Todesurteil gegen Pastor – „Druckmittel gegen den Westen“

Der Fall des evangelischen Pastors Joucef Nadarckani sorgt weltweit für Entsetzen. Der 34jährige sitzt seit zwei Jahren im Iran im Gefängnis, weil er zum Christentum konvertiert ist. Der Iran-Experte Mehrdad Darvishpour sagt im Gespräch mit TFI, der internationale Druck könne die Vollstreckung dieses Urteils verhindern.

Joucef Nadarkhani konvertierte im Alter von 19 Jahren zum Christentum. Bis vor zwei Jahren leitete er eine kleine protestantische Gemeinde in der nordiranischen Stadt Rasht. Dann wurde er festgenommen und zum Tode verurteilt. Das Angebot der Behörden, sich für einen Freispruch vom Christentum loszusagen, lehnte Nadarkhani ab. „Ich bin unbeirrbar in meinem Glauben an das Christentum. Ich habe nicht den Wunsch, meinem Glauben abzuschwören“, sagte er der britischen Zeitung Times.
Zahlreiche Politiker aus den USA und Großbritannien, das EU-Parlament und Menschenrechtsorganisationen sprachen sich für die Freilassung des Pastors aus. Auch die Bundesregierung bestellte den iranischen Botschafter ein und forderte „mit Nachdruck” eine Aufhebung des Todesurteils.
Über die drohende Todesstrafe für Joucef Nadarkhani sprach TFI mit dem in Schweden lebenden Iran-Experten und Universitätsdozenten Mehrdad Darvishpour.

TFI: Herr Darvishpour, bei Internetrecherchen gewinnt man den Eindruck, die Zahl der Übertritte zum Christentum im Iran steige. Ist dieser Eindruck richtig, und was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Mehrdad Darvishpour: Ja, das stimmt. Die steigende Zahl von Übertritten ist eine Reaktion der Menschen darauf, dass sie sich von dem islamisch-totalitären Regime im Iran unterdrückt fühlen. Es gibt verschiedene Methoden, sich von dieser Regierung und vom Islam zu distanzieren. Viele kehren wieder zum zarathustrischen Glauben (eine altiranische Religion, Anm.d.Red.) zurück – auch mit der Begründung, der Islam sei keine iranische Religion, sondern die der Araber. Eine andere Reaktion ist die Abkehr von jeglicher Religion. Viele Menschen im Iran wollen überhaupt keiner  Religionsgemeinschaft mehr angehören. Daneben verzeichnen wir diesen Anstieg der Konversion zum Christentum. Diese Religion ist für viele eine Alternative – oder schärfer formuliert – eine Konkurrenzreligion zum Islam. Sie wollen westlich denken, westlich leben, und greifen deshalb zu einer westlichen Religion. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Menschen im Iran, die sich zum Satanismus und zur Esoterik hingezogen fühlen.
Wie reagiert die Regierung auf diese Entwicklung?

Mehrdad Darvishpour: Ich glaube, dass die Regierung bei einer heftigen Reaktion aus dem Ausland einen Rückzieher machen wird.
Mehrdad Darvishpour: Ich glaube, dass die Regierung bei einer heftigen Reaktion aus dem Ausland einen Rückzieher machen wird.

Die offiziellen und die inoffiziellen Reaktionen der Regierung unterscheiden sich. Ist jemand Christ, wird er aus islamischer Sicht offiziell geduldet. Andererseits werden im Iran alle Andersdenkenden, nicht nur Christen, unterdrückt. Und wenn jemand vom Islam zum Christentum übertritt, tut er etwas Verbotenes und gilt damit als ungläubig. Dafür sieht das islamische Recht die Todesstrafe vor. Aber ob die Regierung diese Strafe tatsächlich vollzieht, ist im Hinblick auf die internationalen Reaktionen, die eine so begründete Hinrichtung mit sich bringt, eine andere Frage. Viele Fälle werden deshalb einfach ignoriert. Braucht die Regierung aber ein Mittel, um in bestimmten Situationen international von sich reden zu machen oder politischen Nutzen zu haben, kann es durchaus sein, dass sie die Hinrichtung eines Konvertiten dafür nutzt.
Welche Probleme haben Christen und andere Minderheiten im Iran?
Schon der Bau einer Kirche bringt enorme Probleme mit sich. Außerdem werden Christen viele Rechte, die Muslime haben, vorenthalten. Wenn etwa Präsidentschaftswahlen im Land anstehen, können Sie als Christ nicht dafür kandidieren. Sie müssen schiitischer Moslem sein. Nicht einmal Sunniten dürfen kandidieren, obwohl sie auch Muslime sind. So werden Christen ständig unterdrückt und sind vielen Verboten ausgesetzt. Christen haben auch große Probleme, für ihre Religion zu werben und zu missionieren. Außerdem kann ein männlicher Christ keine Muslimin heiraten. Dafür müsste er zum Islam konvertieren. Und dabei steht das Christentum im Iran noch relativ gut da. Es gibt andere Religionsgemeinschaften wie die der Bahai oder der Juden, denen es noch wesentlich schlechter geht. Sie werden regelrecht unterdrückt und oft festgenommen.
Der Fall von Jousef Nadarckani ist ja kein Einzelfall. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er hingerichtet wird?
Aus politischer Sicht wäre der Preis, den die Regierung dafür zahlen müsste, sehr hoch. Denn es werden Reaktionen aus dem Ausland kommen. Deshalb glaube ich, dass die Funktionäre sich das sehr genau überlegen und vorsichtig vorgehen werden. Je mehr Menschen sich zu dem Fall äußern und Beschwerde einlegen, desto geringer ist die Chance, dass die Hinrichtung vollzogen wird. Ich denke, man hat nicht zufällig Herrn Nadarkhani verhaftet. Er wird als politisches Druckmittel gegen den Westen benutzt. Immer wenn die iranische Regierung den Westen zu erpressen versucht oder umgekehrt den Druck aus dem Westen entschärfen will, greift sie zu so einer Waffe.
Sind Sie wirklich überzeugt, dass der Druck aus dem Ausland, aus der Politik oder durch Menschenrechtsorganisationen, nützen wird?
Auf jeden Fall. Meine vorsichtige Prognose ist, dass die Regierung sich so eine Tat nicht leisten kann – auch wenn so etwas bei diesem Regime schwer abzuschätzen ist. Aber ich glaube, dass die Regierung bei einer heftigen Reaktion aus dem Ausland einen Rückzieher machen wird.
Interview: Bamdad Esmaili

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Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen leben im Iran rund 300.000 Christen. Das sind etwa 0,4 Prozent der rund 77 Millionen Einwohner des Irans. Die Mehrheit der Iraner, 98%, sind Muslime.