„Der Feind meines Feindes ist nicht immer mein Freund“

Der Gaza-Krieg spaltet iranische InternetaktivistInnen. Während viele sich mit der palästinensischen Zivilbevölkerung solidarisieren, zeigen andere Verständnis für das harte Vorgehen Israels im Gazastreifen.

Seit dem 8. Juli schaut die Welt auf Gaza. Vier Wochen dauert nun die israelische Militäroffensive auf dem schmalen und dicht besiedelten Streifen Erde an. Und es ist vorerst kein Ende in Sicht. Die traurige Bilanz: fast 1.800 Tote auf palästinensischer und über 60 auf israelischer Seite. Unter dem Eindruck der schrecklichen Meldungen und Bilder von Tod und Zerstörung fordern weltweit viele PolitikerInnen, FriedensaktivistInnen, AkademikerInnen und Prominente ein Ende der Militäroperation im Gazastreifen. Aber es gibt auch jene, die für das Vorgehen Israels Verständnis zeigen und dieses als unvermeidlich für den Schutz der israelischen Zivilbevölkerung vor den Angriffen der Hamas und anderer militanter Palästinenser erachten. Auch im Iran. Obwohl – oder gerade weil – die Solidarität mit Palästina und die gleichzeitige Feindschaft zu Israel seit 1979 zur iranischen Staatsräson gehört, sind die IranerInnen in der Bewertung des Gazakrieges gespalten. Dies zeigt sich besonders in den Debatten, die derzeit in der iranischen Webcommunity ausgetragen werden.
Mitgefühl für zivile Opfer

Dieses Foto macht zurzeit in der persischsprachigen Internetgemeinde die Runde
Dieses Foto macht zurzeit in der persischsprachigen Internetgemeinde die Runde

„Es ist wirklich unfassbar. So viele tote ZivilistInnen. Und dennoch lässt man Israel gewähren. Sind die Palästinenser etwa keine Menschen, dass man zulässt, dass ihnen solch ein Leid zugefügt wird?“, schreibt Sara unter einem Nachrichtenbeitrag von Radio Farda. „Die palästinensischen Kinder können einem wirklich Leid tun“, schreibt die Twitter-Userin Shirin. Selbst wenn sie den Konflikt überlebten, hätten viele von ihnen angesichts ihrer zerbombten Häuser und Schulen keine Zukunft mehr. Das einzige, was ihnen bleibe, sei Wut, so Shirin weiter. „Was in Gaza passiert, ist ein Genozid. Wie kann ein Volk, das in seiner Geschichte so viel Leid erfahren musste, dulden, dass seine PolitikerInnen einem anderem Volk solche Grausamkeiten antun?“, fragt Pouyan auf der Facebookseite von Deutsche Welle Farsi. Eine Plattform für die IranerInnen, die das derzeitige Vorgehen Israels verurteilen und sich mit der palästinensischen Seite solidarisieren, bietet die Facebookseite Iranians for Palestine. Regelmäßig wird die Seite von ihren AdministratorInnen mit neuesten Nachrichten von dem Konflikt, Meldungen zu Solidaritätsveranstaltungen und Aufrufen zu Kundgebungen aktualisiert.
Für viel Gesprächsstoff sorgte zuletzt aber eine andere Facebookseite: Stop killing your fellow beings heißt die Kampagne, die von Oscar-Preisträger Asghar Farhadi und der iranischen Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh initiiert wurde. „Wir verurteilen das Massakrieren von Menschen, egal wo es stattfindet. Protestiert mit uns gegen das Gaza-Massaker“, fordern Farhadi und Sotudeh in ihrer Kampagne. Auf der Seite, die von weltweit 40.500 Menschen „geliked“ wurde, haben viele IranerInnen, aber auch Menschen anderer Herkunft Fotos hochgeladen, auf denen sie mit Schildern mit dem Schriftzug „Hört auf, eure Mitmenschen zu töten“ zu sehen sind.
Neben Sotudeh und Farhadi haben jedoch auch andere IranerInnen zu den Geschehnissen in Gaza Stellung bezogen. So bekundet die Schauspielerin Hengameh Ghaziani auf Instagram mit einem Foto ihr Mitgefühl mit den Kindern in Gaza. „Wann hat dieser historische Alptraum ein Ende? Wie lange sollen denn noch Meldungen von getöteten Kindern die Schlagzeilen bestimmen?“, schreibt Ghaziani unter dem Foto. Auch ihre Schauspielkollegen Mehdi Pakdel und Bahram Radan zeigen anhand von Instagram-Fotos ihre Ablehnung für das militärische Vorgehen Israels.
Verständnis für Israel
Screen shot: Die Facebook-Seite "Stop killing your fellow beings"
Screen shot: Die Facebook-Seite „Stop killing your fellow beings“

Nicht wenige IranerInnen tun sich jedoch schwer, Israel zu verurteilen. Auch haben viele kein Verständnis für pro-palästinensische Solidaritätsbekundungen: „Wenn Teheran oder Isfahan mit Raketen beschossen würden, hätte unsere Regierung etwa nicht so reagiert? Doch, hätte sie! Darum unterstütze ich Israels Vorgehen in Gaza“, schreibt ein anonymer User von Radio Farda. Dass Israel nicht das Ziel habe, Menschenleben auszulöschen, sei daran festzumachen, dass vor jedem Angriff die Bewohner aufgefordert würden, ihre Wohnungen zu verlassen. „Aber die Hamas zwingt ihre eigene Bevölkerung, in den Häusern zu bleiben, weil hohe Opferzahlen gut für sie sind“, schreibt ein anderer User, der sich Hamvatan (Landsmann) nennt. „Wo waren all diese HumanistInnen, die heute für Palästina weinen, als Zehntausende SyrerInnen durch die Hand von Assads Schergen und mit Unterstützung der Islamischen Republik ermordet wurden? Sobald sich Israel wehrt, schreien aber alle reflexartig auf“, kritisiert Soroush auf der Facebookseite von BBC Farsi. „Seit 1979 finanziert unser Staat den palästinensischen Terror gegen Israel. Würde das Geld, das in den Gazastreifen fließt, in die Taschen des iranischen Volkes fließen, hätte es bei weitem weniger Probleme“, so Behdad.
Solche Äußerungen bleiben aber selten unwidersprochen: „Viele von uns wünschen sich einen freien, rechtsstaatlichen Iran, in dem Menschenrechte geachtet werden. Aber wir dürfen nicht nur protestieren, wenn der Iran heute Menschenrechte verletzt. Unterdrückung und Mord müssen überall verurteilt werden“, mahnt Peyman auf BBC Farsi. Aus diesem Grund müsse auch Israels Vorgehen im Gazastreifen geächtet werden: „Der Feind meines Feindes ist nicht immer mein Freund.“
  JASHAR ERFANIAN