Ahmadinedschad reloaded?

Der einst omnipotente Geistliche Hashemi Rafsandjani ist aus dem Rennen, der politische Vatermord in der islamischen Republik ist vollbracht. Wer aber sind die Sieger, was wollen sie mit ihrer Macht? Und die wichtigste aller Fragen: War auf dem Schlachtfeld der Kandidatenauswahl tatsächlich Revolutionsführer Ayatollah Khamenei der allein Bestimmende, wie Freund und Feind behaupten? Eine Momentaufnahme der Machtverhältnisse im Gottesstaat, von Ali Sadrzadeh.
Dienstag vergangener Woche: Der iranische Innenminister Mohammad Nadjar wartet in seinem Büro auf die Liste der für die Präsidentschaftswahl am 14. Juni zugelassenen Kandidaten. Doch der Wächterrat meldet sich nicht, obwohl die gesetzliche Frist zur Eignungsprüfung der mehr als 600 Bewerber an diesem Tag abläuft. Um siebzehn Uhr schließlich schickt Nadjar die in- und ausländischen JournalistInnen mit dem Versprechen nach Hause, später, „wahrscheinlich in zwei Tagen“, die Namen persönlich bekannt zu geben. Doch dieses Versprechen wird er nicht einhalten können.
Denn am Abend, als der Minister und seine Wahlkommission längst zu Hause sind, tritt im vom Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei kontrollierten Staatsfernsehen der Sprecher des Wächterrats auf und verliest acht Namen. Der Name von Ayatollah Hashemi Rafsandjani, einst mächtigster Mann des Landes, fehlt allerdings dabei. Der eigentliche Architekt der Islamischen Republik ist also ungeeignet, Ahmadinedschads Nachfolger zu werden. Für die einen ist dies eine überraschende und enttäuschende, für die anderen eine voraussehbare und katastrophale Entscheidung. „Revolutionen fressen auch ihre Väter“, titelt die New York Times am nächsten Tag.
Wackeliger Wächterrat

Nicht zugelassen: Ali Akbar Hashemi Rafsanjani
Nicht zugelassen: Ali Akbar Hashemi Rafsanjani

Die zwölf Mitglieder des mächtigen Wächterrates werden zwar direkt oder indirekt von Khamenei selbst ernannt, doch es war immer ein offenes Geheimnis, dass mindestens vier von ihnen mit Rafsandjani sympathisieren. Am Tag der Abstimmung über die Kandidaten wackelt die Mehrheit gegen Rafsandjani allerdings. Die Sitzung des Wächterrats verläuft so dramatisch, dass der Kommandeur der Revolutionsgarden, Aziz Jafari, und Geheimdienstminister Heydar Moslehi persönlich einschreiten müssen, wie die Webseite Jaras drei Tage nach der Sitzung berichtet. Das gut informierte Nachrichtenportal beruft sich auf einen Teilnehmer und beschreibt den Ablauf der Sitzung minutiös. Diese Darstellung wird zwar offiziell nicht bestätigt, aber auch von niemandem dementiert.
Warnung vor „politischem Tsunami“
Am Tag der Entscheidung sind nur elf Mitglieder des Wächterrats anwesend. Die greisen Gelehrten beginnen um neun Uhr mit der Debatte, gegen Mittag erfolgt die erste Abstimmung. Das Ergebnis: sieben Stimmen für, vier gegen Rafsandjani. Chaos, Turbulenzen und Telefonate folgen, doch alles ist vergeblich. Gegen 14 Uhr erscheint Geheimdienstminister Heydar Moslehi mit zwei Experten seines Hauses, einer von ihnen ist zuständig für Meinungsforschung. Die Geheimdienstler erläutern den Räten, dass nach ihren Erhebungen Rafsandjani auf 51 Prozent der Stimmen käme. Bestätigte der Wächterrat seine Eignung, käme er bereits in der ersten Wahlrunde auf mindestens 71 Prozent.
Nicht zugelassen: Der Favorit des Präsidenten, Esfandiar Rahim Mashai
Nicht zugelassen: Der Favorit des Präsidenten, Esfandiar Rahim Mashai

Auch Aziz Jafari, der Kommandeur der Revolutionsgarden, spricht Warnungen aus: Eine Kandidatur Rafsandjanis mache das Land praktisch unregierbar, es drohe eine Protestbewegung, viel größer und gefährlicher als vor vier Jahren, ein politischer Tsunami, der die Ordnung des Landes gefährden würde. Nach solcher Überzeugungsarbeit verlässt ein Mitglied des Gremiums den Saal. Die übrigen zehn Wächter stimmen erneut ab, und diesmal ist das Ergebnis sechs zu vier gegen Rafsandjani: knapp, doch akzeptabel für die Sicherheitschefs, die die Sitzung des Wächterrates am späten Nachmittag verlassen. Dieser Bericht über den Ablauf der Wächterratsitzung offenbart nicht nur den Verfall der Autorität Khameneis. Er zeigt auch, wer die wahren Machthaber im Gottesstaat sind.
Rafsandjani geläutert?
Rafsandjani selbst hat sich inzwischen offenbar mit dem Votum des Wächterrats abgefunden. Mehr noch, er zeigt sich erleichtert. In seinen öffentlichen Erklärungen beharrt er weiterhin auf Mäßigung, warnt vor Protesten und verlangt von seinen Anhängern strikte Gesetzestreue. Wie eh und je empfängt er zugleich ausgewählte Gruppen der Gesellschaft und redet Tacheles über „die katastrophale Situation des Landes“. Vor seinem inzwischen aufgelösten Wahlkampfteam bezeichnete er seine Gegner als „dumme Jungs“, die nicht wüssten, was sie tun. „Hätten sie ein bisschen Vernunft, hätten sie mich erst kandidieren lassen und dann nach sechs Monaten davon gejagt“: Denn so schnell werde sich die Misere im Iran nicht verbessern, so der Achtzigjährige. Die Staatskassen seien leer, der Staat schulde Banken und Firmen annähernd 100 Milliarden Euro. Irans Konten im Ausland seien blockiert, normale Bankgeschäfte seien nicht mehr möglich, und als man 30 Milliarden Dollar nach China retten konnte, hätten die Chinesen das Geld nur gegen Gebühren in Yuan umgetauscht und böten dafür nun nur von ihnen selbst ausgewählte chinesische Waren.
Massenprotest in Teheran gegen das Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahlen 2009
Massenprotest in Teheran gegen das Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahlen 2009

Ähnlich verfahre Indien mit dem Iran. Das Ansehen des Landes und der Iraner in der Welt sei beschämend, so Rafsandjani: „Ich habe vor der Revolution mit einem Auto und einem normalen Pass viele europäische Länder besucht, ohne Visa zu benötigen. Überall war man uns gegenüber zuvorkommend. Heute aber schämt man sich, sich als normaler Iraner einer Grenze zu nähern.“ Eine fast unglaubliche politische Kehrtwende drückt sich in solchen Worten aus, beinahe ein Frontwechsel des greisen Ayatollahs, der für alles Verantwortung trägt, was in den vergangenen 33 Jahren im Iran an Recht und Unrecht geschehen ist.
Ahmadinedschad reloaded?
Wen wünschen sich nun die wahren Mächtigen, Revolutionsgarden und Geheimdienste, als künftigen Präsidenten? Prognosen sind in der Islamischen Republik bekanntlich ein schwieriges Geschäft. Denn womit man immer rechnen muss, ist die Unberechenbarkeit. Wenn alles so bleibt wie jetzt, läuft das Ganze auf Saeed Jalili, den iranischen Unterhändler bei den Atomgesprächen, hinaus. Jalili und Präsident Ahmadinedschad sind Brüder im Geiste: in ihrer Verbindung zu den Geheimdiensten ebenso wie in ihrer tiefen Religiosität, ihrer demonstrativen Volksnähe, ihrer Einfachheit und vor allem ihrer antiwestlichen und antiisraelischen Haltung.
Bei seinem ersten Wahlkampfauftritt am vergangenen Freitag sagte Jalili: „Wir wollen die Wurzeln des zionistischen Regimes austrocknen.“ Und nach allem, was man von ihm weiß, sind solche Äußerungen keine Wahlkampfrhetorik. Jalilis Doktorarbeit trägt den Titel “Die Diplomatie des Propheten“ – und handelt von Kriegen, die der Prophet Mohammed gegen die widerspenstigen Juden führte. Was das in Zeiten harter Sanktionen gegen den Iran bedeutet, lässt sich erahnen. Jalili sei immer Ahmadinedschads Plan B gewesen, meinen viele. Kein Wunder,  dass der Präsident kaum protestierte, als sein eigentlicher Favorit Rahim Maschaei abgelehnt wurde.