Fliegende Gefängnisgedichte
Mahvash Sabet verbrachte zehn Jahre in iranischen Gefängnissen, da sie der Glaubensgemeinschaft der Baha’i* angehört. Im September wurde sie freigelassen. Ihre Erlebnisse während der Haft schrieb sie in Versen auf und ließ sie aus dem Gefängnis herausschmuggeln. Über ihre Gedichte und darüber, was sie in zehn Jahren Haft ertragen hat, sprach die Dichterin mit der persischsprachigen Redaktion der Deutschen Welle. Iran Journal dokumentiert Auszüge des Interviews.
Frau Sabet, können Sie uns den Tag Ihrer Freilassung beschreiben?
Meine Familie und ich hatten am 19. September mit der Freilassung gerechnet. Am 18. September jedoch wurde ich zur Freilassung gerufen. Die Aufseher haben mich nicht telefonieren lassen. Sie haben mir bloß den Ausgang gezeigt und gesagt, bitte schön. Ich sagte, ich werde mich gleich draußen von jemandem filmen lassen und werde die ganze Welt davon in Kenntnis setzen, dass Ihr mich nach zehn Jahren ohne Geld, ohne irgendetwas einfach rausgelassen habt und ich nichts weiß und nichts machen kann. Sie haben sich trotzdem nicht beeindrucken lassen. Als ich draußen war, war ich eher wütend als froh. Vor dem Tor warteten ein paar Menschen auf die Freilassung ihrer Angehörigen. Ich fragte, ob jemand für mich eine Nummer wählen könnte. Einer rief meinen Mann an.
Wo haben Sie die zehn Jahre Haft verbracht?
Es war immer wieder anders. Zuerst saß ich 82 Tage in Maschhad im Gefängnis. Dann wurde ich in den Abschnitt 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses versetzt. Dort saß ich insgesamt zwei Jahre und sechs Monate in Einzelhaft und wurde immer wieder verhört. Anschließend wurde ich vor Gericht gestellt. Nach der Verurteilung wurde ich ins Gefängnis Rajaie-Shahr in Karaj verlegt. Zehn Monate habe ich dort verbracht, bevor die Frauenabteilung aufgelöst wurde. Daraufhin wurden wir ins Qarchak-Gefängnis verlegt. Zwei Wochen später kam ich wieder ins Evin-Gefängnis und blieb dann bis zum Ende da.
Wie vergingen die Tage während dieser Jahre?
Von den Tagen in der Isolationshaft im Sicherheitstrakt habe ich nicht viel mitbekommen. Es waren harte Tage, aber ich war in meinen Gedanken untergetaucht. Ich hatte viel Zeit zum Beten. Für mich lief eine Art Kampf zwischen dem Recht, das ich in meinem Herzen trug, und der falschen Vorstellung in den Köpfen der Zuständigen. Ich war fest davon überzeugt, glaubte daran, dass wir nichts Falsches getan hatten, und deshalb war ich mir bei den Verhören, im Gerichtssaal oder sonst wo, ständig sicher, dass unsere Unschuld am Ende bewiesen wird. Uns wurde vieles vorgeworfen. Ich nahm die Vorwürfe aber keinesfalls ernst. Im meinem Herzen lachte ich darüber. Ich wusste, dass es unmöglich ist, die Unterstellungen auch nur ansatzweise zu beweisen. Ich konnte nicht glauben, dass jemand auch ohne Beweise zu zwanzig Jahren Haft verurteilt werden kann.
Wurden Sie misshandelt oder gefoltert?
Ich möchte in der jetzigen Situation nicht darüber reden.
Sie waren mit anderen politischen und gesellschaftlichen Aktivistinnen in einem Trakt. Wie war Ihr Verhältnis zu diesen Mithäftlingen?
In der Abteilung der politisch-konfessionellen Gefangenen war das Verhalten der Mithäftlinge auf ein friedliches Zusammenleben ausgerichtet. Wir hatten uns einen Mikrokosmos eines freien Landes geschaffen. Jede hat ihren Glauben gelebt, ohne dafür abgestempelt, ausgeschlossen oder beleidigt zu werden. Keine hat darauf geachtet, ob die andere politisch war oder nicht. Dort lebten wir eine vorbildliche Gemeinschaft vor.
Wurden Sie als Baha’i anders behandelt als die anderen Häftlinge?
Im Rajaie-Shahr-Gefängnis passierten Sachen, die zeigten, dass die Verantwortlichen versucht haben, uns psychisch zu terrorisieren oder die anderen Häftlinge auf uns loszulassen. Aber die Häftlinge selbst machten nie mit. Sie waren wirklich gute Freunde. Obwohl sie Menschen getötet hatten oder Diebinnen und Drogenabhängige waren, fällt es mir schwer, ihre Freundlichkeit in Worte zu fassen. Hoffentlich kann ich eines Tages darüber schreiben.
Einmal wurden wir (sie und Fariba Kamalabadi, die auch wegen ihrer Zugehörigkeit zum Bahai-Glauben verhaftet worden war – d. Red.) und in den Trakt der Schwerverbrecherinnen und Schlägerinnen versetzt. Dort war die Lage besonders schwierig. Keine durfte uns grüßen oder mit uns reden. So ging es eine kurze Zeit weiter. Ich habe sogar gehört – obwohl ich das selber nicht bestätigen kann –, dass man eine der Häftlinge, die auf ihre Hinrichtung wartete, beauftragt hatte, uns zu töten. Ihr soll gesagt worden sein: Dich wird man sowieso aufhängen, töte diese Leute, damit du zumindest ehrenhaft stirbst.
Aber ganz schnell hat sich die Lage zu unseren Gunsten verändert, zugunsten von Liebe, Respekt und Freundlichkeit. Weil wir niemanden von oben herab betrachtet oder gedemütigt haben. Wir haben niemanden beleidigt, ganz egal, was sie verbrochen hatte. Wir haben jeder beigestanden, Empathie gezeigt oder Rat gegeben.
Auch im Evin-Gefängnis hatten wir ein ähnliches Erlebnis: Die Häftlinge wählen normalerweise unter sich eine Sprecherin, die sogenannte Trakt-Anwältin. Sie kümmert sich um die internen Angelegenheiten und stellt den Kontakt zu den Aufsehern her. Als zum ersten Mal eine Baha’i-Frau zur Trakt-Anwältin gewählt wurde, haben sich die Zuständigen quergestellt. Alle Insassen des Trakts sind zusammen zum Vizechef des Gefängnisses gegangen und konnten ihn davon überzeugen, dass wir die Zustände von draußen hier nicht akzeptieren, da hier alle gleich sind. Daraufhin haben die Zuständigen es akzeptiert. Danach wurden sogar andere Baha’i-Frauen zu Trakt-Anwältinnen.
Erzählen Sie uns von Ihrem Leben kurz nach der Revolution von 1979.
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