Zwischen Opferrolle und Selbstverantwortung

Die iranische Opposition könnte emanzipativ wirken. Doch es kommt immer wieder vor, dass Teile der Opposition ungewollt ideologische und politische Hilfestellung für das Regime in Teheran bieten. Dieser Effekt ist in letzter Zeit besonders bei manchen Anti-Kriegsaufrufen zu beobachten. Eine Analyse von Dawud Gholamasad.
Dieser Artikel ist keine Rechtfertigung der völkerrechtlich unzulässigen Kriegsdrohungen der USA gegen den Iran, mit denen die Vereinigten Staaten im Namen der regionalen Stabilität ihren eigenen globalen Hegemonialansprüchen Geltung verschaffen wollen. Die Verurteilung solcher aggressiven außenpolitischen Strategien ist allerdings nur dann effektiv, wenn man die eigene Doppelmoral aufgibt und die völkerrechtswidrige aggressive Außenpolitik der „Islamischen Republik“ verurteilt, die die selbst beanspruchte territoriale Integrität anderer Staaten nicht respektiert. Die intendierte Verhinderung eines Krieges gegen den Iran wäre nur dann erfolgreich, wenn man sich selbst und die potentiellen Kriegsparteien aufforderte, nach Kants kategorischem Imperativ zu handeln: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Denn die potentiellen Kriegsparteien bedingen sich gegenseitig in ihrer Feindseligkeit, selbst wenn die bestehende Machtbalance zugunsten der stärkeren USA neigt. Gerade deswegen wäre wenigstens aus pragmatischen Gründen eine völkerrechtlich verpflichtete außenpolitische Ausrichtung der Machtschwächeren noch mehr geboten, wenn die Sicherheit ihres Landes und dessen territoriale Integrität gewährleistet werden soll. Eine solche Sicherheit erfordert aber pro-aktive, also durch differenzierte Vorausplanung und zielgerichtetes Handeln die Entwicklung des politischen Geschehens selbst bestimmende und die Sicherheit des Landes herbeiführende außenpolitische Bemühungen der Opposition. Diese Pro-Aktivität unterscheidet sich als initiatives Handeln von dem sonst abwartenden oder reagierenden Handeln der Opposition. Als Bereitschaft zum Frieden bedeutet eine pro-aktive Politik auch eine besondere Bejahung des friedenspolitischen Handelns als eine Werthaltung.
Gemeinsinn und Rechtssinn
Dies setzt aber nicht nur einen weltbürgerlichen Gemeinsinn, d. h. Verständnis und Einsatzbereitschaft für die Menschheit voraus, sondern auch einen Rechtssinn, d. h. einen Sinn für Recht und Unrecht auch in zwischenstaatlichen Beziehungen. Sie beide sind zivilisatorische Aspekte einer inner- und zwischenstaatlichen Demokratisierung, die sich manifestiert in:
– der Erweiterung der Reichweite der Identifizierung mit Menschen jenseits bestimmter Gruppenzugehörigkeit und
– der Bereitschaft zur Suspendierung von Gewalt als Regulationsprinzip der innen- und zwischenstaatlichen Beziehungen.
Die dominante außenpolitische Orientierung von großen Teilen der iranischen Opposition ist aber in der Regel entweder islamisch nativistisch oder territorialstaatlich geprägt; sie ist nicht einmal nationalstaatlich geschweige denn humanistisch. Diese Ausrichtung, die Territorialstaat und Nationalstaat gleich setzt, hat erhebliche Konsequenzen. Vor allem verschafft sie dem theokratischen Regime immer die Möglichkeit, in Krisensituationen ihre selbstverschuldete außenpolitische Bedrohung als Gefahr für die „islamische nationale Integrität“ oder „territoriale Integrität“ der „Islamischen Republik“ hochzustilisieren. Dabei werden das Bedürfnis nach kollektiver Hervorhebung der als islamisch definierten Werte der Muslime und das kollektive Schutzbedürfnis der Iraner im Allgemeinen für die Selbstverteidigung der klerikalen Herrschaft instrumentalisiert; dies, obwohl die Islamisten nur die „Gemeinschaft der Muslime“ anerkennen und keinen Sinn für die nationalstaatliche Integrität der Iraner haben.

Mit dem Putsch vom 19. August 1953 verwandelten sich die USA für alle demokratischen Kräfte des Iran in ein Sinnbild der Demokratiefeindlichkeit
Mit dem Putsch vom 19. August 1953 verwandelten sich die USA für alle demokratischen Kräfte des Iran in ein Sinnbild der Demokratiefeindlichkeit

 
Der Putsch von 1953
Auf der anderen Seite ist der „Nationalstaat“ bei den klerikalen Herrschern als unislamisch verpönt, weil er ihrer konstruierten Gemeinschaft der Muslime als theokratischem Herrschaftsbereich Grenzen setzt. Deswegen war 1953 die Kooperation der Islamisten unter der Führung von Ayatollah Kashani mit den USA im CIA-Putsch gegen die erste und bis jetzt letzte demokratische Regierung Mossadeghs notwendig, weil sie mit der Demokratisierung eines nationalstaatlich organisierten Irans unter einem verfassungspatriotischen Ministerpräsidenten eine Gefahr für den Islamismus sahen. Für die Islamisten bedeuteten die Demokratisierung des nationalstaatlich organisierten Iran und der folgende verstärkte politische Einfluss der moskautreuen Tudeh-Partei drohende Gefahren, weswegen sie einen CIA-Putsch pro-aktiv begrüßten. Damit wurde die erste nationalunabhängige demokratische Regierung des Iran mit Hilfe der Islamisten unter der Führung Kashanis und mit Khomeinis Billigung gestürzt. Ayatollah Khomeini hat den Patrioten Mossadegh nach der Revolution sogar post festum exkommuniziert, obwohl er nicht mehr am Leben war. Es ist daher eine unverschämte Verlogenheit, wenn die Khomeinisten heute als Grund ihrer Feindseligkeit gegen den „großen Satan“ USA den CIA-Putsch als eine unverzeihbare US-Intervention im Iran zitieren – obwohl sie selbst 1979 ohne die Neutralisierung der iranischen Armee durch die US-Unterstützung nicht so leicht die Macht hätten ergreifen können.
Angst vor Verwestlichung
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