Der ewige Krieg – Drogen und der Iran

Wo iranische DrogenkonsumentInnen sich treffen und was sie dann tun, darüber berichteten kürzlich anerkannte Experten, die ihr ganzes Leben der Sucht- und Drogenbekämpfung gewidmet haben – erstmals unzensiert, offen und daher beängstigend.
„Drogen, Wahrheiten und Geheimnisse“, so lautete der Titel der Veranstaltung, die Mitte Januar in Djamaran stattfand, einem bekannten, selbst fast heiligen Vorort im Norden Teherans, wo Republikgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini seine letzten Lebensjahre verbrachte. In dessen Wohnhaus betreibt heute sein reformorientierter Enkel Hassan ein Institut für soziale Fragen. Dort bilanzierten die Experten an diesem kalten Winterabend Rouhanis Drogenpolitik und die Gründe des Systemversagens.
Als erster nahm Ali Hashemi das Wort: Man solle wissen, worüber man rede, bevor man über Lösungen diskutiere. Der 70-jährige Hashemi ist seit Gründung der Islamischen Republik mit Drogenbekämpfung befasst. Dazu gab er nicht nur Khomeini Ratschläge, auch mit dem jetzigen Revolutionsführer Khamenei spricht er regelmäßig über Sucht und Drogen im Iran. Unter dem Reformpräsidenten Mohammad Chatami war Hashemi Operationschef im Generalstab für Drogenbekämpfung. Ahmadinedschad hat ihn entlassen, doch bis heute leitete er die Drogenkommission im Schlichtungsrat, einem Verfassungsorgan, das zwischen Parlament und Regierung vermitteln soll. Hashemi ist, wenn es um Drogenbekämpfung im Iran geht, Insider, Beobachter und Praktiker zugleich.
Zwei Minuten für Drogenbeschaffung
An diesem Abend umriss er nüchtern und sachgerecht das ganze Drama. Zunächst berichtete er, wie schnell und einfach Süchtige im Gottesstaat an ihren Stoff kommen: “Kürzlich war ich im Norden Irans am Kaspischen Meer und habe dort eine Gruppe Süchtiger aufgesucht. Als ich sie fragte, wie sie sich ihre Drogen beschaffen, erklärten sie mir, dass es nach einem Anruf höchstens zwei oder drei Minuten dauere – und der Stoff sei da.“ In der Großstadt Teheran betrage diese Zeit sieben bis zehn Minuten, sagte Hashemi – und machte so alle offiziellen Erfolgsmeldungen der letzten 38 Jahren zunichte. Hashemi, das wurde an diesem Abend deutlich, sieht durch den Drogenmissbrauch die nationale Sicherheit in Gefahr: Er sucht seit 38 Jahren nach Lösungen und scheint sich jetzt als gescheitert anzusehen.

Im Iran sterben immer wieder Grenzschützer im Kampf gegen Drogenschmuggler
Im Iran sterben immer wieder Grenzschützer im Kampf gegen Drogenschmuggler

“Im ersten Jahr der Islamischen Republik stellten wir elf Tonnen Rauschgift sicher, in diesem Jahr 786 Tonnen“, erklärte der Experte. Und das sei nur ein Zehntel der tatsächlich auf dem Markt vorhandenen Menge. Aber mit Zahlen betreibe man im Iran Politik, und was Drogenkonsum angehe, hätten die Statistiken mit der Realität wenig zu tun. „Als vor vier Jahr gesagt wurde, im Iran gebe es 700.000 Süchtige, war das schlicht gelogen“, so Hashemi. Schon unter Rouhanis Vorgängerregierung seien es in Wahrheit 2,5 Millionen gewesen: „Und heute 4,8 Millionen.“
„Das ist, was wir wissen“, sagte Hashemi. Doch warum dieser Anstieg und woher kommt der Stoff?
„Als wir die Islamische Republik gründeten, wurden in unserem Nachbarland Afghanistan jährlich 200 Tonnen Rohopium geerntet. Heute werden dort nach offiziellen Angaben 6.000, in Wahrheit aber 10.000 Tonnen Opium produziert. Und das kommt hauptsächlich über den Iran auf den Weltmarkt“, so der Experte.
Je weiter Hashemi an diesem Abend seine Statistiken vorträgt und je mehr er aus seiner Erfahrung erzählt, umso klarer stellte sich heraus, dass die Spitze der islamischen Republik sich der Dimensionen dieser Gefahr bewusst ist. Auf höchster Ebene sieht man den Drogenkonsum und die Suchtproblematik als Existenzfrage für den Gottesstaat als ganzes.
„In letzter Zeit hatten wir zwei lange Sitzungen beim Revolutionsführer, bei denen wir zwei Nächte lang ausschließlich über Drogenkonsum sprachen. Neben der Kriegsgefahr und Umweltkatastrophen sind es die Drogen, die unsere Existenz gefährden: Darin sind sich alle Experten einig, einschließlich der geehrte Revolutionsführer.“ Drogensucht sei „eine Frage der nationalen Sicherheit“, so Hashemi weiter – und er präsentierte Zahlen, die dieses Einschätzung untermauern.
Das Ende des Leugnens
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