Eine Alternative zur Islamischen Republik?


Wenn eine neue Initiative entsteht, rückt in der Regel das Konkurrenzdenken in den Vordergrund, die Initiative wird kritisch beäugt. Aber mit der Zeit klärt sich das. Wir müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, haben also noch eine lange Strecke vor uns, um Vertrauen zu schaffen. Aber wir sind optimistisch. Wir werden auch Fehler machen und wir werden Rückschläge erleben, aber wir werden unseren Weg weitergehen. Aus dem Iran haben wir bisher eine gute Resonanz. Nur ein Beispiel: Etwa 200 soziale Aktivistinnen und Aktivisten haben sich bis jetzt gemeldet und ihre Unterstützung angeboten. Mit den Lehrer- und Arbeitergewerkschaften, aber auch mit Vertretern der ethnischen Minderheiten, insbesondere aus Azerbaidschan, Kurdistan und Belutschestan, haben wir gute Dialoge.
Die Bevölkerung erwartet von demokratischen Oppositionellen Einigkeit, aber die gibt es leider noch nicht. So werden die Menschen zu Recht die Frage stellen: Wenn Ihr Euch nicht einig seid, wie wollt Ihr dann ein multiethnisches, multireligiöses Land zusammenhalten?

Im Netz haben einige Oppositionelle Ihre Vorstellung von einem föderalen System als Alternative zum islamischen Regime kritisiert. Wie berechtigt ist diese Kritik?

Wir haben nirgends erwähnt, dass wir ein föderales System im Iran wollen. Wir sind für eine dezentrale Machtstruktur und nicht mehr.

Was bedeutet das genau?

Es bedeutet, dass nicht alle staatliche Macht einer Zentralregierung übertragen wird. Zum Beispiel soll der Gouverneur einer Provinz nicht durch die Zentralregierung ernannt werden, sondern durch Provinzwahlen. Wir wollen, dass Persisch Amtssprache bleibt und der Schulunterricht in Persisch stattfindet, aber in den Schulen der Provinzen soll auch die Sprache der jeweiligen Ethnien unterrichtet werden. Der Jahreshaushalt einer Provinz soll von den zuständigen Stellen in der Provinz festgelegt werden und nicht in der Hauptstadt. Die Polizisten in den Provinzen sollen nicht von der Zentralregierung ausgewählt oder eingesetzt werden, sondern von den zuständigen Behörden innerhalb der Provinz, und so weiter. Aber etwas Grundsätzliches: Was wir heute wollen, ist nicht eine Regelung für alle Zeiten. Wie die Regierungsform nach der Islamischen Republik und deren Verfassung aussehen soll, wird die verfassungsgebende Versammlung bestimmen und nicht wir.

Ein Witz unter Iranern besagt: Wenn zwei Iraner zusammen sind, diskutieren sie über Politik, zu dritt bilden sie eine Partei, und wenn noch jemand dazu kommt, dann gibt es eine Spaltung und es entstehen zwei und später mehr Strömungen. Wie lange geben Sie Ihrem Rat in der heutigen Konstellation?

Dieser Witz hatte in der Vergangenheit seine Berechtigung, ist aber heute nicht mehr zeitgemäß. In den letzten 15 Jahren beobachten wir eine umgekehrte Entwicklung, eine große Bestrebung innerhalb der Opposition, sich zu einigen. Die Iranerinnen und Iraner haben in den vergangenen 40 Jahren viel unter der Zersplitterung und den Feindschaften, die vom islamischen Regime gefördert wurden, gelitten. Gleichzeitig haben sie viele Erfahrungen gesammelt, Erfahrungen, die für einen modernen Iran in Zukunft von großer Bedeutung sein werden.♦

Das Interview führte Farhad Payar

© Iran Journal 

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