Präventive gewaltlose humanitäre Intervention

Ein zentrales Problem der Diskussion über die präventive gewaltlose Intervention zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse ist ihre Gleichsetzung mit militärischer Intervention. Zudem wird sie entweder als illusionär belächelt oder als Verletzung der „nationalen Souveränität“ der Staaten kategorisch abgelehnt. Deswegen ist hier zunächst einiges klärungsbedürftig.
Zuletzt haben die ägyptischen und syrischen Erfahrungen gezeigt, welche Folgen das Fehlen von institutionellen Rahmenbedingungen zur friedlichen Transformation der Macht hat. Zugleich hat sich gezeigt, dass keine „souveräne“ Entscheidung einer Regierung nationalstaatlich begrenzt bleibt. Ihre regionalen und globalen Folgen sind ja nicht zu übersehen. Damit wurde blutig demonstriert, dass durch die zunehmende Globalisierung der Interdependenzen und Verflechtung der politischen, ökonomischen (Branchenkreise), technologischen (Tschernobyl), kulturellen (globale Herausforderung des Islamismus) Entscheidungen und Entwicklungsprozesse die Vorstellung der „Souveränität“, wie sie durch den „Westfälischen Friede“ geschaffen wurde, ad absurdem geführt wird und nur noch eine Schutzbehauptung der Despoten ist – selbst wenn sie auch als Souveränität der Fürsten entstand und die Grundlage des modernen Völkerrechtes geschaffen hat. Aber das Völkerrecht muss sich den veränderten globalen Verflechtungen anpassen und demgemäß weiterentwickelt werden. Dies wurde seit 2005 durch das von der UN-Generalversammlung verabschiedete Prinzip der „Schutzverantwortung“ quasi vollzogen.
Wer also eine „humanitäre Intervention“ als einen bewaffneten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative, als dieser Notlage vorzubeugen – und zwar gewaltlos. Auch hier wird vorausgesetzt, dass der betroffene Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Gefährdeten selbst Schutz zu bieten. Die institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen und die institutionell vorprogrammierte blutige Eskalation jedes politischen Konfliktes um institutionelle Demokratisierung, wie wir sie nicht nur in Ägypten und Syrien erleben, sondern auch bei der blutigen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gesehen haben, machen präventive gewaltlose Interventionen unabdingbar.
Jede präventive gewaltlose humanitäre Intervention muss daher auf eine Institutionalisierung der Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der Konflikte hinzielen, bevor sie aus schierer Verzweiflung in blutige bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen ausufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie endenden Macht- und Statuskämpfe und als solche die Struktureigentümlichkeit jeder menschlichen Beziehung, die sich mit zunehmender funktioneller Demokratisierung der Gesellschaften vervielfältigen und verschärfen.
Es geht dabei um eine nie enden wollende Auseinandersetzung über die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der interdependenten Menschen als Einzelne und Gruppen zu eigenen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eigenen Machtchancen und des Selbstwertgefühl auf Kosten anderer. Es geht immer um die Erweiterung der eigenen Chancen, das Verhalten anderer Menschen als Einzelne und Gruppen zu steuern. Und da zuweilen mehr Macht gleichgesetzt wird mit mehr Selbstwert, entsteht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte beiträgt.

Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, zu Besuch beim Irans Präsident Hassan Rouhani
Hat die EU die Möglichkeit der friedlichen, präventiven Initervention? – Foto: Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, zu Besuch beim Irans Präsident Hassan Rouhani

 
Um die Eigendynamik dieser Eskalation hin zur gewaltsamen Austragung zu unterbinden, ist eine präventive gewaltlose humanitäre Intervention unabdingbar. Sie soll zur Förderung gewaltloser Konfliktaustragung beitragen, indem sie ihre institutionellen Rahmenbedingungen durch Sanktionierung folgender Forderungen erleichtert:

  1. Die Respektierung der Menschenrechte, zu dem die „Islamische Republik“ durch die Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen verpflichtet ist, obwohl sie unzulässigerweise durch die Scharia praktisch ausgehöhlt werden.
  2. Die Respektierung der rechtsstaatlichen Grundsätze. Damit soll die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig sein. So soll die Respektierung der in der Verfassung verankerten Grundrechte der Bürger garantiert werden.
  3. Die Respektierung der Minderheitenrechte und des Diskriminierungsverbots als unabdingbare Komponente der Demokratie; sonst wäre das „Dritte Reich“ der demokratischste Staat in der Geschichte, denn zuweilen wird die „Diktatur der Mehrheit“ (siehe Ägypten) als „Demokratie“ definiert. In diesem Sinne behauptet auch Khamenei, dass Iran das demokratischste Land der Welt sei.
  4. Die Abschaffung der institutionalisierten Frauen-, ethnischen und konfessionellen Diskriminierung.
  5. Die Freilassung der rechtswidrig und aufgrund erpresster Geständnisse verurteilten anders denkenden und andersgläubigen Gefangenen wie Baha’i, Sufis u.a..
  6. Die international garantierten freien Wahlen, da selbst nach Khomeini „die Wahlstimme der Maßstab ist“.
  7. Ein Verfassungsreferendum, weil sogar nach Khomeini als Begründung der Notwendigkeit der Neugründung des nachrevolutionären Staates durch ein Referendum ausdrücklich hervorhob: „ Es ist das Recht der neueren Generationen, ihre eigene Staatsform zu bestimmen.“

Völkerrechtliche Legitimation
Dafür gibt es inzwischen auch völkerrechtliche Rahmenbedingungen. Denn mit der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2005 beschlossen „Schutzverantwortung“ („responsibility to protect“, auch R2P oder RtoP) zur Prävention von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurde eine völkerrechtliche Grundlage für gewaltlose präventive humanitäre Intervention geschaffen. Die Schutzverantwortung ist ein neues Konzept der internationalen Politik und des Völkerrechts zum Schutze der Menschen als Einzelne und Gruppen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und vor Brüchen des humanitären Völkerrechts. Sie wurde maßgeblich von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) in den Jahren 2000/2001 entwickelt und international verbreitet und nach der Zustimmung der Generalversammlung der UNO sogar in Resolution 1674 des Sicherheitsrats erstmals in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument erwähnt. Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-moon veröffentlichte 2009 einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung, die auf drei Säulen basiert und insbesondere die Bedeutung einer rechtzeitigen Erkennung und Einleitung von präventiven Maßnahmen bei derartigen Verbrechen hervorhebt.
Die Schutzverantwortung trifft zunächst den Einzelstaat und beschreibt seine Pflicht, das Wohlergehen der ihm kraft seiner Personal- oder Gebietshoheit unterstellten Bürger zu gewährleisten. Bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung wird er von der internationalen Staatengemeinschaft unterstützt, der eine subsidiäre Schutzverantwortung zukommt. Ist jedoch die politische Führung des jeweiligen Staates nicht fähig oder nicht willens – wie im Falle des Iran -, die Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, darf die internationale Staatengemeinschaft, vornehmlich die Vereinten Nationen, zum Schutz der bedrohten Menschen eingreifen.♦
  Die längere Version des Artikels finden Sie auf der Homepage des Autors!
Zur Person: Dawud Gholamasad, geboren im Iran, ist Professor für das Fach Soziologie unter besonderer Berücksichtigung von politischer Soziologie, Entwicklungssoziologie und internationaler Beziehungen. Thema seiner Habilitationsschrift: Zum Entstehungszusammenhang der „Islamischen Revolution“ im Iran. Neben seiner Tätigkeit an der Universität Hannover hatte er mehrmals Gastdozentur an der Universität Oxford.

Zur Startseite

Auch diese Beiträge können Sie interessieren:
Zur politischen Situation und Menschenrechte im Iran
Wie der Dialog mit Iran „kritisch“ wurde