Khameneis Wahl

Viele Beobachter halten die iranische Parlamentswahl für eine Farce. Denn zu wählen gab es nicht viel. Die Hälfte aller Kandidaten, darunter 90 Abgeordnete des jetzigen Parlaments, wurden von der Wahl ausgeschlossen. Doch der Urnengang diente wichtigeren Zielen. Er war ein Mosaikstein eines größeren Planes: Khamenei wappnet sich für eine ungewisse Zukunft. Ein Kommentar von Ali Sadrzadeh.

War das eine Wahl? Natürlich war sie es. Es war sogar eine bewusste, geplante und zielstrebige Wahl. Sie sollte nach einem genau durchdachten Plan ablaufen und so war es auch. Es war Khameneis Wahl, für die er lange gekämpft und viele Gefechte gefochten hat. Er wollte keine wahren Volksvertreter*innen in seinem Parlament. Denn Khamenei braucht in diesen Krisenzeiten Jasager, willige Vollstrecker und Erfüllungsgehilfen. Nun hat er einen wichtigen Etappensieg errungen, eine entscheidende Schlacht gewonnen.

Pyrrhussieg

Man braucht nicht viele Worte, um zu erklären, wie dieser Sieg zustande kam. Drei Zahlen reichen aus: Die Hälfte aller Kandidat*innen wurde ausgesiebt, in 158 Wahlbezirken gab es überhaupt nur einen Kandidaten zu wählen, und die überwiegende Mehrheit der Wahlberechtigten blieb den Urnen fern. In der Hauptstadt Teheran und in vielen Großstädten waren es nicht einmal 20 Prozent, die abstimmten. Es war ein Pyrrhussieg.

Zeit der Vasallen

Für diesen Sieg musste Khamenei sogar jene Kandidat*innen von der Wahl ausschließen, die für die Stabilität seines Regimes eigentlich unverzichtbar sind. Sie stellen weder die Grundsätze der Islamischen Republik noch Khameneis uneingeschränkte Macht in Frage. Sie sind keine echten Reformer, die Khameneis Republik überwinden, eine Verfassungsänderung anstreben oder eine Säkularisierung erzwingen wollen. Viele von ihnen wären mit einem Brosamen der Macht zufrieden. Sie sind nur eine Art Stoßdämpfer seiner Machtmaschinerie.

Echte Reformer gibt es in der islamischen Republik längst nicht mehr. Spätestens seit der Wahl von Mahmud Ahmadinedschad 2008 gelten sie als erklärte Feinde der Ordnung. Ahmadinedschads zwei Gegenkandidaten von damals befinden sich seither im Hausarrest. Andere Reformer sind von der politischen Bildfläche verschwunden, Ahmadinedschads Vorgänger, Reformpräsident Mohammad Khatami, darf in den Medien nicht einmal namentlich erwähnt werden, sein Bild ist aus der Öffentlichkeit verbannt.

Was von diesen Reformern übrig geblieben ist, nennt sich wie Präsident Rouhani Gemäßigte. Sie erlauben sich zwar ab und zu leise Kritik, doch exekutieren am Ende genau das, was Khamenei will. Man kann Khamenei alles vorwerfen: Dumm ist er nicht. Im Gegenteil. Sein Machtbewusstsein ist sprichwörtlich. In seiner über dreißigjährigen Herrschaft hat alle großen und kleinen Rivalen kaltgestellt. Weit und breit ist in dieser Republik niemand in Sicht, der Khamenei ernsthaft gefährlich werden könnte.

Die Sitzordnung zeigt auch im Iran die Hierarchie unter den Politikern - auf dem Foto der mächtigste Mann des Iran, Revolutionsführer Ali Khamenei (li.) und sein Untertan, der Regierungschef Hassan Rouhani
Die Sitzordnung zeigt auch im Iran die Hierarchie unter den Politikern – auf dem Foto der mächtigste Mann des Iran, Revolutionsführer Ali Khamenei (li.) und sein Untertan, der Regierungschef Hassan Rouhani

 

Khamenei liegt richtig

Warum hat er aber die systemtreuen Diener von der Wahl ausgeschlossen? Darüber ließe sich viel spekulieren, eins jedoch steht fest: Khamenei sieht eine schwere Zeit auf sich zukommen. Und da sieht er richtig. Sie wird so schwer sein, dass er sich ausschließlich auf die ganz Treuen stützen muss, auf Männer, deren Loyalität über jeden Verdacht erhaben ist und die zu allen Brutalitäten bereit sind.

Zufall oder nicht: Kurz nach Ende des Urnengangs setzte die die internationale Financial Action Task Force FATF die islamische Republik auf ihre schwarze Liste. Die Task Force ist in Paris ansässig und überwacht die weltweiten Bankverbindungen und Finanztransaktionen aller Länder. Der Iran ist damit nun neben Nordkorea ein Risikoland für jeglichen Geldtransfer. Zwei Jahre lang haben Präsident Rouhani und sein Außenminister Zarif versucht, Khamenei davon zu überzeugen, dass die notwendigen Gesetze zu verabschieden und sich den internationalen Konventionen zu unterwerfen, um dieser schwarzen Liste zu entgehen. Vergeblich. Nun werden sich sogar chinesische und russische Banken weigern, offiziell mit dem Iran Geschäfte zu machen.

Die Wahllokale waren noch offen, als die USA auch die Mitglieder der iranischen Wahlkommission auf ihre lange Sanktionsliste setzten – jenes Gremiums, das über die Eignung der Kandidaten urteilt.

Wappnen für eine ungewisse Zukunft

Mit seiner Parlamentswahl wappnet sich Khamenei nicht nur für den zunehmenden Druck aus dem Ausland. Er will die Treusten der Treuen um sich scharen. Denn auch im Inneren des Iran brodelt es, die Unzufriedenheit ist überall greifbar. Und wenn es wieder zu Protesten kommt, werden diese sehr blutig werden. So wie im vergangenen Oktober, als innerhalb von drei Tagen mindesten 1.500 Demonstranten erschossen wurden, so jedenfalls zählt die Nachrichtenagentur Reuters. 8.000 Menschen wurden in dieser Woche, in der es keine Internetverbindungen gab, verhaftet, die immer noch in den Gefängnissen sitzen.

Zu all diesen Krisen und Spekulationen gesellt sich die Frage des Kronprinzen. Muss sich das künftige Parlament auch mit dem bevorstehenden Nachfolgekampf befassen? Wer folgt auf Khamenei, der im April 81 Jahre alt wird? Läuft es auf seinen zweitältesten Sohn Modjtaba hinaus, dem man nachsagt, der wichtigste Strippenzieher hinter seinem Vater zu sein? Er verfügt jedenfalls über genug Machtbesessenheit, ist ausreichend in den Geheimdiensten und Sicherheitsorganen vernetzt und besitzt die notwendige Brutalität für einen möglichen Diadochenkampf. Was am vergangenen Freitag im Iran stattfand, war mehr als eine normale Parlamentswahl. Es war eine generalstabsmäßige Vorbereitung für eine ungewisse Zukunft.

  ALI SADRZADEH

 © Iran Journal

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