War die Revolution ein Fehler?

E. T.: Es gibt im Iran eine politische und wirtschaftliche Krise, die auch von den Mitgliedern der Regierung zugegeben wird. Die Unzufriedenheit ist enorm. Die Mittelschicht nähert sich immer weiter der Unterschicht. Sollte die Mittelschicht auf die Straße gehen, werden wir eine Revolution erleben. Die Frage ist, wie die Opposition darauf reagiert.

M. B.: Die sozialen Medien haben den Charakter der iranischen Gesellschaft verändert. Wir haben mit ganz anderen sozialen Gruppierungen zu tun. Die früheren Aufteilungen in Ober- oder Unterschicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten greift nicht mehr. Wir haben mit kulturell unterschiedlich beeinflussten Schichten zu tun, die ineinandergreifen. Das Potenzial für eine Veränderung ist da, mehr denn je. Die Menschen sind viel aufgeklärter als früher. Dabei gibt es eine Jugend, die nicht nur die politische Frage stellt, sondern auf das eigene Leben, das eigene Schicksal fokussiert ist.

F. P.: Was wäre die Alternative zum islamischen Regime?

M. B.: Im Iran ist nie eine große Veränderung zustande gekommen ohne eine Verbindung zu weltpolitischen Ereignissen. Zum Beispiel: Die Qadscharen-Dynastie wurde abgeschafft und Reza Schah kam an die Macht – das war das Ergebnis des Ersten Weltkrieges. Ohne diesen Krieg hätten die Briten ihre Position zum Iran nicht verändert. Reza Schah wurde abgesetzt und durch seinen Sohn ersetzt – eine Folge des Zweiten Weltkrieges, denn Reza Schah sympathisierte mit dem Nazi-Regime in Deutschland. Oder der CIA-Putsch 1953: Der war auch den Vorstellungen der Amerikaner und Engländer, was im Iran passieren müsse, zu verdanken. Die Revolution von 1979 hätte ohne die Menschenrechtspolitik von Jimmy Carter, also das Verneinen von Diktaturen von Einzelpersonen durch die US-Regierung, nicht stattgefunden. Auch jetzt wird im Iran nichts Großes passieren, ohne dass es einen internationalen Link gibt. Das könnte die Anwesenheit der Iraner an der Grenze zu Israel in Syrien sein, ein Zusammenhang mit der libanesischen Hisbollah oder die Atom- oder Raketenfrage. Natürlich braucht es einen Aufstand innerhalb des Iran, aber der würde dann durch äußere Faktoren beschleunigt werden. Die Angst der Machthaber im Iran vor Trump oder Israel ist verständlich, denn die Unzufriedenheit ist sehr groß und ein Aufstand steht bevor. Wenn sie klug sind, werden sie sich mit den Amerikanern einigen. Aber es sieht nicht so aus. Das wäre eine Chance für die Opposition, sich zu behaupten. Ich sehe die Zeit gekommen, dass eine große Koalition im Land entstehen kann zwischen den Republikanern, Linken, Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, Monarchisten und ethnischen Gruppen. Eine solche Koalition kann eine Basis schaffen, um mit dem Link zum Ausland eine grundlegende Veränderung im Iran zustande zu bringen.
Die Islamische Republik 39 Jahre nach der Revolution:

F. P.: Lässt das Regime so etwa zu?

M. B.: Ja. Es hängt davon ab, wie weit die Bevölkerung bereit ist, den derzeitigen Zustand auszuhalten. Und ich glaube nicht, dass es lange dauern wird. Wenn der Druck von unten durch Proteste und Streiks stark wird und der Ölhahn zugedreht wird, kann eine glaubwürdige breite Opposition entstehen und das Regime wird das zulassen müssen.

E. T.: Ich stimme dem zu. Die Islamisierung der Gesellschaft, also das größte Ziel der Islamischen Republik, ist gescheitert, ebenso der Wunsch nach dem Export der Revolution. Die neue Generation hat mit der revolutionären Generation nichts zu tun. Sie ist viel mutiger als die zweite Generation nach der Revolution und möchte ihre eigene Erfahrung machen. Da muss die Opposition mitgehen. Die Voraussetzung dafür ist, dass die oppositionellen Gruppierungen einen Mindestkonsens eingehen. Wichtig ist dabei: Die Veränderung muss von innen kommen. Wir als Oppositionellen im Ausland haben nur eine Pflicht, und das ist zusammenkommen, das heißt, eine Union der Opposition auf einer demokratischen Basis zu schaffen.

M. B.: Ich denke, die Mehrheit der oppositionellen Gruppierungen hat einen demokratischen Wandel durchgemacht. Von ihrer Programmatik her sind sie sehr nah beieinander. Sie sind auch bereit, miteinander zu kooperieren. Sie müssten sich nur auf einige Punkte einigen.

F. P.: Und die wären?

M.B.: Um nur ein paar von den wichtigsten zu nennen: die territoriale Einheit des Landes, die Trennung von Staat und Religion oder Ideologie, eine säkulare parlamentarische Demokratie, gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten und zu Israel und den USA. Eine Opposition, die nicht vom Westen unterstützt wird, hat keine Chance. Außerdem muss man sich mit einem Teil der jetzigen Machtzirkel einigen – um Blutvergießen zu vermeiden. Es können Teile der Reformer sein oder der Revolutionswächter oder beide. Und diese werden dann mit der Opposition zusammenarbeiten, wenn der Umsturz kurz bevor steht. Also ähnlich wie in der Sowjetunion.♦

© Iran Journal

Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC und gilt als Experte für internationale Beziehungen.

Dr. Esfandiar Tabari, geboren 1962, ist politischer Aktivist und promovierter Philosoph und Physiker und assoziierter Universitätsforscher an der Universität UMIT in Hall in Tirol. Er wohnt in Tübingen. Seine Forschungsbereiche sind politische Philosophie, Moralphilosophie und Altersphilosophie. Von ihm sind zahlreiche Bücher und Artikeln über Politik, Autonomie, Gerechtigkeit, Digitalisierung, Gerontologie  und iranische Philosophie entstanden.

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