Die Armen und die „Aghazadeh-ha“

Die US-Regierung wollte mit Sanktionen die Regierung des Iran in die Knie zwingen. Doch stattdessen führten die Sanktionen, gepaart mit Vetternwirtschaft, zu enormen Verteuerungen, viele Menschen verloren ihre Arbeit. Die den Machtzentren nahe stehenden Personen dagegen gewannen an Macht und Einfluss und fanden viele Gelegenheiten, in die eigenen Taschen zu wirtschaften.

Von Nasrin Bassiri

Wenn kräftige Pferde nicht ins Rennen geschickt werden dürften, könne jeder beliebige Esel ans Ziel kommen, sagte der britische Politiker Sir Winston Churchill im 20. Jahrhundert. Im Iran sind derzeit viele „kräftige Pferde“ eingesperrt, oft verlassen sie im Galopp das Land, sollten sie freikommen.

Und diejenigen, die unter diesen Umständen ans Ziel gelangen, schreien und treten alle, die ihnen widersprechen, nieder, seien es die eigene Bevölkerung, fremde Staatsoberhäupter oder ungeliebte Nachbarn.

Korrupte Machthaber und ihre Nachfahren

Die Clans der Mächtigen im Iran und ihre Nachkommen, „Kinder der Herrschaften“, persisch „Aghazadeh-ha“ genannt, bedienen sich ungehemmt der Reichtümer des Landes. Sie sind weniger an Investitionen interessiert – die sich aufgrund der Sanktionen nicht eignen, um schnelles Geld zu verdienen – als an illegalem Handel, Geldtransfer sowie Ein- und Verkäufen durch Drittländer, um die Sanktionen zu umgehen. Diese Geschäfte bieten die Möglichkeit, einen Teil der Beute an sich zu nehmen. Dafür muss man allerdings den Zentren der Macht nahestehen.

Reichtum durch Abholzung und Brandrodung

Die mächtigen Männer und ihre Nachfahren haben Land und Dörfer um die iranische Hauptstadt Teheran sowie Wälder nahe dem Kaspischen Meer durch Ankäufe, Enteignungen, illegale Abholzung und Brandrodung in Besitz genommen. Es sind tausende geräumige Luxusvillen und -appartements entstanden, einzeln und in Siedlungen, von hohen Mauern beschützt und von eigenen Sicherheitskräften bewacht, Wohnungen mit mehreren Parkplätzen auf der eigenen Etage vor der Tür, mit integrierten Schwimmbädern, eigenen Fahrstühlen, die direkt ins Apartment führen, mit modernen Inneneinrichtungen wie in Beverly Hills oder auch traditionell wie in einem Palast aus Tausend und einer Nacht.

Die steinreichen Bewohner*innen der Villen und Luxusappartements kaufen ihre Limousinen bei prominenten Autohäusern wie Alborz im Teheraner Ajudaniehviertel. Dort kann man Autos von Mercedes, Porsche, BMW, Volvo, Lexus oder Maserati kaufen. Ein Werbevideo, das gleich nach der Eröffnung 2015 gedreht wurde, zeigt die Verkäufer in modischer Markenkleidung mit Krawatte oder Fliege. Am Eingang steht auf einer Neontafel: „Stützpunkt der Anhänger der obersten religiösen Führung“.

39 Kommentare hat das Werbefilmchen in Internet, allesamt verärgert: „Du musst wohl ein Anhänger des obersten religiösen Führers sein, wenn Du solche Markenlimousinen exklusiv einführen darfst“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer: „Interessant! Am Eingang steht ‚Anhänger des obersten religiösen Führers‘, und drinnen tragen alle Krawatten und Fliege!“

Teheraner Stadtteil Basti Hills
Teheran, Stadtteil Basti Hills – das Pendant zu Beverly Hills!

Das Autohaus Alborz ist nicht das einzige Zeichen für die Kluft zwischen Reich und Arm im Iran. Vor zwei Jahren lebten 60 Millionen der insgesamt knapp 82 Millionen Iraner*innen unter der Armutsgrenze. Aktuell gilt eine 4-köpfige Familie als arm, wenn sie über weniger Einkommen als 90.000.000 Rial (nach aktueller Umrechnung etwa 350 Euro) verfügt. Das dürfte etwa 70 Millionen Iraner*innen betreffen. Als arm gelten damit etwa die meisten Lehrkräfte und zahlreiche Angestellte.

2018 war der Rial noch erheblich mehr wert. Dass die iranische Zentralbank angesichts der Wirtschaftskrise Geld in Umlauf brachte, führte zur Entwertung. Die Bevölkerung rechnet ihre Ersparnisse so wie ihr Eigentum in Dollar um, der Gemüsehändler um die Ecke berechnet den Preis seiner Kartoffeln und Zwiebeln abhängig vom Dollarpreis. Das iranische Webportal Dinu spricht heute von einer neuen Armutsgrenze.

Die Erosion der Mittelschicht

Die Mittelschicht spielte im Iran stets eine große Rolle. Sie bildet einen Puffer zwischen Armen und Reichen und gilt als Hoffnungsträger der Unterprivilegierten, die hoffen, dass ihre Töchter und Söhne einst aufsteigen können, wenn sie sie studieren lassen. Schwindet die Mittelschicht, schwindet diese Hoffnung mit ihr: Die Kriminalität steigt, die Moral sinkt, Depression und Drogensucht breiten sich aus.

Armen in Teheran
Im Süden von Teheran lebt ein Großteil der Menschen unter der Armutsgrenze

Hamid O. (Name geändert), ist Lehrer in einer kleinen Ortschaft im Nordiran. Sein Gehalt beträgt derzeit 40 Millionen Rial (etwa 160 Euro). Mit seiner jungen Familie kann O. sich damit keine eigene Wohnung leisten, er wohnt bei seinen Eltern. Und lebt dennoch von der Hand in den Mund: Die Kosten für den preiswertesten Reis hätten sich innerhalb eines Jahres verdreifacht, erzählt, er. Vor einem Jahr noch habe die Familie sich drei Mal im Monat rotes Fleisch leisten können, heute käme das alle ein bis zwei Monate auf den Teller. Auch der Preis für Hühnerfleisch habe sich verdoppelt.

Der Schriftsteller S.A. Ist Ende Dreißig und lebt in Teheran, in einer von den Eltern geerbten Wohnung: sein Glück. Mit seiner Arbeit kann A. im Monat 120 bis 160 Euro verdienen. Wie viele Schriftsteller und Künstler muss er nebenbei arbeiten, um über die Runden zu kommen: als Fahrer oder Wachmänner verdienten viele ihr Geld, sagt A. Die Walnüsse, die ihm der Arzt gegen hohe Blutwerte empfohlen hat, kann er sich nicht mehr leisten. Der Preis für die Zigaretten, von denen er nicht lassen kann, erhöhe sich wöchentlich: „Ich wechsele alle paar Monate die Zigarettenmarke und steige auf billigere um“.

Kaum jemand sei in der Lage, Gäste einzuladen, sagt A. Früher sei man zusammengekommen und jeder habe etwas mitgebracht: „Das kann sich jetzt niemand mehr leisten.“ So steht es um die Lebensrealität der iranischen Mittelschicht.

Armut ist erträglicher als Ungerechtigkeit

Auch während des Iran-Irak-Kriegs (1980 – 1988) waren lebenswichtige Güter rar und rationiert, Lebensmittelmarken wurden verteilt, vor den Geschäften standen Menschen Schlange, um Milch, Brot, Seife und Reis damit zu kaufen. Auch damals waren knappe Güter nicht gerecht verteilt. Wohlhabende und Einflussreiche holten Nahrungsmittel und Medikamente teuer vom Schwarzmarkt.

Doch die Schere zwischen reich und arm war damals nicht so gravierend weit geöffnet. Heute stehen kleine Kinder vor Autos von Mercedes und Maserati, die soviel kosten wie eine geräumige Villa in bester Lage, und betteln, dass man ihnen ein Kaugummi oder einen kleinen Blumenstrauß abkauft.♦

© Iran Journal

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