Zwangsverschleierung als Symbol der Gewalt gegen Frauen

Die erste Kampagne gegen Zwangsverschleierung wurde im Jahr 2012 unter dem Namen „Nein zur Zwangsverschleierung“ von einer Gruppe von StudentInnen, die zwischen 2009 und 2011 den Iran verlassen hatten, organisiert. Sie interpretierte die Zwangsverschleierung als direkte Gewalt an Frauen.

Bereits zuvor hatte es unter Exiliranerinnen Diskussionen über das Thema gegeben. Doch wegen unterschiedlicher Auffassungen und Herangehensweisen war man nicht zu gemeinsamen Aktionen gekommen. Mit der Kampagne „Nein zur Zwangsverschleierung“ gelang das. Durch ihre Verbindungen in die Zivilgesellschaft im Iran, gleiche Sichtweisen der Aktivistinnen im In- und Ausland und die Beteiligung religiöser und nicht religiöser Aktivistinnen erlangte die Kampagne Aufmerksamkeit sowohl bei Aktivistinnen im In- wie bei Feministinnen im Ausland.

Eine andere Kampagne wurde 2013, zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlkämpfen, unter dem Namen „Ich wähle ohne Verschleierung“ von einer jungen Aktivistin ins Leben gerufen. Ziel waren Iranerinnen im Ausland, die an den Wahlen teilnehmen wollten. Die Kampagne forderte sie auf, ohne Verschleierung in die Botschaften der Islamischen Republik Iran in ihren jeweiligen Ländern zu gehen und ihre Stimmen abzugeben, obgleich in den politischen Vertretungen des Iran im Ausland Verschleierungszwang gilt. Diese Kampagne dauerte nur drei Tage, hatte aber trotzdem große Wirkung auf die Diskussion über die Kleidervorschriften. Erstmals forderten Aktivistinnen direkt von Präsidentschaftskandidaten das Recht auf freie Wahl ihrer Kleidung.

Dann wurde die Facebook-Kampagne „Meine heimlichen Freiheiten“ von der Journalistin Masih Alinejad gestartet. Es wäre nicht abwegig zu behaupten, dass sie ihre Wurzel in den beiden vorangegangen Kampagnen hat.

Fokus auf Zwangsverschleierung

Foto aus der Facebook-Seite "StealthyFreedom"
Foto aus der Facebook-Seite „StealthyFreedom“

In den vergangenen zwei Jahren haben sich noch mehr persischsprachige Nachrichtenportale im Ausland zum Tag gegen Gewalt an Frauen mit dem Thema befasst. Sie fragten bekannte iranische Aktivistinnen etwa nach den schweren Gewalttaten an Frauen im Iran. Deren Antworten belegen die Bedeutung des Widerstands gegen Zwangsverschleierung als staatliche Gewalt gegen Frauen. Viele Gruppen, Webseiten und bekannte Aktivistinnen innerhalb des Iran betrachten das Thema Zwangsverschleierung als Ausgangspunkt diverser Formen öffentlicher Gewalt gegen Frauen wie Säureattacken oder physische Angriffe.

Die Mehrheit hält die Zwangsverschleierung für physische, psychische, wirtschaftliche und soziale Gewalt an Frauen: physische Gewalt, weil der Körper der Frauen davon betroffen ist; psychische Gewalt, weil die Frau ständig in Angst vor Strafe leben muss; wirtschaftliche Gewalt, weil Frauen, deren Bekleidung nicht dem staatlichen Codex entspricht, nicht in staatlichen Einrichtungen arbeiten dürfen; und soziale Gewalt, weil das Thema Zwangsverschleierung sich bis in die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt. Unterschiedliche Auffassungen von „richtigen“ Kleidervorschriften haben sich auch unter Frauen zum Konfliktstoff entwickelt.

Das gemeinsame Streben religiöser, nicht religiöser, reformistischer und moderater Aktivistinnen im Inland und Ausland sowie die Stellungnahmen einiger Parlamentsabgeordneter und Regierungsmitglieder weisen auf die Notwendigkeit einer dringenden Antwort auf die Frage nach der Zwangsverschleierung im Iran hin. Diese Einigkeit ist den Feministinnen in der Diaspora zu verdanken, die das öffentliche Sprechen über die Zwangsverschleierung enttabuisiert haben.

  MANSOUREH SHOJAEE*

*Mansoureh Shojaee ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Aktivistin der iranischen Frauenbewegung. Sie gehört zu den Gründerinnen der Website http://www.feministschool.com. Seit 2010 lebt sie in Deutschland und hat ein Stipendium der P.E.N.-Stiftung für die Untersuchung der Beziehung zwischen der Frauenbewegung und der grünen Bewegung im Iran.

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