„Ambivalent wie die Moderne selbst“

Bigge: Leider konnte der Schriftsteller Shahriar Mandanipur nicht an der Veranstaltungsreihe teilnehmen, da er aufgrund der geänderten Einreisebestimmungen unter der Trump-Regierung Bedenken hatte, ob er wieder in die USA würde einreisen können. Ansonsten gab es keine größeren Hindernisse, da uns das Auswärtige Amt bei den Visa-Beschaffungen und den Einreisen sehr geholfen hat.
Welche Aspekte über die „iranische Moderne“ waren Ihnen selbst, die sich schon länger mit der Kulturszene und philosophischen Diskursen im Iran auseinandersetzen, noch bis dato unbekannt?
Bigge: Die Selbstverständlichkeit und Routine hat mich erstaunt, mit der man auf iranischer Seite das Thema „Die Moderne“ aufnahm und sich mit der Thematik auseinandersetzte. Von außen betrachtet, mag man in Iran einerseits radikale, andererseits progressive Positionen sehen, zudem eine andauernde Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne, die schwierigen Voraussetzungen für Künstler, die Zensur, Restriktionen… Aber die iranischen Kulturschaffenden sind in ihrem Denken und Wirken längst weiter. Die Einschränkungen und Zustände in ihrem Land sind ein oktroyierter Teil ihres Selbst geworden, den sie aber wiederum künstlerisch verarbeiten und nutzen. Während man im Westen oft die gleichen Erzählmuster über den Iran wiederholt, dekonstruieren iranische Kulturschaffende Begrifflichkeiten wie Heimat, kulturelle Identität und Nation. Sie zeigen uns, dass nichts so ambivalent ist wie die Moderne selbst. Vielleicht darf ich noch einmal auf das Konzert von Sote zurückkommen. Eine Bekannte, die lange im Iran studiert hat, verließ während des Konzerts kopfschüttelnd den Saal. Später sagte sie, dass ihr die Musik einfach zu fremd gewesen sei, sie habe sie teils in Ehrfurcht, teils in absolute Verwirrung katapultiert. Ein anderer Bekannter, der zum Tanzen nach Ibiza und ins Berliner Berghain fährt, merkte verblüfft an, dass man in Teheran elektronische Musik produziere, die gewaltig und irgendwie ursprünglich sei. Er wollte tanzen, blieb aber sitzen und hörte intensiv zu, er nannte es einen Gehirn-Rave. Ich denke, dass dieser Abend exemplarisch auch für die vielen unterschiedlichen künstlerischen Standpunkte aus dem Iran ist. Das, was wir gezeigt haben, war nur ein winziger Ausschnitt aus der zeitgenössischen iranischen Kulturszene. Und wenn es eine Gemeinsamkeit unter den vielen künstlerischen Positionen gibt, dann der Sinn fürs Progressive, ein Nachvornestreben.
Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Blaumer: Bei vielen der Veranstaltungen gab es Publikumsgespräche. Natürlich sind das immer Momente, bei denen man als Veranstalter nervös ist, ob sich da wirklich ein Gespräch entwickelt. Meist hat das aber sehr gut geklappt hat – auch wenn wir ab und an feststellen mussten, dass das deutsch-deutsche Publikum oftmals sehr an Themen wie Zensur und Politik interessiert ist, während die iranischen Gäste die Hoffnung hatten, dass sie vor allem mit ihrem künstlerischen Werk Beachtung finden.

Vortrag von Kamran Diba, Architekt des Teheraner Museums für Zeitgenössische Kunst / © Bernhard Ludewig
Vortrag von Kamran Diba, Architekt des Teheraner Museums für Zeitgenössische Kunst / © Bernhard Ludewig

 
Wie sind Sie mit den kritischen Stimmen von Exil-IranerInnen umgegangen, die im Vorfeld laut geworden waren?
Blaumer: Die Kritik zielte ja nicht auf uns, sondern auf das Ausstellungsvorhaben und die Frage, warum viele Bilder der Sammlung des Teheraner Museums für Zeitgenössische Kunst so lange nicht im Iran zu sehen waren. Wir haben von Anfang an eng mit dem Kulturverein Dehkhoda zusammengearbeitet. Autorinnen und Autoren aus dem Iran gaben bei „Hausbesuchen“ Lesungen in Wohnzimmern von iranisch-deutschen Familien in Berlin. Über ein Dutzend der Teilnehmenden unseres Programms waren Diaspora-IranerInnen. Die Kritik und die gemeinsame Reflexion unseres Programms mit Iranerinnen und Iranern in Deutschland war uns wichtig.
Wie empfanden die iranischen Gäste ihren Aufenthalt und das Programm?
Bigge: Natürlich gab es hier und da Verbesserungsvorschläge, was die Zusammensetzung der Teilnehmer und der einzelnen Podien anging. Insgesamt war die Resonanz sehr positiv; die Teilnehmer aus dem Iran waren glücklich über die Gelegenheit, sich in Berlin mit unterschiedlichen Akteuren aus der lokalen und globalen Kulturszene austauschen und einem größeren Publikum ihre Arbeit vorstellen zu können.
Wird es eine Fortsetzung, ein vergleichbares Programm in anderen Städten geben?
Blaumer: Als Goethe-Institut arbeiten wir ja vornehmlich im Ausland. Insofern war es schon eine Ausnahme, dass wir solch ein großes Programm in Deutschland aufgezogen haben. Dennoch bleibt der Kulturaustausch mit dem Iran ein wichtiges Thema und wir hoffen, dass sich an die gewonnenen Kontakte in Teheran, Berlin oder an anderen Orten anschließen lässt.
Interview: YASMIN KHALIFA
*Nikolai Blaumer, 1983 in Düsseldorf geboren, ist Referent in der Abteilung Kultur des Goethe-Instituts. Er studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an der LMU München und der Hebräischen Universität Jerusalem. Mit der Arbeit »Korrektive Gerechtigkeit. Über die Entschädigung historischen Unrechts« (Campus Verlag, 2015) wurde er im Fachbereich Philosophie der Universität München promoviert. Neben seiner Tätigkeit für das Goethe-Institut übernahm er Lehraufträge an der LMU München und der Bauhaus Universität Weimar.
**Florian Bigge hat Iranistik in Berlin und Teheran studiert. Er ist als Kulturarbeiter für das Goethe-Institut zuständig.
Weiterführende Links:
Die iranische ModernePerspektiven iranischer Kunst ,  Zwischen Anpassung und Authentizität , Theater aus Teherans Katakomben