Esoterik als Widerstand

Die Konservativen im Iran sorgen sich: Immer mehr Jugendliche interessieren sich für Mystik, esoterische Vorbilder und Gedanken. Manchen gehen die Maßnahmen der Regierung zur Unterbindung dieses Trendes nicht weit genug. Sie fordern striktere Kontrollen.Vor allem junge Iraner interessierten sich zunehmend für Esoterik, wie das „Zentrum für Gedankenaustausch von Professoren und universitäre Eliten“ herausgefunden haben will. Viele fühlten sich demnach zu „Satanisten“ hingezogen, zur indischen Neo-Sannyas-Bewegung von Osho, zu den Lehren des Dalai Lama oder auch den Gedanken des brasilianischen Schriftstellers Paolo Coelho. Der Vorsitzende des Zentrums, Ali Falah Rafie, zeigte sich im Interview mit der Nachrichtenagentur „Mehr“ besorgt. Vor allem weil das Alter der „Pseudo Mystik“-Liebhaber gesunken sei.  Insgesamt gäbe es rund 3000 religiöse, mystische Bewegungen auf der ganzen Welt. Rafie behauptet: „Das einzige Ziel dieser Bewegungen“ sei es, gegen den Islam anzugehen.
Rebellion gegen die Gesellschaft

Der Volkskundler Mehrdad Darvishpour sieht in dieser Entwicklung einen Widerstand gegen die festgefahrenen Normen im Iran. „Sie verbreiten sich nur, wenn es der Gesellschaft schlecht geht“, sagt der in Schweden lebende Wissenschaftler. In einer Epoche der Hoffnung oder Solidarität würde man keine mystische Welle beobachten. Als Beispiel nennt der er die Iranische Revolution von 1979. Kaum jemand habe sich zu der Zeit mit Esoterik auseinandergesetzt. „Aber nach einigen Jahren, nachdem sich die Probleme der Revolution zeigten, gab es für die Menschen zwei Wege: Entweder ergibt man sich oder sucht eine Möglichkeit, um nach seiner Art Widerstand zu leisten und sich abzulenken.“ Wie etwa durch Beschäftigung mit Mystik.

Mehrdad Darvishpour

Laut Darvischpour sehen vor allem junge Iraner nach der Niederschlagung der „grünen Bewegung“ vor zwei Jahren keine Zukunftsperspektiven mehr. „Viele sind ins Ausland geflüchtet. Die Zurückgebliebenen bauen teilweise ihren Frust durch Drogen, Glücksspiel und Gewalt ab. Der Rest versucht weiterzukämpfen – ein Teil von ihnen mit den mystischen Bewegungen.“ Die Satanisten etwa „wollen nicht unbedingt den Islam in Frage stellen“, so Darvishpour, „sondern der Regierung einen Denkzettel verpassen.“
Der islamische Professor Ali Falah Rafie macht Schulen und Medien schwere Vorwürfe. Bücher und Prospekte würden von „Missionaren von mystischen Bewegungen“ vor oder in Schulen in verteilt. Über Osho beispielsweise gäbe es 100 Bücher auf Persisch. „Manche von ihnen haben sogar ein spezielles, wissenschaftliches Programm für Schüler entwickelt und haben Lehrer, über die sie die Gedanken ihrer Mystik oder Sekte verbreiten.“
Im iranischen Fernsehen würden Filme gezeigt, die „pervers und satanistisch veranlagt“ seien. Seine Forderung: Das Fernsehen müsse noch strikter kontrolliert werden. Vor der Ausstrahlung müssten Experten die Filme untersuchen.
Doch damit nicht genug: Falah Rafie schlägt auch die Überwachung der Spielzeugindustrie vor: „Damit die Kinder von Grund auf die islamischen Werte kennenlernen“. 90 Prozent der Spielzeuge seien mit islamischen Werten nicht vereinbar. „Die meisten davon verbreiten perverse und falsche Gedanken“.
Die Rolle des Internets
Osho
Osho

Und natürlich möchte Falah Rafie auch das Internet in seinem Sinne weiter kontrolliert sehen. Das Netz ist die wichtigste Informationsquelle für iranische Jugendliche, die sich über die Welt erkundigen wollen. Obwohl die Regierung versucht, das Internet zu filtern, gelingt es Usern immer wieder, dies zu umgehen. Falah Rafiue appelliert an das Schulministerium: „Das Ministerium kann veranlassen, dass Schüler den richtigen Umgang mit dem Internet lernen. Außerdem können sie vor den Gefahren im Netz warnen. Denn Blogs und Facebook sind für die Missionare der Pseudo-Mystik ein guter Weg für die Verbreitung ihrer Ideologien.“
Tatsächlich ist das Internet im Iran das wichtigste Medium, eben auch für Esoteriker. „Wenn die Leute sich wie vor einigen Wochen online zu einer Wasser-Schlacht in Teheran verabreden können, sind sie natürlich auch in der Lage mystische Treffen zu organisieren“, sagt Mehrdad Darvishpour.
Aber auch die Gegner der Esoterik haben sich im Netz schon organisiert. Manche Seiten sind sehr aufwendig gemacht und werden professionell geführt – wie etwa Mysavior.
Sozialexperte Darvishpour ist sich sicher, dass die Regierung mit allen Mitteln versucht, das weitere Verbreiten esoterischer Gedanken zu stoppen – von Festnahmen, über Schließung von Internetcafes bis hin zur Erstürmung von Wohnungen und Häusern. „Die Regierung hat noch nicht mal eine Wasserschlacht erlaubt. Man kann nicht erwarten, dass sie nichts gegen mystische Neigungen der Menschen unternimmt. Besonders, wenn diese mit islamischen Werten nicht vereinbar sind“, sagt der Völkerkundler.