Die Folgen der Iran-Sanktionen für Erdogan

Das Abrücken des türkischen Präsidenten von den USA sei eine „unbeabsichtigte Folge“ der Sanktionspolitik Washingtons gegen den Iran,  meint Stefan Buchen in seiner Analyse: Anstoß sei ein Gerichtsverfahren gegen einen Goldhändler in den USA gewesen.
Neu ist jener politisch brisante Strafprozess vor einem Gericht in New York für deutsche Leser nicht. Man konnte erfahren, dass ein türkischer Bankmanager angeklagt ist. Ein umtriebiger Goldhändler, der ursprünglich auch angeklagt war, hat sich für schuldig erklärt und ist dann zum Kronzeugen der Staatsanwaltschaft mutiert.
Die politische Brisanz des Strafverfahrens wird meist damit erklärt, dass es die Korruption im Staate Erdogan offenlege. Bei windigen Geschäften kassierten Minister, Vertraute und die Familie des türkischen Präsidenten Prozente. Weil es um den Einkauf von Öl und Gas in Milliardenhöhe ging, bedeuteten „Prozente“ für die einzelnen Nutznießer einen Geldsegen von jeweils einigen Millionen Euro. „Erdogan unter Druck“, so eine hierzulande gängige Deutung der Enthüllungen durch die amerikanische Justiz.
Unbemerkt blieben auch die heftigen Reaktionen von Recep Tayyip Erdogan nicht. „Ein Komplott gegen die Türkei“ sei dieses Gerichtsverfahren in Amerika. Washington habe sich mit der Gülen-Bewegung gegen die türkische Regierung und das ganze Land „verschworen“. Die gängige Deutung dieser Äußerungen: typisches Diktatorengehabe! Wenn die eigenen Fehler aufgedeckt werden, versucht der autoritäre Machthaber, sein Volk hinter sich zu scharen, indem er die Sache als einen böswilligen Angriff aus dem Ausland darstellt.
So interessant und zutreffend die Enthüllungen über Selbstbedienung im System Erdogan sein und so erheiternd die plumpen Abwiegelungen durch den Bloßgestellten auch wirken mögen, so gehen derartige Medienberichte doch am Kern der Geschichte vorbei.
Der Kern, das ist das weltpolitische Drama, das sich hier entfaltet. Genauer gesagt: die Geschichte steht für das Bemühen der Vereinigten Staaten von Amerika, den Gegner Iran mit Wirtschaftssanktionen zu treffen, und für die unbeabsichtigten Folgen, die diese Politik hervorbringt.
Ein iranisch-türkisches Netzwerk
Die Fakten in Kürze: im Januar 2013 landet eine Maschine aus Ghana auf dem Flughafen in Istanbul. Der türkische Zoll findet Gold an Bord. Die zugehörigen Papiere werfen die Frage auf, ob die Fracht legal ist. Türkische Ermittler nehmen sich des Falls an. Sie stoßen auf ein Netzwerk aus türkischen und iranischen Geschäftsleuten, Firmen, Banken und Politikern.
Die Spinne im Netz ist der Goldhändler Reza Zarrab aus Täbris im Nordwesten des Iran. In der geschichtsträchtigen Handelsmetropole sprechen viele sowohl persisch als türkisch, so auch der damals erst 29-jährige Zarrab. Er schuf ein kompliziertes Tauschsystem. Die Türkei bezahlte die Öl- und Gaslieferungen, die sie aus dem Iran erhielt, mit purem Gold. Zarrabs Boten brachten das Zahlungsmittel barrenweise über die Grenze in den Iran. Normale Geldüberweisungen in den Iran waren seit 2011 unmöglich, weil iranische Banken durch die Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten waren.

Der Goldhändler Reza Zarrab
Der Goldhändler Reza Zarrab

Am 17. Dezember 2013 schlagen die türkischen Ermittler zu. Sie nehmen Zarrab und weitere Verdächtige fest. Es ist inzwischen klar, dass dieser Tag einen Wendepunkt der türkischen Geschichte markiert. Viele der an den Ermittlungen beteiligten Polizisten und Staatsanwälte sind Anhänger der Gülen-Bewegung.
Die Strafverfolger werfen Erdogan und seinen Leuten nun Korruption vor, weil sie an den Geschäften persönlich mitverdient haben sollen. Erdogan begreift es als Angriff auf seine Macht. Er schlägt die Verfahren nieder. Die Beschuldigten kommen wieder frei, auch Zarrab, der seine Geschäfte prompt wieder aufnimmt. Die Polizisten und Staatsanwälte sitzen nun ihrerseits im Gefängnis, wenn sie nicht ins Ausland geflüchtet sind.
Im März 2016 begeht Zarrab die Unvorsichtigkeit, mit Frau und Tochter nach Disneyland in Florida zu reisen. Am Flughafen in Miami wird er festgenommen. Ein Jahr später verhaftet das FBI auch Mehmet Hakan Atilla, Manager der türkischen Halkbank, bei der Zarrab Konten hat. Die Amerikaner schnappen sich Atilla am Flughafen in New York. Der türkische Banker wollte offenbar an einem Fachkongress teilnehmen.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft New York gegen Zarrab und Atilla sowie die Gerichtsverhandlung Ende 2017 lassen die Geschichte nun in neuem Licht erscheinen. Es wird deutlich, wie tief die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika von Beginn an in die Sache involviert gewesen ist.
Ein „ökonomischer Dschihad“
Amerikanische Behörden waren Zarrab und seinem Netzwerk schon auf der Spur, lange bevor die türkischen Ermittler sich für die Sache interessierten. Die New Yorker Staatsanwälte zitieren eine Email, mit der Zarrab sich an die iranische Zentralbank wandte. Der Goldhändler bietet darin der iranischen Führung seine Hilfe dabei an, trotz feindlicher Sanktionen die Handelsbeziehungen Irans mit dem Ausland aufrecht zu erhalten.
Zarrab nimmt in dem Schreiben Bezug auf Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und dessen Wort vom „ökonomischen Dschihad“. Er präsentiert sich als guter Staatsbürger der Islamischen Repu Diese Email ist vom 3. Dezember 2011. Außerdem zitieren die US-Ankläger Emails von iranischen Bankmitarbeitern und Vertretern der nationalen Ölgesellschaft, die im Laufe des Jahres 2011 verschickt worden seien. Darin zeigen sich die Iraner alarmiert darüber, dass Geldüberweisungen für Öllieferungen ins Ausland nicht mehr ausgeführt werden konnten. Die türkischen Ermittlungen beginnen, wie gesagt, erst im Januar 2013.
Woher haben die Amerikaner ihre Informationen? Von den Türken? Doch wohl eher von den eigenen gut ausgestatteten Geheimdiensten! Vor dem Gericht in New York sagen zwei ehemalige Top-Beamte des US-amerikanischen Finanzministeriums (Treasury) aus: Adam Szubin und David S. Cohen. Beide waren zuständig für die Bekämpfung der „Terrorfinanzierung“.
Die Halkbank im Fadenkreuz der US-Ermittler
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