herrschte im heutigen Iran die Sassaniden-Königin Pourandocht. Nach ihr übernahm ihre Schwester Azarmidocht die Macht.

300 Jahre später lebte in Khorasan die erste persischsprachige Dichterin Rabia Balkhi (914 – 943). Zu dieser Zeit hatte sich der Einfluss des Islams noch nicht verfestigt. Rabia wird von namhaften Dichtern ihrer Zeit als vielseitig talentierte Frau und Schönheit beschrieben. So schwärmte Scheikh Attar von Neyshabour: „Rabia schreibt wundervolle Gedichte, sie ist eine ausgezeichnete Malerin, und im Fechten und Reiten ist sie unübertroffen.“ Roudaki bewunderte neben ihrer Poesie ihren Mut: „Rabia hat in der Schlacht zahlreiche Feinde besiegt und sogar ihren verletzten Bewunderer auf ihr Pferd gezogen und ihn aus dem Feld gerettet.“ Von Rabia ist kein Gedichtband überliefert, zahlreiche ihrer Gedichte sind aber in den Schriften der genannten Bewunderer zu lesen. Rabia Balkhi lebte 30 Jahre lang.

Starke Frauen in wichtigen Rollen lassen sich auch im „Königsbuch“, dem epischen Meisterwerk von Abolghasem Firdausi finden. Der Dichter beschreibt sie als mutige Kriegerinnen, die Kettenpanzer anlegen und in die Schlacht ziehen, um Land oder Familie zu verteidigen. Sie verfolgen politische Interessen, sind Königinnen – nicht durch ihre Heirat mit einem König, sondern qua eigener Herrschaft. Ferdowsi steht nicht im Verdacht, aus der Sicht eines sensiblen Frauenverstehers oder charmanten Schmeichlers zu erzählen: Das bezeugen die frauenfeindlichen Gedichte, die ebenfalls von ihm erhalten sind. Seine Beschreibungen geben schlicht die Positionen wieder, die Frauen vor der Verfestigung des Islam im Iran innehatten.

Der Sprung ins 20. Jahrhundert zeigt im Kontrast die jahrhundertelange Wirkgewalt des Islam auf das Alltagsleben iranischer Frauen.

Bibi Khanom Astarabadi, Gründerin der ersten Mädchenschule des Iran
Bibi Khanom Astarabadi, Gründerin der ersten Mädchenschule des Iran

Erste Mädchenschule 1903: ein Tabu

Doushisegan-Schule“ steht über dem Eingang zu Bibi Khanom Astarabadis Privathaus: „Mädchenschule“. Wir schreiben das Jahr 1903, die Schule ist ein Novum, und die Fanatiker sind entsetzt über Bibis Initiative. Ihre Tochter Khadijeh Vaziri erinnert sich: „Männer haben sich vor unserer Schule versammelt. Einer rief: ‚Man kann um ein Land nur noch weinen, das so heruntergekommen ist, dass dort eine Mädchenschule errichtet wird!‘ Und die Anwesenden weinten wirklich. Dann wurde ein Hetzpamphlet gegen meine Mutter auf der Straße verkauft. Wenige Tage nach der Eröffnung stürmte der Mob die Schule und räumte das ganze Mobiliar aus.“

Doch Bibi Khanom gab nicht auf. Als Kind einer gebildeten Mutter, die im Königspalast Frauen und Töchter unterrichtet hatte, war sie eine Meisterin der Improvisation – auch im Privaten. Selbst Mutter von sieben Kindern, verkleidetet sie ihre Töchter als Jungen und brachte sie so in der Schule unter. Öffentlich setzte sie sich als Journalistin und Autorin gegen die Männerherrschaft ein.

Typische Kleidung der iranischen Frauen vor der Pahlavi-Dynastie
Typische Kleidung der iranischen Frauen vor der Pahlavi-Dynastie

Da war das Buch ihres Zeitgenossen, eines anonymen Autors, mit dem Titel „Wege, Frauen zu züchtigen“. Der Verfasser missbilligte das Verhalten von Frauen und beschrieb, wie Männer ihnen Manieren beibringen könnten. Bibi wusste ihm zu antworten. In ihrem Gegenentwurf, dem Buch „Die Mängel der Männer“, ging sie geistreich und satirisch auf seine Beschuldigungen ein und zählte ihrerseits die Peinlichkeiten seiner Geschlechtsgenossen auf: ihr Benehmen in Trunkenheit, die Spielsucht, das Opiumrauchen.

Zwei Jahre später versuchte Bibi es erneut mit ihrer Mädchenschule und sprach beim damaligen Bildungsminister Hedayat vor: Sie wollte eine offizielle Genehmigung. Hedayat fürchtete die religiösen Eiferer, ließ Bibi nach zähen Verhandlungen und unter zwei Bedingungen ihre Schule aber wieder eröffnen. Die erste Bedingung lautete: Das Schild muss weg. „Mädchen“ durfte da nicht stehen – das bedeutete doch „Jungfrauen“, das erregte die Männer. Und 2.: Statt, wie zu Beginn, Mädchen zwischen sieben und zwölf Jahren zu unterrichten, sollten nun Mädchen im Alter von vier bis sechs Jahren unterrichtet werden.

So bot Bibi Khanom Astarabadis Schule als erste iranischen Mädchen öffentlichen Zugang zu Bildung. Bibis Tochter Khadijeh Afzal Vaziri folgte dem Engagement ihrer Mutter und setzte sich weiter für Frauenrechte im Iran ein, als Journalistin und Publizistin. Sie erlebte noch die Revolution im Februar 1979, die die Islamische Republik hervorbrachte; zwei Jahre später starb sie im Alter von 91 Jahren.

Schah Reza versucht, einen säkularen Staat einzurichten

Fortsetzung auf Seite 2