„Ich gehe nicht ins Stadion“

Während die iranische Fußballnationalmannschaft bei der WM in Brasilien kämpft, rufen Frauenrechtlerinnen im Iran nach einer Stadion-Zugangserlaubnis für Frauen. Die Türen der Fußballstadien sind den Iranerinnen seit der islamischen Revolution vor 34 Jahren verschlossen. Nun haben die Machthaber weiblichen Fans auch den Zutritt zu Volleyballspielen verboten.

„Das ist ein Verstoß gegen internationale Bestimmungen“, sagt die iranische Journalistin und feministische Buchautorin Jila Baniyaghoob im Gespräch mit TFI. Als Gastgeber der Volleyball-Weltligaspiele sei der Iran verpflichtet, Frauen den Zutritt zu den Wettbewerben zu gewähren. Vier Spiele der Volleyball-Weltliga fanden zwischen dem 13. und dem 22. Juni im Teheraner Azadi-Stadion statt. Doch zu ihrem großen Erstaunen wurden der Frauenrechtsaktivistin Baniyaghoob und ihren Freundinnen schon zum ersten der Spiele keine Karten verkauft. Am Spieltag protestierte Baniyaghoob deshalb mit weiteren Frauen vor dem Stadion. Und erlebte dort, dass andere weibliche Fans – iranischer Herkunft, aber im Besitz ausländischer Pässe – hineingelassen wurden. „Das ist eine doppelte Diskriminierung“, sagt die 43-Jährige, denn es bedeute, Frauen mit anderen Nationalitäten würden Iranerinnen vorgezogen.
Verschärfte Sicherheitskontrollen

Jila Baniyaghoob (1. li.) mit anderen protestierenden Frauen vor einem Teheraner Stadion
Jila Baniyaghoob (1. li.) mit anderen protestierenden Frauen vor einem Teheraner Stadion

Die iranischen Frauen setzten ihre Proteste vor dem Stadion auch an den anderen Spieltagen fort. „Das führte dazu, dass bei dem Spiel zwischen Iran und Italien die Sicherheitskontrollen extrem verschärft wurden“, erzählt Baniyaghoob. Die Straßen, die zum Stadion führten, seien von zahlreichen Sicherheitsbeamten in Zivil oder Uniform bewacht, Autos streng kontrolliert worden. „Bei manchen Wagen, die mit Frauen an Bord in Richtung des Stadions fuhren, montierten Polizisten einfach das Kennzeichen ab“, berichtet die Journalistin. Etwa 40 Personen, Männer und Frauen, wurden festgenommen, selbst akkreditierten Journalistinnen wurde der Zutritt ins Stadion verweigert. Durch solche Maßnahmen könnten Sportjournalistinnen künftig ihre Jobs verlieren, wenn sie nicht mehr über solche Wettbewerbe berichten könnten, warnt Baniyaghoob.  
Dabei gibt es für dieses Zutrittsverbot für Frauen im Iran gar kein eindeutiges Gesetz. Es basiert allein auf der aus islamischen Vorschriften abgeleiteten Geschlechtertrennung von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit. Doch konnten die weiblichen Fans bis vor zwei Jahren immerhin Volleyballspiele im Stadion anschauen. Hinter der jetzigen strengen Vorgehensweise stünden die Machtkämpfe zwischen den ultrakonservativen Kräften im Staatsapparat und den gemäßigten an der Regierung, meint Baniyaghoob. Die Hardliner, die nach wie vor sehr einflussreich sind, befürchteten, durch solche kleinen Freiheiten könnten sich die Forderungen der Frauen ausweiten: „Aus Angst davor ersticken sie gleich alles“, sagt die mehrfach für ihre Frauenrechtsaktivitäten festgenommene Journalistin und Autorin. Ihr Buch „Women of Evin: Ward 209“ ist im Iran verboten, wurde aber auf Persisch in Schweden und auf Englisch in den USA veröffentlicht.
Männer unterstützen die Frauen
"Hallo Mama, ich wünschte, du wärst auch mitgekommen!"
„Hallo Mama, ich wünschte, du wärst auch mitgekommen!“

Fakt sei aber, so die Journalistin, „dass die Hardliner die Forderungen der Frauen nicht stoppen konnten – im Gegenteil“. Die Proteste der Frauen hätten zu großer Solidarität geführt: „Gleich beim ersten Spiel am 13. Juni zwischen Brasilien und dem Iran sorgte das Bild eines kleinen Jungen im Stadion für Aufmerksamkeit. Er hielt ein Schild, auf dem stand: ‚Salam Mama, ich wünschte, Du könntest auch kommen‘.“ Iranische Männer gründeten eine Facebook-Seite, die auf Deutsch „Ich gehe nicht ins Stadion“ heißt und schon über 1.100 Fans gewann. Dort werden aktuelle Informationen und Aktivitäten zum Stadionverbot von Frauen gepostet. Bilder zeigen Männer mit Plakaten, auf denen zu lesen ist: „Ohne die Anwesenheit von Frauen werde ich nicht ins Azadi-Stadion gehen“, oder: „Hebt das Stadionverbot für Frauen auf“.
Ein Mann, der bei Protestaktionen dabei war, berichtet im Gespräch mit TFI: „Wir hatten Tickets und sind ins Stadion gegangen. Aber bevor das Spiel begann, haben wir die Zuschauertribüne wieder verlassen.“ Mit den leeren Stühlen hätten er und weitere Männer den Verantwortlichen signalisieren wollen: „Gleiches Recht für alle“, sagt der Teheraner. Baniyaghoob lobt das Engagement der iranischen Männer. Diese hätten sich zwar seit vielen Jahren immer wieder für Frauenrechte im Iran eingesetzt. Doch diesmal und in dieser Form sei die Unterstützung „einmalig“.
Lieber Kinder erziehen
Viele junge Frauen verschaffen sich Zugang zu den Stadien, indem sie sich als Mann verkleiden
Viele junge Frauen verschaffen sich Zugang zu den Stadien, indem sie sich als Mann verkleiden

Auch in der Öffentlichkeit sorgten die Proteste der Frauen für eine Debatte. Die Vertreterin des iranischen Präsidenten in Frauenangelegenheiten, Shahindokht Molaverdi, teilte mit, Regierungschef Hassan Rouhani habe sie und den iranischen Sport- und Jugendminister Mahmud Goudarzi beauftragt, sich um diese Frage zu kümmern. Sie sicherte den Frauen zu, das Problem so schnell wie möglich zu beheben. Rouhani habe ihr gesagt, solche Einschränkungen würden seiner Regierung schaden, da sie seinen Versprechungen, den Frauen mehr Freiheit einzuräumen, widersprächen, so Molaverdi.
Doch es gibt auch andere Stimmen. Die Parlamentsabgeordnete Fatemeh Aliya etwa sagte am 23. Juni, die Aufgabe einer Frau sei, sich um ihren Ehemann sowie die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und nicht, Volleyballspiele zu schauen. Andere sehen die Sicherheit von Frauen in Stadien gefährdet, weshalb sie die Spiele besser von Zuhause ansähen. Baniyaghoob kann solche Argumente nicht akzeptieren. „Wofür sind denn die Sicherheitskräfte da, wenn sie den Frauen im Stadion keinen Schutz gewähren können?“, fragt sie.
Die iranischen Frauenrechtlerinnen hoffen neben dem Einsatz von Rouhani nun auch auf Druck seitens der internationalen Volleyball-Föderation. Die hat bereits offiziell erklärt, es dürfe niemand von den Weltligaspielen ausgeschlossen werden. Und Ary Graca Filho, Präsident der Föderation, kündigte laut der iranischen Nachrichtenagentur ILNA an, bei der nächsten Jahresversammlung im Juli mit dem Iran über diese Probleme sprechen zu wollen.
  FOROUGH HOSSEIN POUR