Arbeiterrechte interessieren nicht

Die Kluft zwischen Armen und Reichen und die Anzahl Armer habe in den vergangenen zwei bis drei Jahren zugenommen, sagen Kritiker der Regierung Rouhani. Der Präsident und sein Kabinett halten dagegen, sie hätten die Missstände von der Regierung Ahmadinedschad übernommen.

Die „Union der freien Arbeitergewerkschaften“ sieht die Wurzeln der Misere nicht nur in der unter anderem aus den internationalen Sanktionen resultierenden Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre, sondern auch in der gesetzwidrigen Politik in Bezug auf Forderungen und Rechte von ArbeiterInnen. Mohammad Maldjou ist der Meinung, dass die Regierungen der Islamischen Republik allesamt eine bewusste Politik verfolgt haben, die auf die Spaltung der ArbeitnehmerInnen ausgerichtet ist. Damit solle deren kollektiver Druck auf Regierungen abgebaut werden, so der Ökonom.

Laut Parvin Mohammadi sind die ArbeiterInnen den Arbeitgebern vollkommen ausgeliefert. Finanzielle Not, eine hohe Arbeitslosenquote und der Mangel an gesetzlicher und gewerkschaftlicher Unterstützung seien die Gründe dafür, so das Mitglied der Freien Arbeitergewerkschaft. „Man nimmt die Risiken eines Protests hin, wenn es sich am Ende lohnt. Der Großteil der ArbeiterInnen würde Widerstand oder Streiks wagen. Doch Sie geben nach, weil ihnen die nötige Unterstützung fehlt. Sie wollen nicht ihr ganzes Hab und Gut riskieren“, so Mohammadi.

Zugeständnisse aus Verzweiflung

Im Sommer 2015 wurden die Arbeitsverträge im bislang größten entdeckten Gasfeld der Welt South Pars im Süden des Iran zugunsten der Arbeitgeber angepasst: Arbeitnehmern, die an gewerkschaftlichen Protesten teilnehmen, kann fristlos und ohne Begleichung ihrer Löhne gekündigt werden. Infolgedessen wurden 60 ArbeiterInnen, die für ihre vom Arbeitgeber nicht gezahlten Löhne gestreikt hatten, entlassen. Andere Arbeitgeber folgen dem Muster. Die Stadtverwaltung der südwestiranischen Stadt Schuschtar führte im Winter 2016 eine ähnliche Änderung der Arbeitsverträge ein.

„Ein Arbeiter, der seinen Job verloren hat oder jederzeit um ihn fürchten muss, kann keine Initiative ergreifen oder Forderungen stellen“, sagt der Ökonom Hossein Raghfar, ein Kritiker der Regierung Rouhani. Unter solchen Bedingungen gestellte Forderungen seien nicht zielorientiert, so der Universitätsdozent. Ein Beispiel dafür sind ArbeitnehmerInnen, die aus Protest Selbstmord oder Selbstverbrennung begehen. In einem der jüngsten solcher Fälle setzte sich im Juni 2016 ein vierzigjähriger Arbeiter der Stadtverwaltung Schadegan in der Südwestprovinz Khuzestan in Brand. Er hatte sechs Monate keinen Lohn bekommen.

Die Lage der minderjährigen ArbeieterInnen in den Familienbetrieben ist besonders unüberschaubar
Die Lage der minderjährigen ArbeieterInnen in den iranischen Familienbetrieben ist besonders unüberschaubar

Reform des Arbeitsrechts

Die Regierung Rouhani brachte im September 2016 einen Entwurf für eine Reform des Arbeitsrechts ins Parlament ein. Wäre dieser durchgekommen, hätten Arbeitgeber künftig unter anderem die Arbeitszeit, die Pausen und die Urlaubstage der ArbeiterInnen beliebig und ohne jegliche gesetzliche Einschränkung festlegen können. Der Entwurf sorgte für große Proteste und öffentliche Kundgebungen von ArbeiterInnen vor dem Parlament. Auch der Abgeordnete und Generalsekretär des staatlichen Arbeiterverbands Haus der Arbeiter, Alireza Mahjoub, hielt den Entwurf für gesetzwidrig und einseitig im Interesse der Arbeitgeber. Die Proteste zahlten sich aus. Die Regierung zog den Entwurf im Winter 2016 für Nachbesserungen zurück.

Tag der Arbeit

2015, zwei Jahre nach Rouhanis Amtsantritt, wurde den iranischen ArbeiterInnen nach acht Jahren erstmals das Feiern des internationalen Tags der Arbeit wieder genehmigt. Die Vereinbarung dazu trafen Vertreter der ArbeiterInnen und der Regierung mündlich. Die Polizei stellte sich deshalb quer. Zwei Tage vor den geplanten Kundgebungen wurden einige Vertreter der unabhängigen Arbeiterverbände in der Hauptstadt Teheran sowie in anderen Städten festgenommen. Die Kundgebung fand trotzdem statt.

Im Jahr 2017 überschattete der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 18. Mai den internationalen Tag der Arbeit. Es gab eine offizielle Feier in Teheran, an der auch Präsident Rouhani teilnahm. Demonstrationen oder Veranstaltungen der ArbeiterInnen waren nicht erlaubt.

Alle sechs für die Wahl zugelassenen Kandidaten inklusive Präsident Rouhani versprechen den ArbeiterInnen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Doch die Kandidaten haben noch eine Gemeinsamkeit: Keiner von ihnen spricht von Gewerkschaften oder macht diesbezügliche Versprechungen.

  MAHINDOKHT MESBAH

  Übertragen aus dem Persischen von IMAN ASLANI

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