War die Revolution ein Fehler?

E. T.: Kaum. Der Dichter Ahmad Shamlou schreibt in seinen Memoiren, dass er Jean Paul Sartre, mit dem er befreundet war, angeschrieben und gefragt hatte: Warum gratulierst Du uns nicht, wir haben gerade eine Revolution zustande gebracht? Sartre antwortet: Das ist doch der Sieg des Islams und keine Revolution. Ihr braucht eine Revolution, um Euch von der islamischen Autorität zu befreien!

F. P.: Waren Sie an der Revolution beteiligt?

E. T.: Ja. Vor der Revolution war ich in Kontakt mit den Volks-Mudschahedin. Mein Bruder war ein Funktionär dieser Organisation. Das Interessante war, dass wir etwa drei Jahre vor der Revolution frei waren, in den Moscheen politisch aktiv zu sein. Damals waren die Moscheen sehr gut vernetzt und organisiert, aber das hat das Schah-Regime nicht gestört.

F. P.: Wie alt waren Sie?

E. T.: Ich begann meine politischen Aktivitäten mit 15 Jahren, habe viele Bücher gelesen und strebte schon damals nach dem politischen Wandel. Ich war erst mit den Mudschahedin, bis sie sich von der Revolution distanzierten. Da habe ich mich von ihnen getrennt und der Tudeh-Partei angeschlossen, die weiterhin Khomeini unterstützte. Nach zwei Jahren habe ich mich auch von Tudeh getrennt, weil ich es nicht richtig fand, Khomeini ohne Wenn und Aber zu unterstützen.

F. P.: Und Sie, Herr Barati?

M. B.: Ich war nicht direkt an der Revolution beteiligt, sondern mehr Beobachter der Ereignisse. Ende Januar 1979, etwa zwei Wochen vor dem Siegestag der Revolution, bin ich in den Iran zurückgereist. Davor war ich 16 Jahre im deutschen Exil. Ich war mit der Familie von Dr. Mobascheri, dem ersten Justizminister der provisorischen Regierung, eng befreundet. Gleich nach dem Sieg der Revolution wurde Mobasheri Justizminister der Revolutionsregierung. In Teheran saß ich zwei bis drei Tage in der Woche in seinem Büro im Justizministerium und erfuhr sozusagen indirekt von den Geschehnissen in der Hauptstadt. Das, was ich dort mitbekam, war alles andere als freiheitsversprechend.

An der Revolution waren alle gesellschaftlichen Schichten beteiligt
An der Revolution waren alle gesellschaftlichen Schichten beteiligt

 
F. P.: Was haben Sie mitbekommen?

M. B.:. Dort habe ich mit der Zeit auch die Namen der Mitglieder des sogenannten Revolutionsrates erfahren. Darunter waren Leute, mit denen keine Freiheit zu erlangen war. Ich war irritiert, vor und nach dem Sieg der Revolution. Ich bekam mit, dass schon in den Anfangsmonaten der Revolution der Mob auf der Straße Justiz ausüben und das Scharia-Gesetz praktizieren wollte, etwa das Handabhacken von Dieben oder Lynchen von vermeintlichen Angehörigen von Savak, dem Geheimdienst des Schahs. Ich kam ja aus der linken Ecke und stand im engen Kontakt und Meinungsaustausch mit meinen parteipolitisch aktiven Freunden, zum Beispiel in der Nationaldemokratischen Front. Aber ich konnte mich für keine Gruppe der Opposition begeistern.

F. P.: Und in Deutschland?

M. B.: In Deutschland war ich in den letzten fünf, sechs Jahren vor der Revolution aktiv, aber nicht Mitglied einer politischen Partei oder Organisation. Etwa fünf Jahre vor der Revolution hatte ich mich von der Konföderation iranischer Studenten (CISNU) getrennt. Dann habe ich mit einigen namhaften deutschen Politikern und Intellektuellen, unter anderem dem ehemaligen Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, ein Iran-Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte gegründet. Albertz war während des Schah-Besuches 1967 Regierender Bürgermeister von Berlin und wurde infolge der Ereignisse des 2. Juni gestürzt. Wir haben viele Jahre gute Menschenrechtsarbeit geleistet und konnten unter anderem die Familien der politischen Gefangenen im Iran finanziell unterstützen.

F. P.: Was haben Sie sich von der Revolution versprochen?

M. B.: Ich muss selbstkritisch sagen, dass ich – obwohl ich Khomeinis Schriften und Absichten kannte – die Revolution im Iran befürwortet habe. Ich war bis zu meiner Rückkehr in den Iran Anhänger der Revolution. Die Nationale Front zum Beispiel habe ich für konservativ gehalten, weil sie nach meiner Meinung eigentlich keine Revolution wollte, sondern politische Reformen innerhalb des Schah-Systems bevorzugte. Ich habe gedacht, dass nicht die Religiösen, sondern die säkularen Kräfte am Ende siegen und eine parlamentarische Demokratie errichten würden. Ich ging wie die meisten von der falschen Annahme aus, dass die Mullahs doch keinen Staat führen könnten. Aber in den Tagen nach der Revolution habe ich diese Illusion verloren.
Die letzten Tage des Schahs und die Rückkehr Khomeinis:

F. P.: Und Sie, Herr Tabari?

F. T.: Ich habe in den ersten Monaten nach der Revolution wunderbare Erfahrungen gemacht. Die politischen Organisationen haben sich Büros eingerichtet und es begann eine Zeit der Diskussionen und des Meinungsaustausches, eine friedliche Zeit. Das war vielversprechend und ich war guter Hoffnung. Aber dann kam die Enttäuschung, eine riesige Enttäuschung: die Verhaftungen und die Unterdrückung aller kritischen Stimmen.

F. P.: Was Sie sich von der Revolution erwünscht haben, ist nicht eingetreten. Kann man sagen, dass die Revolution ein Fehler war?

M. B.: Alle Revolutionen sind Fehler. Ich kenne keine Revolution, die etwas Gutes mit sich gebracht hat. Revolutionen werden durch bestimmte Personen oder Gruppen geführt. Diese beanspruchen dann die Macht. Ich kenne keine Revolution, bei der hinterher die Macht freiwillig geteilt oder abgegeben wurde.

E. T.: Für mich stellt sich die Frage gar nicht, ob die Revolution ein Fehler war oder nicht. Revolutionen sind sehr wichtig. Epochale Veränderungen sind durch Revolutionen entstanden. Das markanteste Beispiel ist die französische Revolution. Selbst die iranische Revolution von 1979 war notwendig. Sie war ein natürlicher Prozess, der seinen Ursprung in der Konstitutionellen Revolution von 1905 bis 1911 hatte. Der Revolutionsgedanke ist etwas Rebellisches, etwas grundlegend Veränderndes. Er hat ein enormes Aufklärungspotenzial und gibt der Gesellschaft eine Vision. Dass die iranische Revolution diesen Verlauf genommen hat, ist der Fehler der politischen Elite und nicht der der Bevölkerung. Die politische Elite war nicht in der Lage, die Gunst der Stunde für sich zu nutzen – und die Islamisten haben sie für sich genutzt.

M. B.: Den Anteil der politischen Eliten an diesem Prozess können wir darauf beschränken, dass sie nicht die notwendige Aufklärung betrieben haben. Unser Volk ist auch schuld an dem, was passiert ist. Es hat keine Aufklärung erlebt und deshalb brachte es eine solche Revolution hervor. Das Volk war prädestiniert für eine solche Manipulation.

F. P.: Viele Beobachter sind der Meinung, dass die Situation heute der vorrevolutionären Zeit vor 40 Jahren ähnelt. Wie sehen Sie das?
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