Kurden, Trump, Iraks Schiiten – raue Winde gen Teheran

„Can Anyone Stop Iran From Taking Over Iraq?“, lautete die Schlagzeile für Al Alis Reuters-Text vom 15. August. In seinem kurzen Beitrag kommt er zu der Schlussfolgerung, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Iran bald den Irak verlässt. Doch liefert Ali keine Fakten dafür, dass der Iran seinen Einfluss im Irak in den letzten Wochen und Monaten tatsächlich ausdehnt hat. Zwar zitiert er einige schiitische Milizenführer, die vom Iran protegiert werden, doch das reicht nicht aus, um eine reale Ausdehnung der iranischen Macht in der letzten Zeit zu belegen. Und darum geht es Al Alis offenbar auch gar nicht. Im Gegenteil, er will schnell zu einer Lösung kommen: also dazu, wer den Iran stoppt. Und hier beginnt eine spannende innerirakische oder genauer gesagt innerschiitische Geschichte, die einem politischen und religiösen Erdbeben gleichkommt. Hier hätte sich der Autor länger aufhalten können.
Iraks Schiitenführer sagen sich von Teheran los
Denn nicht Russland, wie Henry Kissinger es sich wünscht und nicht Amerika oder eine andere ausländische Macht stoppen in dieser Geschichte den Iran im Irak. Der Iran werde seit einigen Wochen von einer unerwarteten Macht gestoppt, mit der niemand gerechnet hätte, schreibt Al Ali: von den irakischen Schiiten, seinen einst engsten Verbündeten wie Moghtada Sadr, Ammar Hakim oder sogar vom irakischen Ministerpräsidenten al-Abadi. Dieser Prozess der Abkehr der einflussreichen irakischen Schiitenführer vom Iran ist lehr- und folgenreich zugleich. Fünfzehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins stehen viele irakische Schiiten vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik. Erst jetzt begreifen sie, dass mit ihren Milizen, die vom Iran ausgerüstet und ausgehalten werden, keine originär irakische Nationalpolitik zu machen ist. Es ist eine späte Einsicht, die die tonangebenden Schiitenführer des Irak nun sehr spektakulär an den Tag legen.
Am 24. Juli waren es für viele arabische Fernsehsender sogar Breaking News, als sie verkündeten, dass Ammar al-Hakim, Chef des Islamischen Rats, den Rat verlässt, um eine neue Partei mit dem Namen „Weisheit“ zu gründen. Ammar al-Hakim ist einer der führenden schiitischen Politiker des Irak, Chef der größten Fraktion im irakischen Parlament und Spross einer der bedeutendsten schiitischen Familien des Landes.

"Goldene Zeiten": Iraks Schiitenführer Ammar al-Hakim besucht Irans Revolutionsführer Ali Khamenei im Krankenhaus Teheraner (September 2014)
„Goldene Zeiten“: Iraks Schiitenführer Ammar al-Hakim (re.) besucht Irans Revolutionsführer Ali Khamenei im Teheraner Krankenhaus (September 2014)

Der Oberste Rat für die islamische Revolution im Irak (SCIRI) wurde 1982 im Iran gegründet, um alle irakischen Oppositionsgruppen im Irak unter einem Dach zu sammeln. Und um dieses Ziel zu erreichen, scheuten die Machthaber in Teheran nichts. Geld, Waffen, Milizen und Militärberater, alles stand zur Verfügung, und sie hatten auch Erfolge zu verweisen. Der Irak wurde zu einer Art politisches Protektorat des Iran. Nun scheinen die Zeiten dieses Erfolgs vorüber.
Offener Frontwechsel von Moqtada Sadr
Auch die Sadr-Bewegung, die Millionen von armen Schiiten in Bagdad und im südlichen Irak repräsentiert, hat sich inzwischen offen im anti-iranischen Lager eingerichtet. Moqtada al-Sadr, der Führer der Bewegung, besuchte Anfang August drei Tage lang demonstrativ Saudi-Arabien, den größten regionalen Konkurrenten des Iran. Er wurde in Riad vom mächtigen Kronprinz Slaman mit allen Ehren empfangen und reiste weiter in die Vereinigten Arabischen Emirate, ein weiterer sunnitischer Staat, dessen Außenminister regelmäßig den Iran kritisiert. Demnächst will Moqtada Sadr in Kairo General Sissi treffen, um seine Distanzierung vom Iran zu verdeutlichen. Und bei all diesen Besuchen präsentiert sich der einstige Revolutionär mehr als Araber und Iraker denn als Schiit und hat offenbar nur eins im Sinn: seinen Abstand zum Iran, der stets größer wird.
Einst war Moqtada Sadr der Lieblingsrevolutionär der Teheraner Machthaber. Iran war praktisch seine zweite Heimat, er hatte jahrelang in Qom, dem iranischen Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit, studiert, und verwandtschaftliche Beziehungen zu den Spitzenpolitikern der Islamischen Republik. Aus Moqtada Sadr sollte so etwas werden wie Hassan Nasrallah, der Chef der libanesischen Hisbollah. Doch es kam alles anderes. Heute fordert Sadr, der syrische Präsident Assad müsse abdanken.
Auf der Suche nach der irakischen Nation
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