Iran weiterhin im Schlepptau Russlands

Die Machtverhältnisse im Iran bleiben zementiert. Weder das Atomabkommen noch der Sieg der Moderaten bei der jüngsten Parlamentswahl verändern die Innen- und Außenpolitik der Islamischen Republik grundsätzlich. An der strategischen Verbundenheit mit Russland wird nicht gerüttelt. Und auch für die Zeit nach dem Ableben Khameneis ist gesorgt.
Einstimmig beschlossen und feierlich verkündet: „Unterricht und Erforschung der russischen Sprache müssen in allen Bildungseinrichtungen intensiviert werden.“ Das war zwar nur eine Entscheidung von vielen, die das „Komitee für Kulturrevolution“ nach seiner Sitzung am vergangenen Sonntag mitzuteilen hatte – aber eine äußerst wichtige.
Alles, was dieses Komitee beschließt, hat in der Islamischen Republik Gesetzeskraft. Und das seit über 37 Jahren, seitdem die Republik existiert. Dabei sollte das ursprünglich nicht so sein. Republikgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini hatte das Gremium in den ersten Tagen der Revolution für eine einzige Aufgabe ins Leben gerufen: Es sollte die iranischen Universitäten von „unislamischen Elementen“ säubern. Damit wäre dann auch die Arbeit erledigt, dachten viele damals. Das Komitee schien eine vorübergehende Einrichtung zu sein, nur für die Tage der Revolutionswirren. Doch es kam anderes. Die Kulturrevolution im schiitischen Staat erwies sich als eine permanente – ein niemals endender Kampf. Je mehr Zeit verging, je massiver und bedrohlicher der äußere Kultureinfluss erschien, umso unentbehrlicher wurde daher das Komitee für Kulturrevolution. Es entwickelte sich nach und nach zu einem der mächtigsten Staatsorgane. Das Gremium, dessen Mitglieder der Revolutionsführer selbst ernennt, hat inzwischen weitgehende Befugnisse. Es entwirft mittel- und langfristige Kulturpolitik, urteilt über Eignung von Professoren und bestimmt die Lehrpläne der Bildungseinrichtungen. Niemand, nicht einmal der Staatspräsident, kann sich über Beschlüsse des Komitees hinwegsetzen.
Russisch über alles
Der Beschluss zur Förderung der russischen Sprache ist auf den ersten Blick dabei durchaus eine bildungspolitische Entscheidung mit vielen Vorteilen. Denn kein vernünftiger Mensch, kein Student, kein Professor oder Politiker kann etwas dagegen haben, wenn iranische SchülerInnen und StudentInnen in die Lage versetzt werden, Tolstoi und Dostojewski in der Originalsprache zu lesen. Trotzdem sorgt die Entscheidung des Komitees in sozialen Netzwerken für viel Häme. Denn der Beschluss kam am Ende einer vierwöchigen heftigen Debatte über den Stellenwert der englischen Sprache in der iranischen Gesellschaft. Am Anfang dieser ernsthaften und immer noch andauernden Kontroverse stand eine Rede des Revolutionsführers Ali Khamenei.
Englisch: Quelle der Verderbnis

Englisch verbreitet sich im Iran immer mehr
Englisch verbreitet sich im Iran immer mehr

Am 4. Mai hatte der mächtigste Mann des Landes eine Gruppe ausgesuchter Lehrer und Professoren empfangen und in seiner Ansprache zu ihnen gesagt, er wolle an diesem Tag etwas Grundsätzliches zur Debatte stellen und wünsche sich, dass alle Institutionen die Diskussion weiterführten. Zunächst beklagte der Ayatollah dann die Verwerfungen im Lebensstil der Jugend, philosophierte über maßlose Konsumgewohnheiten und warnte vor dem gefährlichen Kultureinfluss des Westens. Dann stellte er die rhetorische Frage, wie all diese „Verderbnis“ ins Land komme und durch welche Sprache? An dieser Stelle schwieg er eine gefühlte Ewigkeit. Khamenei kennt sein Handwerk gut. Er gehört zu den besten Prediger des Landes.
„All das kommt über Satelliten und durch die englische Sprache, ungesund und unbedacht. Und diese Sprache verbreitet sich, es ist soweit gekommen, dass wir fragen, müssen unsere Kinder schon im Kindergarten Englisch lernen?“ Und mit der rhetorischen Frage, ob jemand bedacht habe, „wo wir damit hinkommen“, beendete Khamenei seine Rede.
Und kaum war die Audienz zu Ende, nahmen sich alle Medien des Landes des Themas an. Nicht nur Hochschullehrer und Bildungspolitiker, auch Freitagsprediger und Offiziere der Revolutionsgarden äußerten sich über den negativen Einfluss des Englischen. Die Rückständigkeit des Landes komme daher, weil man sich auf die Sprache der Kolonialisten konzentriere, behauptete sogar Ayatollah Alamolhoda, der einflussreiche Freitagsprediger der heiligen Stadt Maschhad. Die Debatte nahm nach und nach eine lächerliche Wendung, sie wurde mit allerlei Verschwörungstheorien vermengt und sorgte in den sozialen Medien für viel Häme und Spott. Schließlich meldete sich Staatspräsident Hassan Rouhani selbst zu Wort. Er rief zu Vernunft und Sachlichkeit auf. Dass Indien heute zu einem der mächtigsten IT-Staaten dieser Welt zähle, habe auch damit zu tun, das inzwischen jeder Inder Englisch beherrsche, meinte Rouhani. Das Beispiel Indiens war entwaffnend: eine ehemalige Kolonie Britanniens, ein heutiger Gigant aus der ehemaligen dritten Welt, ein mächtiges Land, dessen Ministerpräsident zudem zufällig gerade auf dem Weg in den Iran war, mit Milliardenverträgen im Reisegepäck.
Es geht um mehr als nur die Sprache
Fortsetzung auf Seite 2