Ein Volksfest mit Hindernissen 

Der Auftritt der iranischen Fußball-Nationalmannschaft bei ihrer fünften WM-Teilnahme 2018 in Russland ist für die fußballbegeisterten IranerInnen weltweit ein Volksfest. Das „Team Melli“ stärkt seit Jahrzehnten die nationale Identität, die seit Bestehen der Islamischen Republik für die meisten IranerInnen kompensationsbedürftig ist. Doch selbstgemachte Barrieren trüben das Fest.
Das „Team Melli“, wie die iranische Fußball-Nationalmannschaft in der persischen Sprache genannt wird, qualifizierte sich bereits im Mai 2017 und neben Gastgeber Russland sowie Brasilien als eines der ersten drei der insgesamt 32 Teams für die Fußball-WM 2018*.
Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft ist ein unvergleichbares Highlight für das zuletzt aufgrund der weltpolitischen Ereignisse einmal mehr in den Negativ-Schlagzeilen stehende Land. Der Fußball soll richten, was die internationale Diplomatie bislang nicht zu vollbringen vermochte, nämlich dem Land als vollwertiges und nicht geächtetes Mitglied der Weltgemeinschaft wieder internationale Anerkennung zu verschaffen.
Die meisten IranerInnen sind fußballverrückt und begleiten die WM 2018 mit viel Leidenschaft. Man erhofft sich, trotz der sehr anspruchsvollen Gruppenkonstellation mit den Gegnern Marokko, Spanien und Portugal erstmalig die Gruppenphase einer WM erfolgreich zu meistern und ins Achtelfinale einzuziehen. Doch innenpolitische Barrieren sowie internationale Sanktionen schweben wie ein dauerhaftes Störfeuer über dem Team Melli und seinen Fans.

Irans Fußball-Nationalmannschaft vor der Abreise nach Russland - Foto: tnews.ir
Irans Fußball-Nationalmannschaft vor der Abreise nach Russland – Foto: tnews.ir

 
Versammlungsverbot statt Public Viewing
Es mutet unglaublich an, ist jedoch bittere Realität: Bereits vor dem WM-Start verhängten die Machthaber im Iran ein Versammlungsverbot in sämtlichen Einrichtungen während der Spiele ihrer eigenen Nationalmannschaft. Sei es im Restaurant, Café oder auf der Straße: Man darf nicht öffentlich gemeinsam vor dem Bildschirm oder Leinwänden mit der eigenen Mannschaft fiebern.
Der für die öffentliche Sicherheit im Großraum Teheran zuständige hochrangige Ordnungsbeamte Mohsen Hamedani lässt in inländischen Medien verlauten: „Untersuchungen der Verwaltung der Hauptstadt gelangen zu der Schlussfolgerung, dass die Übertragung der WM-Spiele in öffentlichen Einrichtungen und Parkanlagen ungeeignet ist.“ Und er ergänzt, dass „diese Entscheidung kulturelle und soziale Aspekte“ berücksichtige.
Ob die fußballbegeisterten IranerInnen diesem nach iranischem Recht nicht haltbaren Versammlungsverbot Folge leisten, ist angesichts der seit Monaten aufflammenden öffentlichen Proteste und Kundgebungen gegen das theokratische Regime mehr als fraglich.
Nationalspieler ohne Schuhwerk
Bedingt auch durch außenpolitische Entwicklungen hat die iranische Fußballwelt zudem mit einem ungewöhnlichen Problem zu kämpfen. Der Sportartikelhersteller Nike stoppte unmittelbar vor dem WM-Beginn die Lieferung von Fußballschuhen an die iranischen Nationalspieler. Der US-Konzern begründet seine Entscheidung mit dem erneuten Inkrafttreten der Wirtschaftssanktionen der USA gegen den Iran nach deren Austritt aus dem internationalem Atomabkommen.
Solche Szenen möchte die iranische Regierung verhindern (TeheranerInnen feiern den Einzug der iranischen Nationalmannschaft in die WM 2018)
Solche Szenen möchte die iranische Regierung verhindern (TeheranerInnen feiern den Einzug der iranischen Nationalmannschaft in die WM 2018)

 
Diese überraschende Maßnahme brachte den portugiesischen Nationaltrainer des Iran, Carlos Queiroz, an den Rand eines Wutausbruchs. „Die Spieler gewöhnen sich an ihre Ausrüstung. Es ist nicht in Ordnung, dies eine Woche vor solch wichtigen Spielen zu ändern. Nike muss sich dafür bei den IranerInnen entschuldigen“, schimpft er.
Notgedrungen bitten iranische Nationalspieler, die in ausländischen Vereinen spielen, nun ihre dortigen Vereinskollegen um Hilfe – allen voran der in Schweden aufgewachsene und dort beim Klub Östersunds FK spielende Profi Saman Ghoddous. Andere versorgen sich kurzfristig in russischen Sportgeschäften mit dem nötigen Schuhwerk.
Fußball als Ventil für Freiheit und Demokratisierung
Doch trotz der in- und ausländischen Einschränkungen erfreuen die fußballbegeisterten IranerInnen sich weltweit des Mega-Events Fußball-Weltmeisterschaft 2018. Denn der Fußball hat für die IranerInnen eine weitaus größere Bedeutung als nur als Sport und Ablenkung.
Seit der erfolgreichen Qualifikation für die Fußball-WM 1998 hat der iranische Fußball einen bedeutenden Anteil an der Demokratiebewegung im Land. Seinerzeit erlebten Hunderttausende IranerInnen auf den Straßen im Land die Wiederbelebung ihres seit der islamischen Revolution leidenden nationalen Selbstwertgefühls. Seitdem beäugt der Gottesstaat misstrauisch Menschenansammlungen im Land, die im Zusammenhang mit Sport stehen. Denn bei Ereignissen dieser Art wird oft der Unmut der Menschen kanalisiert, der in anderen Bereichen der Gesellschaft unterdrückt wird.
Die Fußball-WM bietet in den gegenwärtigen national und international für den Iran unruhigen Zeiten eine herausragende Plattform für weitere gesellschaftliche Entwicklungen. Man darf gespannt sein.
  FARID ASHRAFIAN
Der Iran tritt in Gruppe B an und muss sich gegen Marokko (15. Juni), Spanien (20. Juni) und Portugal (25. Juni) behaupten, um die nächste Runde zu erreichen. 
© Iran Journal

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