Wie man aus einer Anklägerin eine Angeklagte macht

Der 9. Dezember war der Tag des Gedenkens an die Schriftsteller Mohammad Mokhtari und Mohammad Jafar Pouyandeh, zwei weitere Opfer der politischen Morde vom Herbst 1998. Ich fuhr mit Maryam, der Witwe von Mohammad Mokhtari, zu dem Friedhof, auf dem die beiden Schriftsteller nebeneinander begraben sind. Der Schriftstellerverband hatte an diesem Ort wie jedes Jahr zu einer Versammlung aufgerufen. Als wir ankamen, herrschte wieder eine besatzungsähnliche Präsenz der Sicherheitskräfte. Besucher wurden daran gehindert, den Friedhof zu betreten. Sie wurden schikaniert und fotografiert. Dann griffen die Agenten die friedlich versammelte Menschenmenge als Reaktion auf vereinzelte Protestrufe an. Einige wurden zusammengeschlagen und verhaftet. Auch Nasser Zarafshan, der Anwalt, der die Familienangehörigen der Opfer der politischen Morde vom Herbst 98 während der Ermittlungsphase vertreten hat, wurde in Gewahrsam genommen. Sein Sohn Mazdak wurde brutal zusammengeschlagen und verhaftet. Die Aktion zeigt den erhöhten Druck auf diejenigen, die sich aktiv gegen das Vergessen der politischen Morde vom Herbst 98 einsetzen.
Zwei Tage später besuchte ich Zarafshan in seiner Kanzlei. Mazdak, der gegen Kaution freigelassen worden war, war anwesend, sein Gesicht war geschwollen und blau. Vater und Sohn bereiteten eine Anklage gegen die Sicherheitskräfte vor, trotz der bitteren Erfahrung, dass unsere Klagen bis dato keine Gerechtigkeit hatten erzielen können.
„Charta der Bürgerrechte“

Parastou Forouhars Kunst setzt sich zum Teil sehr hintergründig und kritisch mit dem Iran auseinander
Parastou Forouhars Kunst setzt sich zum Teil sehr hintergründig und kritisch mit dem Iran auseinander

In der letzten Woche meines Aufenthalts in Teheran kündigte Präsident Hassan Rouhani eine Vorlage zu Zivilrechten der Bevölkerung mit folgenden Worten an: „Meine ehrwürdigen Landsleute, lassen Sie uns gemeinsam unsere Rechte besser lernen und nachdrücklicher bewahren.“ Auch wenn die große Ankündigung mich angesichts meiner Erlebnisse zynisch stimmte, hielt ich Ausschau nach Resonanz. Ein Taxifahrer sprach für viele, als er sagte, dass er lieber die schöne Phrase eines Lächelnden höre als die arrogante Direktive eines Grimmigen. Dann erzählte er mir ausführlich von seinen alltäglichen Begegnungen und Beobachtungen und sagte anschließend: „Das Überleben in diesem Moloch ist mehr denn je schwer, jedoch möchte man seinen Anstand nicht verlieren und die Hoffnung auf eine Besserung nicht aufgeben.“ Er strahlte eine traurige Zuversicht aus, der ich in Teheran oft begegne und die mich zutiefst berührt. „Kopf hoch!“ sagte er mir liebevoll beim Abschied.
Ich verließ Teheran, wohl wissend, dass das Verfahren gegen mich, von dem die Freiräume meiner künftigen Entscheidungen abhängen, weitergeführt werden wird.
„Fantomas“ in Teheran
Kurz danach reiste ich nach Wien, um die Premiere eines Theaterstück zu besuchen, das von meiner Geschichte erzählt. Das Stück ist eine herrliche Mischung aus Fakten und Fiktion, humorvoll und tragisch zugleich. Die zweite Hauptrolle neben meiner Person ist eine Comicfigur namens Fantomas, die mich nach Teheran begleitet, um den Kampf gegen die bösen Mächte aufzunehmen. Fantomas springt durchs Fenster, taucht in meinem Elternhaus auf, stellt detektivische Nachforschungen an, macht philosophische Anmerkungen und vieles mehr, stets bekleidet mit einem trashigen Kostüm und einer pinkfarbenen Maske und begleitet von einer Stoffkatze. Auch wenn er in dem Stück seine Mission nicht erfüllen kann, wird seine schillernde Präsenz in Erinnerung bleiben.
Und wenn ich beim nächsten Mal einer Vorladung folge und im Richterbüro den „Sachkundigen“ gegenüber sitze und mir ihre alte Leier aufs Neue anhöre, werde ich bestimmt an meinen Freund Fantomas denken und innerlich lachen.
  PARASTOU FOROUHAR
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