Kurden, Trump, Iraks Schiiten – raue Winde gen Teheran

Seit fast vier Jahrzehnten herrscht nun die schiitische Geistlichkeit im Iran und seit 15 Jahren setzt sie alles daran, dass auch der Irak wenn nicht von Klerikern so doch von schiitischen Parteien regiert wird. Doch nun überdenken die wichtigsten irakischen Schiitenführer ihre Politikwahrnehmung völlig. Sie nehmen langsam von der Idee einer schiitischen Umma Abschied und entdecken den Begriff Nation.
Ayatollah Al-Sistani, oberste schiitische Autorität im Irak, forderte kürzlich, der Irak müsse einen Zivilstaat schaffen, wenn man den Zerfall des Landes verhindern wolle. Das ist eine offizielle Absage an das iranische System der „Herrschaft des Gelehrten“. Und alle haben die Drohung der baldigen Unabhängigkeit der Kurden im Norden vor Augen.
Selbst der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi ist in den vergangenen Wochen bemüht, zu zeigen, wie weit er sich vom Iran entfernt hat. Als er vor zwei Wochen der offiziellen Amtseinführung des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani in Teheran demonstrativ fernblieb, wusste jeder, dass auch für Abadi eine ostentative Distanz zu Teheran überlebenswichtig ist. Inhaltlich hat sich Abadi längst von iranischen Positionen verabschiedet. Er ist für den weiteren Verbleib der US-amerikanischen Truppen in seinem Land, er tritt für enge Beziehung zu Saudi Arabien ein und er will eine Auflösung der schiitischen Milizen erreichen.
Das kurdische Referendum kommt
Reicht diese radikale Kehrtwende der schiitischen Führer, um ihr Land vor dem Zerfall zu bewahren?
Ihre Umkehr komme zu spät, sagen manche Experten, denn in wenigen Wochen wollen die irakischen Kurden ein Referendum über die Trennung vom Irak abhalten. Diese Volksbefragung ist für den 25. September geplant und alles deutet daraufhin, dass die Kurdenführer entschlossen sind, sie abzuhalten, koste es, was es wolle. Niemand, auch der Iran nicht, könne die Kurden daran hindern, dieses Referendum abzuhalten, sagte am vergangenen Sonntag Massud Barzani, Präsident des irakischen Kurdistans, in einem Interview mit der saudischen Zeitung Okaz.

Foto: jamnews.ir
Die Kurden kämpfen seit langem für einen eigenständigen Staat – Foto: Das kurdische Autonomiegebiet im Nordirak (Quelle: jamnews.ir)

 
Dieses Referendum im Norden des Irak hat das Potential, die politische Landkarte der gesamten Region weiter zu verändern und neue Kriege jenseits der irakischen Grenze zu entfachen. Allein die Ankündigung dieser Volksbefragung hat schon jetzt zu undenkbaren Allianzen geführt.
Eine neue türkisch-iranische Achse
Erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 reiste in der vergangenen Woche Irans Armeechef General Mohammad Bagheri nach Ankara. Dort wurde er wie ein angesehener Gast hofiert, selbst Präsident Recep Tayyip Erdogan nahm sich für den General aus Teheran viel Zeit. Im Mittelpunkt stand das kurdische Referendum. Der iranische Armeechef erklärte nach seinen Gesprächen in Ankara, die Türkei und der Iran seien sich einig, dass der Volksentscheid im Nordirak der Sicherheit in der Region sehr schaden werde. Mit dem Referendum komme es zu einer neuen Welle der Spannungen und Konflikte im Irak, so Bagheri.
Die Machthaber in Teheran sehen in einem unabhängigen Kurdenstaat im Nordirak eine Bedrohung für die territoriale Integrität des Iran. Ein unabhängiger Kurdenstaat im Irak wird eine enorme Ausstrahlung habe. Auch Erdogan sieht es ähnlich. Der Ausbau der Allianz zwischen den USA und der Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens ist für die Türkei wie für den Iran eine Entwicklung, die rasch gekontert werden muss.
Gemeinsame Militäraktion
In der vergangenen Woche war sogar von einem baldigen Einmarsch der türkischen Truppen in Nordsyrien die Rede. Dabei soll es zunächst um einen Angriff auf Rebellen in Idlib, dann auf die Kurden in Afrin gehen. Die regierungstreue türkische Zeitung Yeni Safak meldete am Freitag, der General aus Teheran habe den Türken ein koordiniertes Vorgehen in Idlib angeboten.
Die regierungsnahe Zeitung „Daily Sabah“ bezeichnete Bagheris Besuch als Meilenstein, der auf eine Annäherung in den Konflikten in Syrien und dem Irak hindeute. Und die iranische Nachrichtenagentur Irna nannte den Besuch „beispiellos“.
Anfang der Woche meldete Erdogan den ersten Vollzug: Die Türkei und der Iran wollten gemeinsam Handlungen gegen die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) und deren iranischen Ableger „Partei für ein Freies Leben in Kurdistan“ (PJAK) führen.
Den Machthabern in Teheran wehen derzeit viele Winde aus vielen Richtungen ins Gesicht. In Washington droht Donald Trump fast wöchentlich mit irgendwelchen Sanktionen, im Irak sind die Schiiten, die nicht mehr Teherans Befehlsempfänger sein wollen, und nun kommen die Kurden, die die Islamische Republik in einen Mehrfrontenkrieg und eine merkwürdige Allianz zwingen. Die Frage, wer den Iran stoppt, ist derzeit jedenfalls nicht so dringend, dass man Russland zur Hilfe bitten müsste. Henry Kissinger dürfte beruhigt sein.
  ALI SADRZADEH
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