25 Bahman – Grüne Hoffnung am Valentinstag

Aller Skepsis zum Trotz konnte die iranische Opposition am Montag, den 14. Februar (25 Bahman im iranischen Kalender), tausende Demonstranten über das Internet mobilisieren. Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 hat die Opposition kaum eine Möglichkeit mit der Bevölkerung zu kommunizieren.
Radio und Fernsehen sind fest in den Händen der Hardliner und die meisten reformorientierten Zeitungen sind verboten worden. Das Internet ist zwar schwer zugänglich, die Übertragungsgeschwindigkeit wird im Land häufig als „quälend“ bezeichnet, viele Seiten sind gefiltert und das nutzen von Facebook und Co ist verboten. Für die Opposition bleibt es dennoch das letzte Medium, um die Öffentlichkeit anzusprechen.
Eben dort verbreiteten die Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi die Anmeldung einer Solidaritätskundgebung mit dem tunesischen und dem ägyptischen Volk. Ungeachtet dessen, dass von offizieller Seite keine Genehmigung erfolgte, verbreitete sich die Nachricht in Windeseile auf Twitter, Facebook, Friendfeed, Google Reader, Balatarin und vielen weiteren (News-) Seiten. Etliche Blogs stellten die Plakate und Flyer mit Marschrouten und Zeiten auf ihre Seiten, die ebenso schnell verlinkt wurden.

Die nach dem Aufruf auf Facebook erstellte Seite „25 Bahman“ hatte innerhalb weniger Tage über 60 Tausend Mitglieder: „Wir haben weniger als eine Woche bis zur Demo, jeder von euch ist jetzt ein Medium“ war das Motto zur Verbreitung des Aufrufs zum „iranischen Tag des Zorns“. Um die Internet-Sperren zu umgehen werden seit Monaten Proxyserver und Antifilterprogramme im Ausland bereitgestellt, deren Zugänge im Land per SMS und Mund-zu-Mund verbreitet werden.
In den folgenden Tagen wurde die unter Iranern beliebte Seite Baltarin so stark angefragt, dass die Server nicht mithalten konnten: „Vielleicht werden wir auch vom Geheimdienst attackiert“, schrieb der Betreiber Mehdi Yahyanejad in Kalifornien. Eine „heiße“ Diskussion um die Demonstration entbrannte unter der Internetgemeinde. Die auf Balatarin ‚geposteten‘ Links und Kurznachrichten können von Nutzern bewertet werden. Je mehr positive Bewertungen ein Beitrag erhält, desto höher erscheint dieser auf der Seite; Umgekehrtes bewirken negative Wertungen. In gemeinsamen Aktionen können sich Nutzer verabreden, um ein Thema „heiß“ zu machen.
Dass Hackerangriffe aus dem Iran erfolgen, oder dafür geschulte Basidjis inzwischen ihre eigenen linientreuen Blogs und Facebookseiten betreiben, ist kein Geheimnis.

„Kritik hin oder her, die beiden (Mussawi und Karroubi) sind die einzigen, die etwas unternehmen, nun ist es an uns zu zeigen, dass die Protestbewegung noch existiert“.*

Die seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Sommer 2009 geführten Diskussionen über Grundsatzfragen dauerten vor der Demonstration nicht lange an. Man wurde sich einig: „Jetzt müssen wir zusammen halten“. Den beiden nicht von allen anerkannten Oppositionsführern wurde vorgeworfen, sich lächerlich zu machen, wenn sie nun um „eine Genehmigung betteln“. Denn nach § 27 der Verfassung ist keine Genehmigung für eine friedliche Kundgebung notwendig. Auf Facebook hielt ein Nutzer denen, die in Mussawi und Karroubi nur die Fortsetzung des alten Systems mit neuen Köpfen sehen vor: „Kritik hin oder her, die beiden (Mussawi und Karroubi) sind die einzigen, die etwas unternehmen, nun ist es an uns zu zeigen, dass die Protestbewegung noch existiert“.*
Für die große Masse, die keinen Internetzugang hat, wurden SMS-Ketten organisiert, Flyer und Plakate verteilt, Geldscheine mit dem Aufruf bedruckt oder an Wände und Telefonzellen geschmiert. Ein Aktivist stellte eine Anleitung ins Netz, wie man während einer U-Bahn-Fahrt über Bluetooth die Demo-Daten verbreiten kann; samt Sicherheitshinweisen, die eigene Kennung zu unterdrücken. Die Zunahme der Nachrichtenflut war bemerkenswert; ein Facebook-Nutzer schrieb: „Der Rhythmus der veröffentlichten Beiträge auf Facebook und Twitter erinnert mich an die historischen Tage vor den Wahlen“.
Nachdem es um die iranische Opposition ruhig geworden war, sahen viele in den Ereignissen in Tunesien und Ägypten ihre Chance, „erneut die Straße zu erobern“, denn „unser Kampf um die Freiheit wird auf der Straße entschieden“, war auf Facebook zu lesen. Immer wieder wurde auch angemahnt: „Mit Gewalt erreichen wir rein gar nichts, wir dürfen uns nicht provozieren lassen, unsere Radikalisierung ist das Ziel des Regimes, und unsere Niederlage“.

Noch wenige Tage vor der Montagsdemonstration hatten das iranische Regime und die Opposition die ägyptische Revolte völlig gegensätzlich gedeutet. Jede Seite sah sich selbst bestätigt und wollte die revolutionäre Energie für sich nutzen. Für die Internetgemeinde war diese Debatte geklärt, als ein Bild des jungen Helden der ägyptischen Revolte, Wael Ghonim, mit einem Grünen Band am Handgelenk bei seiner Rede auf dem Tahrir-Platz die Runde machte. Den Iranern hatte er geraten: „Lernt von Ägypten, wie wir von euch gelernt haben“. Er hatte die Facebook-Seite „Wir sind alle Khaled Said“ erstellt, der u.a. die große Teilnahme an den ägyptischen Demonstrationen zugeschrieben wird.
Als der Parlamentspräsident Ali Larijani Mubaraks Sicherheitsapparat vorhielt, dass er „mit dem Abstellen des Internets keine Probleme lösen“ würde, hatte im Netz der Hohn keine Grenzen. Aliresa Rezai von der Kampagne „Grüner Kontakt“ sagte in einem Interview, die Drosselung oder gar das Abstellen des Internets wäre ein großer Gefallen des Regimes für sie, „es würde so zum Gesprächsthema, dann würden auch diejenigen von der Demo erfahren, die selbst kein Internet haben“.

Die iranischen Proteste wurden nicht, wie in Kairo und anderswo, live im Fernsehen übertragen.

Die iranischen Proteste wurden nicht, wie in Kairo und anderswo, live im Fernsehen übertragen. Ausländische Journalisten haben weiterhin keine Dreherlaubnis. Ab Montagmittag wurden die ersten Handyaufnahmen auf Youtube hochgeladen und über Balatarin, Twitter oder Facebook verbreitet; viele erinnerten sich an die Proteste im Jahr 2009, mit ähnlichen Parolen. Brennende Barrikaden gegen das Tränengas, trommelde Jugendliche, die im Rhythmus nur „Azadi“ (Freiheit) riefen.
Auf den Aufnahmen sind Junge und Alte, Männer und Frauen, tief und symbolisch Verschleierte aus allen Schichten zu sehen, die alle gemeinsam „nieder mit der Diktatur“ skandieren. Zum Verifizierungsmerkmal für die Aktualität der Videos wurden die neuen Parolen: „Mubarak, Ben Ali, die Reihe ist nun an Seyed Ali“, womit Ayatollah Ali Khamenei gemeint war. Auch wenn die meisten Aufnahmen aus der Hauptstadt kommen, Proteste gab es auch in Isfahan, Maschhad, Kermanschah oder Schiraz.

„ich habe diese Erniedrigungen satt, ich habe diese Perspektivlosigkeit satt, ich habe diese offensichtliche Ungerechtigkeit satt“

Die Drohkulisse, die das Regime und sein Repressionsapparat in den Tagen vor der Demonstration aufgebaut hatten, nützte nicht viel. Sie konnte die Menschen nicht davon abhalten, ihre Wut und ihren Ärger auf die Straßen zu tragen: so wurde getwittert „ich habe diese Erniedrigungen satt, ich habe diese Perspektivlosigkeit satt, ich habe diese offensichtliche Ungerechtigkeit satt“. Die Regierung hatte im letzten Jahr wichtige Subventionen gestrichen, was zu einer noch höheren Preissteigerung und Inflation, gerade in Dingen des täglichen Bedarfs führte.
Die Rolle der im Ausland lebenden Iraner bei der Verbreitung der Nachrichten war immens. Die Bitte „hilft uns bei der Verbreitung der Nachrichten“ wiederholte sich aus Iran auf allen Kanälen. Häufig fragten die Menschen am Telefon zurück „sag du uns, was hier passiert!“
Das Ziel, eine Kundgebung auf dem Azadi (Freiheit) Platz abzuhalten, wurde nicht erreicht. Die Sicherheitsorgane konnten verhindern, dass die Menschen zur Marschroute gelangen. Die Videos zeugen von Gruppen von Hunderten, vielleicht Tausenden, die in unterschiedlichen Stadtteilen protestieren, Kreuzungen besetzen oder sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern.
Die beiden Oppositionsführer Mussawi und Karroubi konnten selbst nicht teilnehmen. Sie verschwanden schon einige Tage zuvor von der Bildfläche. Ihr strikter Hausarrest dauert bis heute an, nicht einmal ihre Kinder dürfen sie besuchen, ihre Telefone wurden abgeschaltet, niemand hat nähere Informationen über sie. Es wird berichtet, dass Mussawi Haus mit einer hohen Metallbarrikade umzäunt und damit zu seinem Gefängnis wurde. Der Justizchef Ayatollah Sadegh Larijani hat angekündigt, aus den Oppositionsführern „keine Helden oder Märtyrer“ machen zu wollen, aber zur „Verbreitung ihrer Lügen“ sollen sie bald keine Chance mehr erhalten.

Der Umgang des Regimes mit der Würde der Getöteten und ihren Familien beherrschte die Internetdebatten nach der Demonstration.

Die offizielle Zahl der Verhafteten beläuft sich auf 1500. Die Menschenrechtsorganisation Hrana (Human Rights Activists News Agency) schätzt die Zahl aufgrund von zusammengetragenen Augenzeugenberichten viel höher ein. Eine belastbare Zahl der Verletzten gibt es nicht. Zwei Demonstranten wurden getötet. Der Umgang des Regimes mit der Würde der Getöteten und ihren Familien beherrschte die Internetdebatten nach der Demonstration.
„Entführte Märtyrer“ war das Schlagwort. Dem jungen kurdischen Theaterstudenten Sale Zhaleh, einem der Getöteten, wurde post mortem ein Basidj-Ausweis ausgestellt. Sein Bruder berichtete in Voice of America, wie Milizionäre zuhause ein Bild von ihm abholten, ohne der Familie von seinem Tod zu berichten. Im Staatsfernsehen „verriet“ Khameneis Sprachrohr bei der Zeitung Kayhan, Hassan Shariatmadari, wie Zhaleh ihn mit „wertvollen Informationen“ versorgt hätte. Die Familie wurde unter Druck gesetzt, man verbat ihr, sich öffentlich zu äußern, der Bruder wurde inzwischen verhaftet.
Das zweite Opfer, Mohamad Mokhtari, hatte drei Tage vor der Demo in einem Kommentar während einer Facebook-Diskussion sarkastisch den gesellschaftlichen Zustand bedichtet und mit den Zeilen abgeschlossen: „Was in diesem Land Tag für Tag billiger wird, ist einzig das Menschenleben“. Die Posts auf seiner Facebook-Seite zeigen deutlich, dass er in der Protestbewegung engagiert war. Seinen Zustand beschreibt einer seiner letzten Facebook-Einträge: „Gott lass mich stehend sterben, denn ich bin es leid, sitzend zu leben in dieser Entwürdigung“. Davor hatte er kräftig für die Demo geworben.
Darauf kündigte ein Aktivist der Grünen Bewegung auf Facebook an: „Wenn ich auf der nächsten Demo erschossen werden sollte, dann bekunde ich hiermit, dass ich nie Mitglied der Basidj war, bei der Wahl Karroubi gewählt habe, und Mir Hosein hoch schätze.“
Die nächste Demo ist für diesen Sonntag (20. Februar) unter dem Motto „Warnung an den Diktator“ angekündigt. Das Internet hat erneut die wichtigste Rolle bei der Verbreitung der Informationen aus Iran inne. Eine merkwürdige Euphorie und Siegessicherheit hat sich unter den Netz-Aktivisten im In- und Ausland verbreitet. Wieder ist auf Facebook zu lesen: „Ich will nicht zu optimistisch sein, aber mein Vater… er sagt, nächstes Jahr sind wir wieder zusammen, in Teheran.“ Das so oft bemühte Bild von der Glut unter der Asche ist wieder geeignet, die Lage zu umschreiben.
*Die Namen der einzelnen Internet-Nutzer, die hier zitiert wurden, bleiben aus Sicherheitsgründen ungenannt.

Eine gekürzte Version dieses Artikels ist bei der tageszeitung ‎erschienen.‎