Das Jahr des Absturzes und der Flucht?

Die Warnungen von Politikern wie Ahmadinedschad oder Experten wie Zibakalam spiegeln die große Unzufriedenheit wider, die in den vergangenen Jahren ständig zugenommen und unter anderem das „politische Erdbeben“ vom Januar herbeigerufen hat. Und die Proteste reißen seither nicht mehr ab. Es vergeht keine Woche, in der nicht Arbeiter wegen monatelang ausgebliebener Löhne streiken – die letzte in Haft-Tappeh, am 28. März. Auch die Rentner sind unzufrieden.
Und auch die Frauen leisten weiterhin Widerstand. In den vergangenen Monaten protestierten viele von ihnen in verschiedenen Städten des Iran gegen die staatlichen Bekleidungsvorschriften, indem sie ihre Kopftücher an einen Stock gebunden in die Höhe hielten und sich ohne Kopfbedeckung filmen und fotografieren ließen.
Anfang Februar versammelten sich mehrere hundert Derwische in Teheran vor dem Haus ihres Mentors Nour Ali Tabandeh, um ihn vor Einschränkungen durch die Sicherheitskräfte zu schützen. In einer brutalen Auseinandersetzung mit der Polizei und den Sicherheitskräften wurden mindestens fünf Polizisten und Sicherheitsleute getötet. Mehrere Derwische wurden zusammengeschlagen, Hunderte festgenommen, einer von ihnen starb nach der Festnahme unter bislang ungeklärten Umständen.

Eine Frauen-Demonstration in Teheran (auf dem Plakat steht: "Frau=Mann", "Gleiche Rechte")
Eine Frauen-Demonstration in Teheran (auf dem Plakat steht: „Frau=Mann“, „Gleiche Rechte“)

 
„Mit dem Rücken zum Feind“
Für großes Aufsehen sorgte auch ein Protest der Bauern in der Stadt Isfahan. Beim letzten Freitagsgebet des vergangenen iranischen Jahres am 16. März hatten sie dem Vorbeter den Rücken zugedreht und dabei gerufen: „Mit dem Rücken zum Feind, mit dem Gesicht zur Heimat!“
Die Bauern im Ostteil von Isfahan haben in den vergangenen Wochen mehrere Kundgebungen gegen „das Missmanagement der Wasserreserven“ organisiert. Bei einem ihrer Proteste ging die Polizei gewaltsam gegen sie vor.
Die Wassermenge des Flusses Zayandehroud, einer der wichtigsten Wasserquellen der Provinz Isfahan, geht seit Jahren zurück. Doch da die Wüstenprovinz Yazd noch stärker von Wasserknappheit betroffen ist, wird ein Teil des Flusses in Richtung der Nachbarprovinz umgeleitet. Die Bauern von Isfahan sehen dadurch ihre eigene Existenz bedroht und protestieren dagegen.
Der Freitagsvorbeter der Stadt Isfahan nannte die protestierenden Bauern „Nachahmer von England und den Zionisten“. Im Jargon der Islamischen Republik werden die Israelis als „Zionisten“ bezeichnet. „Diejenigen, die wiederholen, was die Organe der Engländer und der Zionisten verbreiten, müssen sich schämen. Wir müssen gegen Pläne, die die Stagnation der islamischen Revolution zum Ziel haben, wachsamer vorgehen.“ Damit wiederholte der Freitagprediger von Isfahan die Position des Obersten Religionsführers des Landes. In Ayatollah Ali Khameneis Augen ist jegliche Art von Protesten fremdgesteuert, meist von den USA, Israel oder Saudi-Arabien.
Am 26. Februar erschien eine Stellungnahme von Khamenei auf seiner offiziellen Homepage, in der er feststellte, dass die Feinde stets versuchten, unter den Arbeitern Unruhe zu stiften und somit „Rezession“ zu verursachen und die Arbeit in den Fabriken zum Erliegen bringen. Die Arbeiter hätten jedoch mit „Einsicht dagegengehalten und die Hand des Feindes zurückgewiesen.“
Der geistliche Führer der Islamischen Republik Iran ließ kurz vor dem iranischen Neujahr – am 20. März – wissen: „Es gibt kein Problem im Iran, das man nicht lösen kann.“
Die Ironie der Geschichte ist jedoch, dass er der Inbegriff eines Systems ist, das 70 Prozent der Bevölkerung nicht will. Khamenei beherrscht den Iran mit eiserner Hand und gilt in den Augen der Kritiker als das größte Problem des Landes. Kann man dieses Problem ohne Gewalt aus der Welt schaffen? Vielleicht mit millionenfachem Summen des Liedes: „Das Jahr des Absturzes, der Flucht, des Wartens“?
  SEPEHR LORESTANI
Übertragen aus dem Persischen von Iman Aslani

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