Atom-Deal-Jubel, Fußball-Trauer

Auch im Internet feiern IranerInnen auf der ganzen Welt seit Donnerstagabend einen möglicherweise historischen Deal zwischen dem Iran und dem Westen. Fußballfans betrauern hingegen das Ausscheiden von Fußballnationaltrainer Carlos Queiroz.
Nach Jahren zäher Verhandlungen zwischen dem Iran und dem Westen ist ein endgültiges Ende des Atomstreits in greifbarer Nähe. Dafür legten die Konfliktparteien am Donnerstag in Lausanne den Grundstein: Demnach verpflichtet sich der Iran, seinen Bestand an Zentrifugen um zwei Drittel zurückzufahren und sein Atomprogramm bis zu 25 Jahre lang einem mehrstufigen System von Einschränkungen und Kontrollen zu unterwerfen. Der Westen sagt wiederum dem Iran zu, seine Sanktionen gegen Teheran aufheben, die den Gottesstaat wirtschaftlich extrem geschwächt hatten. Ein endgültiges Nuklearabkommen soll bis zum 30. Juni ausgehandelt werden.

Selfie mit Obama zur Freude der Atomeinigung
Selfie mit Obama zur Freude der Atomeinigung

Die Nachricht über das mögliche baldige Ende des Atomstreits sorgte im Iran für grenzenlosen Jubel. Schon wenige Minuten nach dem Bekanntwerden der Übereinkunft feierten IranerInnen auf den Straßen, zuhause und auch im World Wide Web. Zahlreiche IranerInnen auf der ganzen Welt dokumentierten ihre Freude auf Twitter. Besonders häufig wurde das Selfie-Foto von User Pedraam retweetet, auf dem er mit dem Fernsehbild von Barack Obama zu sehen ist. Zum ersten Mal überhaupt wurde eine Rede des US-Präsidenten im iranischen Staatsfernsehen übertragen.
Ähnlich häufig wurde auch ein anderes Foto im Internet verbreitet: Es zeigt einen jungen Iraner, wie er freudig Obama in die TV-Backen zu kneifen versucht. Ebenso zum Hit wurde das Twitter-Video einer Gruppe von IranerInnen, die voller Freude über den erfolgreichen Ausgang der Verhandlungen tanzen. Die Journalistin Negar Mortazavi, Urheberin des Videos, schreibt dazu auf Twitter: „Einen schönen guten Tag, ein frohes neues Jahr und Grüße an eine neue Ära.“
Erleichterung in der Web-Community
Deutlich anzumerken ist den IranerInnen die Erleichterung über den ausgehandelten Deal: „Der 13. Tag nach Nouruz wird ab jetzt nicht mehr nur ein Tag sein, an dem die IranerInnen mit ihren Familien ins Grüne fahren, um das Ende der Nouruz-Zeit begehen, sondern auch ein Tag, an dem sie den Atom-Deal und das Ende der Sanktionen feiern“, kommentiert Faranak einen Video-Beitrag von BBC-Farsi.
„Ich weiß nicht wohin mit meiner Freude“, jubelt Hamed auf ISNA. „Endlich hat Präsident Hassan Rouhani eines seiner zentralen Wahlversprechen erfüllt.“ Auf der Facebook-Seite von DW-Farsi schreibt Sanaz: „So viele Jahre mussten wir auf diesen Augenblick warten. Jetzt ist es soweit. Die Sanktionen werden bald Geschichte sein.“ Sie hoffe, dass nun die Kaufkraft der Menschen gestärkt, die Armut reduziert und junge gebildete auswanderungswillige IranerInnen dazu bewogen würden, im Iran zu bleiben, so die Iranerin weiter.
„Lange hätten die Menschen diese Situation nicht mehr ertragen“, glaubt Vahid. Das Regime habe sich mit dem Atom-Deal selber gerettet, schreibt er auf der Facebook-Präsenz des Nachrichtenportals IranWire. Eine Userin antwortet ihm: „Wer weiß, wie lange es noch gedauert hätte, bis auch den Weltmächten der Geduldsfaden gerissen wäre.“ Womöglich sei mit dem Deal ein Krieg verhindert worden, der den Iran in eine Katastrophe gestürzt hätte, schreibt sie weiter.
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Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif umjubelt bei seiner Ankunft am Freitag in Teheran

IranerInnen loben Verhandlungsteam
Dass es nicht so weit gekommen ist, sehen viele IranerInnen als ein Verdienst von Außenminister Javad Zarif und seinem Verhandlungsteam: „Herr Außenminister, ich möchte Ihnen und Ihrem Team für das in Lausanne Geleistete danken. Sie werden in die Geschichte eingehen als jemand, der das Leiden der IranerInnen hat Geschichte werden lassen“, kommentiert beispielsweise Mohammad einen Nachrichtenbeitrag von ISNA. Ähnlich äußert sich Bakhtiar auf dem Nachrichtenportal Shabnam News. Er schreibt: „Herr Zarif, Du wirst als einer der größten Staatsmänner in die iranische Geschichte eingehen. Ich danke Dir für all deine Anstrengungen für das Wohl des iranischen Volkes.“ Ein anderer Iraner, Gholam, schreibt: „Gott sei Dank, wir haben es geschafft. Danke für Ihre Mühen, Herr Zarif. Hoffentlich wird es dem iranischen Volk wirtschaftlich bald besser gehen.“ Lob gibt es auch von Hassan: „Vielen vielen Dank! Ihr habt es geschafft, die Fahne des Iran hochzuhalten.“
Gelobt wird Irans Chefdiplomat auch dafür, einen vermeintlichen politischen Coup gelandet zu haben: „Dieser erfahrene Mann hat es geschafft, die USA und Israel zu entzweien. Mit Diplomatie und seinem nicht konfrontativen Auftreten hat es Zarif geschafft, dem Westen ein Deal abzuringen.“ Seine konservativen Amtsvorgänger hätten dagegen mit ihrer „aggressiven und unversöhnlichen“ Art Irans Gegner nur zusammengeschweißt und dem Land dadurch „unermesslichen Schaden“ zugefügt, schreibt Shahin auf der Facebook-Präsenz von VOA Persian.
Zurückhaltung und Kritik
Manche IranerInnen warnen jedoch davor, dem Deal eine zu große Bedeutung beizumessen: „Ein erster Schritt ist getan. Schön und gut! Wird es jetzt mit der iranischen Wirtschaft bergauf gehen? Das steht noch in den Sternen“, meint Behzad auf DW-Farsi. Die IranerInnen täten gut daran, ihre Erwartungen zurückzuschrauben, schreibt auch ein anonymer User auf ISNA. „Mir bricht es das Herz, wenn ich sehe, wie die Menschen auf den Straßen feiern und tanzen, als glaubten sie fest daran, dass in dieser unfreien iranischen Gesellschaft tatsächlich eine bessere Zukunft auf sie warten würde“, schreibt Melika auf der Facebook-Seite des Nachrichtenportals Radio Farda.
Grundsätzliche Kritik an der Übereinkunft der Konfliktparteien im Atomstreit liest man in den Kommentarspalten der iranischen Nachrichtenportale und sozialer Netzwerke derzeit nur vereinzelt. Einer dieser Kritiker ist Hamidreza: „Dieser Deal ist ein Ausverkauf iranischer Interessen. Jahrelang haben wir dafür gekämpft, dem Westen Kompromisse abzuringen, und jetzt das. Ich verstehe nicht, warum die Menschen so außer sich vor Freude sind“, so der Iraner auf BBC-Farsi. Ein anderer User antwortet ihm nur: „Dann solltest du den Menschen mal in die Portmonees gucken.“
Carlos Queiroz
Er könne den massiven Druck gegen seine Person nicht mehr ertragen, so Queiroz Begründung über seinen Rücktritt.

Trauer über Carlos Queiroz Abschied als Nationaltrainer
Die Meldung vom Durchbruch im Atomstreit lässt ein anderes Thema, das in den vergangenen Tagen die Gemüter der IranerInnen erregte, in den Hintergrund treten: nämlich das Ausscheiden des populären Portugiesen Carlos Queiroz als Trainer der iranischen Fußballnationalmannschaft. Die Trauer über den Rücktritt des erfolgreichen Coachs bleibt aber dennoch bei vielen Fußballfans ungemindert. Queiroz hatte angekündigt, nach den beiden Testspielen gegen Chile (2:0) und Schweden (1:3) aufgrund von Differenzen mit den sportlichen Verantwortlichen, allen voran mit dem Generalsekretär des iranischen Fußballverbandes Alireza Assadi, seinen Posten als Chef-Coach aufzugeben und den Iran zu verlassen.
„Wer ein bisschen was von Fußball versteht, muss einfach erkennen, dass dieser Mann es trotz der schlechten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nationalmannschaft geschafft hat, seinen Spielern Disziplin und Ordnung einzuimpfen. Ohne Carlos Queiroz wäre das nicht möglich gewesen“, kommentiert beispielsweise Shahriar einen Beitrag des Nachrichtenportals Tabnak. „Carlos war ein Segen für die Nationalmannschaft. Ohne jegliche Unterstützung des Fußballverbands hat er die Nationalmannschaft wieder aufgebaut. Und zwar so gut, dass wir 93 Minuten lang gegen Argentinien und Lionel Messi halten konnten“, schreibt ein anderer anonymer User. „Queiroz ist unbestritten der beste Trainer, den der Iran jemals hatte. Er wird schmerzlich vermisst werden“, trauert Mohsen dem Ex-Coach von Real Madrid hinterher. Ähnlich verzweifelt äußert sich Majid auf ISNA: „Warum agiert der Fußballverband dermaßen kurzsichtig? Sehen die Verantwortlichen denn nicht, dass unser Fußball verloren ist, wenn Queiroz geht?“
Trainer der iranischen Fußballnationalmannschaft Carlos Queiroz in Teheran
Seit 2011 Trainer der iranischen Fußballnationalmannschaft Carlos Queiroz in Teheran

Kritiker nur Minderheit

Dass die sportliche Zukunft der Nationalmannschaft ohne Queiroz zwangsläufig düster werden wird, glauben nicht alle Fußballfans. So kritisiert Behrouz auf Fararu die bisherige Bilanz des Portugiesen als Cheftrainer des Iran: „Ich bin echt verwundert über alle, die für Queiroz hier Tränen vergießen. Bei der WM in Brasilien haben wir einen defensiven und unansehnlichen Fußball gespielt und sind als Gruppenletzter ausgeschieden. Bei den Asienmeisterschaften in Australien sind wir gegen das Bürgerkriegsland Irak im Viertelfinale rausgeflogen. Wo bitte ist der Erfolg von Queiroz?“ Ähnlich äußert sich ein User mit dem Pseudonym Abie2Atishe auf Tabnak: „Lasst mich mit eurem Queiroz in Frieden. Was hat er schon für unseren Fußball geleistet? Ihr himmelt ihn doch bloß an, weil er ein westlicher Trainer ist.“ Ein einheimischer Trainer hätte niemals eine solche Anerkennung erhalten, schreibt der Queiroz-Kritiker weiter.
„Wer sehen will, was ein durch und durch professioneller Trainer wie Queiroz alles bewirken kann, soll sich bitte die Spiele der Nationalelf nochmal anschauen, bevor Queiroz unser Coach wurde, schreibt ein anonymer User an alle Kritiker der populären Fußballlehrers auf Fararu. Insgesamt sind die Gegner Queiroz‘ unter den Fußballfans eher eine Minderheit. Das zeigt auch eine Umfrage des beliebtesten iranischen Fußballportals Persianfootball (PFDC): Gut 80 Prozent der UserInnen der Webseite zeigen sich demnach zufrieden mit dem Auftreten der iranischen Fußballnationalmannschaft unter ihrem Trainer Queiroz.
Zeugnis des großen Rückhalts, den der 62-jährige unter den IranerInnen genießt ist auch die Facebook-Seite We Want Carlos Queiroz to remain Iran’s National Team Head Coach. Über 43.550 Menschen wünschen sich dort, dass der temperamentvolle Portugiese auch weiterhin die iranische Fußballauswahl betreut. Doch die Hoffnungen darauf sind gering und die Befürchtungen, dass ein inkompetenter Trainer ihn beerben könnte, groß. So schreibt Peyman: „All die Aasgeier, die sich im Iran als Fußballtrainer bezeichnen und während Queiroz‘ Amtszeit über der Nationalmannschaft gekreist sind, werden sich nun auf diese stürzen. Wir können uns jetzt schon mal von der WM 2018 verabschieden.“
JASHAR ERFANIAN