Der „iranische Folter-Bär“ und britische Geheimdokumente

Vier Jahrzehnte nach der Islamischen Revolution im Iran bleibt die Kontroverse um Folter im Schah-Regime lebendig. Ein kürzlich freigegebener Bericht des britischen Diplomaten Sir Anthony Parsons bietet neue Einblicke und hinterfragt die damalige Oppositionspropaganda, während er auch positive Aspekte wie religiöse Toleranz hervorhebt.

Von Iman Aslani*

Auch 45 Jahre nach der Islamischen Revolution 1979 wird immer wieder über das Ausmaß und die Schwere der Folter in den Gefängnissen des Schah-Regimes diskutiert. Vor der Revolution hatte die Opposition eine große Propagandakampagne durchgeführt, die sich insbesondere in den letzten Jahren des Schah-Regimes auch in den Medien westlicher Länder widerspiegelte. Dämonisiert wurde dabei vor allem der berühmt-berüchtigte iranische Inlandsgeheimdienst SAVAK. Dabei kamen teilweise auch „Zeugen“ zu Wort, die Folterszenarien mit eigenen Augen gesehen beziehungsweise mit eigenen Ohren gehört haben wollten, die teilweise physikalische Grenzen sprengten.

Das Schah-Regime hat diese Vorwürfe stets zurückgewiesen. Geheimberichte ausländischer Diplomat:innen können über die ebenso emotionale wie hasserfüllte Berichterstattung der Opposition und auch die offiziellen Angaben des damaligen Regimes hinaus ein differenzierteres Bild liefern. Dazu hat das in Prag ansässige persischsprachige Nachrichtenportal Radio Farda im britischen Nationalarchiv recherchiert und Auszüge aus einem erst vor kurzem freigegebenen Bericht veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Einschätzung des 1996 verstorbenen britischen Diplomaten Sir Anthony Derrick Parsons zur Menschenrechtslage im Iran vor der islamischen Republik. Parsons war von 1974 bis 1979 britischer Botschafter im Iran.

Im Parsons‘ vertraulichen Bericht mit dem Titel „Menschenrechte im Iran“ vom 12. April 1977 werden sowohl die Pressefreiheit als auch die demokratischen Strukturen im Iran unter der Herrschaft des Schahs bemängelt. Zugleich hebt der Diplomat „bewundernswerte“ Aspekte wie religiöse und ethnische Toleranz hervor. Der Iran sei „eines der wenigen muslimischen Länder der Welt, das eine große und blühende jüdische Gemeinde hat – wahrscheinlich mehr als 200.000 Menschen“, schreibt er. Nach Parsons‘ Einschätzung wurden während des Pahlavi-Regimes armenische Christen und andere nicht-muslimische Minderheiten nicht diskriminiert und verfolgt – und es habe auch keinen Rassismus gegeben, heißt es in dem Bericht.

Dieser bemängelt überdies die Kritik der damaligen Opposition über „systematische Menschenrechtsverletzungen und Folter“ durch das Schah-Regime. Die Darstellungen der Schah-Gegner:innen hinsichtlich der Anzahl der politischen Gefangenen und der Schwere der Folter des SAVAK entsprechen Parsons zufolge nicht ganz der Wahrheit oder können nach seiner Analyse zumindest nicht als „allgemeine Lage“ der letzten Jahren der Pahlavi-Monarchie betrachtet werden.

Die letzten Jahre der Pahlavi-Herrschaft

In dem Bericht wird angemerkt, dass die britische Regierung mit dem letzten iranischen König, Schah Mohammad Reza Pahlavi, erstmals über das Thema Menschenrechte gesprochen habe, nachdem der damalige US-Präsident Jimmy Carter die Menschenrechte zum ersten Mal zu einer der Prioritäten der Außenpolitik der Vereinigten Staaten erklärt hatte.

Werte wie Menschenrechte und individuelle Freiheiten sowie die Verurteilung von Todesstrafe und Folter gewannen zu der Zeit in der US-Außenpolitik immer mehr an Bedeutung. Sie standen jedoch der Lebensrealität der Menschen in einigen verbündeten Ländern entgegen – darunter der im Iran. Dies habe wichtige außenpolitische Beziehungen des Schahs „gestört“, merkt der britische Diplomat in seinem Bericht an. Auch in Großbritannien hatten sich seinerzeit – Parsons zufolge – Presse und Radio zunehmend für die Frage der Menschenrechte im Iran interessiert. Dementsprechend hätten sich Schah-Gegner:innen auf Iraner:innen im Ausland und die Öffentlichkeit im Westen konzentriert.

Parsons fügte hinzu, dass sich die Beschwerden gegen das Schah-Regime hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen hauptsächlich auf „Gerichtsverfahren und den Einsatz von Folter“ bezögen. Er glaubte nicht, dass es für weitere Behauptungen, etwa großangelegte, unangekündigte Hinrichtungen beziehungsweise längere Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren „genügend stichhaltige Beweise“ gäbe. Es bestehe darüber hinaus offenbar kein triftiger Grund, die von Schah Mohammad Reza vorgelegte Zahl der politischen Gefangenen (drei- bis viertausend) für falsch zu halten.

Behauptungen über „25.000 politische Gefangene“ wies der Diplomat „mit ziemlicher Sicherheit“ als „stark übertrieben“ zurück. Schah-Gegner:innen und einige westliche Medien und Menschenrechtsgruppen hatten dem Schah damals vorgeworfen, 25.000 bis 100.000 seiner Gegner:innen inhaftiert zu haben.

Parsons moniert zugleich Rechtsverletzungen und intransparente Verfahren vor dem Militärgericht, das sich mit Fällen von Drogenschmuggel und bewaffnetem Raub bis zu den Anklagen gegen politischen Gefangenen beschäftigte.

Der „Folter-Bär“ des SAVAK

Barahanis Artikel in der New York Times am 21. April 1976

„Der schwierigste und emotionalste aller Vorwürfe gegen die iranischen Behörden sind die anhaltenden und immer wiederkehrenden Berichte über die Anwendung von Folter“, schreibt Anthony Parsons in seinem vertraulichen Bericht.

Auch 45 Jahre nach dem Sturz des Schah-Regimes berichten damalige Revolutionäre und heutige Amtsträger:innen der Islamischen Republik von „drakonischen Foltermethoden des SAVAK“. Das sind allerdings nicht die einzigen Berichte. Der 2022 verstorbene iranische Autor und Literaturkritiker Reza Barahani schilderte beispielsweise in einem Artikel in der US-Zeitung New York Times am 21. April 1976 psychische und psychische Folterungen, denen er während seiner Haft ausgesetzt gewesen sein soll.

Barahani wurde 1972 vom SAVAK inhaftiert und verbrachte gut drei Monate im Gefängnis. Zwei Jahre später verließ er den Iran und wurde durch seine Berichte über die „Hinrichtung Tausender Menschen und Folter in den iranischen Gefängnissen“ berühmt.

Gefangene sollen Barahani zufolge barbarische Folter erlitten haben, darunter „das Aufhängen an den Füßen an der Decke, das Zerdrücken ihrer Schädel, das Verbrennen ihrer Wirbelsäule und das Ziehen ihrer Nägel“. Kinder sollen geohrfeigt und Frauen sollen vor ihren Ehemännern beziehungsweise Vätern vergewaltigt worden sein. Er beschuldigte außerdem die USA, es durch ihre Unterstützung dem Schah-Regime ermöglicht zu haben, „die meisten Intellektuellen im Iran“ zu foltern.

Barahanis Aussagen sorgten damals in den USA für Schlagzeilen. Amnesty International hat sie als Beispiel für „das brutale Verhalten des Königs gegenüber seinen Gegnern“ dokumentiert. Allerdings glaubten nicht alle dem Autor. „Die meisten der detaillierten Berichte sind inzwischen alt und der wichtigste und auffälligste Autor, Reza Barahani […] wird weithin als Betrüger und verärgerter SAVAK-Agent angesehen, selbst unter Iranern, die das [Schah-] Regime nicht mögen“, hält der britische Diplomat Parsons in seinem Bericht fest.

Es gibt auch nahezu „filmreife“ Folterberichte. Einer der meistzitierten Berichte der vergangenen Jahrzehnte, für den bislang weder eine überprüfbare Quelle noch ein tragbarer Beweis vorgelegt worden ist, beschreibt einen Bären, der angeblich im SAVAK-Gefängnis zum Foltern von Gefangenen zum Einsatz gekommen sein soll.

Parsons schrieb 1977 in seinem Bericht, die Schah-Gegner:innen hätten „in den letzten Jahren keinen einzigen dokumentierten Fall einer angeblichen Folterung vorweisen können und die Geschichten, die in Teheran kursieren, beziehen sich auf Erfahrungen aus dritter oder vierter Hand“. Er glaube zugleich, dass der SAVAK in seinen frühen Jahren „selbst nach den Maßstäben des Nahen Ostens brutal war und systematische körperliche Folter eingesetzt hat“. Parsons fügte hinzu: „Ich bin geneigt, zu glauben, dass der [iranische] König vor einigen Jahren die Einstellung der körperlichen Folter angeordnet und sie durch subtilere psychologische Verhörmethoden ersetzt hat.“ Das bedeute allerdings nicht, dass es auch später keine Fälle von Folterung durch „Sadisten oder fanatische SAVAK-Vernehmer“ gegeben hätte. Er sei sicher, dass die Situation von Personen, die wegen des Verdachts terroristischer Aktivitäten festgenommen wurden, in den ersten 24 Stunden sehr „unangenehm“ gewesen sei.

„Die ganze Wahrheit werden wir nie erfahren“, konstatiert der damalige Botschafter Großbritanniens im Iran abschließend. Unter Berufung auf seine langjährige Erfahrung in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens rät Parsons zur Neutralität. Er glaube persönlich weder dem Regime noch der Propagandakampagne seiner Gegner:innen.

Ratschläge für London

Parsons‘ Urteil über die Menschenrechtslage im Iran in den letzten Jahren des Pahlavi-Regimes lässt sich mit diesem Satz aus seinem Bericht zusammenfassen: „Ich glaube nicht, dass der Iran nach den Maßstäben der Dritten Welt (eine wichtige Entwicklung) so schlecht abschneidet, obwohl es (nach unseren Maßstäben) eindeutig erheblichen Spielraum für Verbesserungen gibt.“

„Es liegt nicht in unserem Interesse, diejenigen zu unterstützen, deren ultimatives Ziel darin besteht, das Schah-Regime zu schwächen und zu zerstören“, empfiehlt er damalige britische Botschafter seiner Regierung. Die Opposition biete „keine wirksame Alternative“ an; ihre Herangehensweise sei „grundsätzlich destruktiv“.

Am Ende seiner Bewertung betont Parsons, dass die Menschenrechtsprobleme im Iran auf keinen Fall ignoriert werden sollten. Er mahnt jedoch an, dass es für Großbritannien besser sei, öffentliche und direkte Kritik zu vermeiden. Es sei unwahrscheinlich, dass dies zu einer Verhaltensänderung der iranischen Behörden gegenüber politischen Gefangenen führen würde. Stattdessen würde es ihm zufolge den Einfluss Großbritanniens in einer Vielzahl wichtiger Angelegenheiten weiter schwächen.

* Iman Aslani ist das Pseudonym unseres Autors.

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