Die ungerechte Gerechtigkeitsgöttin

Im Machtkampf zwischen den Hardlinern um den religiösen Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, und die Gemäßigten um Hashemi Rafsanjani, den einst mächtigsten Politiker der Islamischen Republik, kommt es derzeit zu einem Showdown. Denn Fatemeh Hashemi, der Tochter Rafsanjanis, drohen in einem Gerichtsprozess Gefängnisstrafe oder Peitschenhiebe. Beobachter rechnen allerdings mit einem Freispruch.
Fatemeh Hashemi Rafsanjani, die älteste Tochter von Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, steht vor Gericht. Der Vorwurf: „Verbreitung von Lügen“ über die Brüder Ali und Sadegh Larijani. Ali Larijani steht dem iranischen Parlament vor, sein Bruder Sadegh ist Chef der Justiz. Beide werden den Hardlinern um den religiösen Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, zugerechnet. Das Ungewöhnliche an dem Prozess: Es gibt keinen privaten Kläger. Hashemis Rechtsanwalt Ali Zadeh rechnet deshalb mit einem Freispruch für seine Klientin, da laut iranischer Verfassung ein Gericht ohne Kläger keine Anklage wegen Lügenverbreitung einleiten dürfe. Der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA zufolge hat Parlamentspräsident Larijani keine Anklage gegen Fatemeh Hashemi erhoben.
Die Tochter des einstigen Architekten der Islamischen Republik wirft deshalb der Justiz vor, mit ihrer Familie abrechnen zu wollen. „Unsere Familie wird seit Jahren schikaniert, meine Brüder und Schwester werden verhaftet“, schreibt die Angeklagte in einem offenen Brief: „Wenn es um uns geht, ist die Gerechtigkeitsgöttin nicht gerecht.“
In der Tat haben die Hardliner in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die Familie des Ex-Präsidenten zu diffamieren. Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der seit der Gründung der Islamischen Republik wichtige Posten innehatte und zurzeit dem sogenannten Schlichtungsrat vorsteht, hatte sich bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 nicht in die Reihen des religiösen Führers gestellt. Damals wurde Mahmoud Ahmadinedschad mithilfe der Hardliner um den religiösen Führer zum Präsidenten gekürt. Das führte zu Protesten, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Statt diese Proteste zu verurteilen, hatte Hashemi Rafsanjani damals  Mäßigung und Freilassung der inhaftierten Protestler gefordert. Die Regierung sollte sich sogar bei den Familien der Opfer entschuldigen. Das haben die Hardliner dem Ex-Präsidenten bis heute nicht verziehen. Außerdem hat sich Rafsanjani wiederholt für die Normalisierung der Beziehungen zum „Erzfeind“ USA ausgesprochen – was die Hardliner als „Verrat“ an der Islamischen Revolution ansehen.
Neuer Wind

Fatemeh Hashemi Rafsanjani
Fatemeh Hashemi Rafsanjani

Seitdem der gemäßigte Geistliche Hassan Rouhani die Regierungsgeschäfte im Iran übernommen hat, bekommt Rafsanjani jedoch Rückendeckung: Er gilt als Rouhanis politischer Ziehvater. Die Anklage gegen Fatemeh Hashemi ist auch in diesem Kontext zu betrachten. Rouhani hatte für sein Kabinett Bijan Zanganeh als Ölminister nominiert. Zanganeh ist ein Vertrauter Rafsanjanis und war auch während dessen Amtszeit Ölminister. Als das Parlament im August über das neue Kabinett debattierte, ließen ultrakonservative Abgeordnete wissen, dass sie Zanganeh wegen seiner Nähe zu Rafsanjani ablehnen würden. Der Abgeordnete Ali Mohammad Bozorgwari sagte sogar, wenn der reformorientierte Zanganeh Ölminister werden könne, könne „ein Dieb wie Mahdi Hashemi Rafsanjani die Oberhand gewinnen“. Mahdi ist der älteste Sohn Rafsanjanis und hatte in dessen Amtszeit mit dem Ölministerium Geschäfte getätigt, die später als „Korruption“ eingestuft wurden.
Fatemeh Hashemi, die bisher weniger als die anderen Mitglieder ihrer politisch aktiven Familie unter Druck stand, reagierte auf diese Aussagen der Parlamentarier über ihre Familie. In einem Interview mit dem iranischen Nachrichtenportal Entekhab bezeichnete sie die Beschuldigungen als „vorprogrammiert“ und warf dem Parlamentsvorsitzenden Ali Larijani und seinem Bruder, dem Justizchef, vor, darauf „schwach reagiert“ zu haben. Nach dem Interview bekam Hashemi eine Vorladung der Teheraner Justizbehörde. Seither ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sie.
„Ich werde schreien“
Bislang hatte die älteste Tochter des Ex-Präsidenten kaum für Schlagzeilen gesorgt. Seit fast 20 Jahren widmet sich die 53-Jährige vor allem ihrer Aufgabe als Leiterin einer Stiftung für seltene Krankheiten. Die Nichtregierungsorganisation unterstützt durch Spendensammlungen Patienten, die an multipler Sklerose, Thalassämie, Hämophilie oder Krebs leiden. Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 hatte die Mitbegründerin der Partei „Mäßigung und Entwicklung“ ihren Vater bei dem Versuch unterstützt, erneut zu kandidieren. Seine Kandidatur wurde aber vom Wächterrat abgelehnt.
Mehr Erfahrungen mit der Justiz haben ihr Bruder Mahdi und die Schwester Faezeh. Beide wurden 2012 während der zweiten Amtszeit des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad verhaftet. Mahdi hatte bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 den Oppositionsführer Mir Hossein Moussawi unterstützt. Faezeh hatte an den Wählerprotesten teilgenommen, bei denen die Opposition der Regierung Wahlfälschung vorwarf.
Auch sie wolle künftig „nicht mehr schweigen, sondern gegen Ungerechtigkeiten anschreien“, lässt Fatemeh Hashemi nun in ihrem offenen Brief wissen. Und fordert die Justiz auf: „Da eure Augen geschlossen sind, öffnet wenigstens die Ohren, damit ihr die Rufe der Menschen nach Gerechtigkeit hört.“
FS/FP