Jenseits einer rassistisch geprägten Orientalistik

Ein Teil der deutschen Intellektuellen war immer bemüht, den Iran und die Iraner wegen ihrer Vergangenheit in ein positives Licht zu stellen. Und ein Teil der iranischen Intellektuellen bewertete Deutschland und die Deutschen stets als „Freund der iranischen Nation“ und Vorbild.
Von Peyman Aref
Der Orientalismus oder die Orientalistik ist nach der Definition des US-Literaturkritikers Edward Said eine Wissenschaft zur Legitimierung der Kolonialisierung des Orients. Ihr Kern sei die Vorstellung eines zivilisierten Westens und eines primitiven und wilden Orients. Die eurozentrische Orientalistik der damaligen Kolonialmacht Frankreich war die erste dieser Art, die die Iraner kennenlernten. In den Werken des Diplomaten und Schriftstellers Arthur de Gobineau aus dem neunzehnten Jahrhundert werden die Iraner pauschal als Unzivilisierte dargestellt. Gobineau beschreibt die Kolonialisierung als Ausweg aus einer „Misere“. Der Iran versuchte derweil zwischen den damaligen Kolonialmächten – dem zaristischen Russland im Norden und Großbritannien im Süden – mühsam ein unabhängiges Dasein anzustreben. Dabei entstand eine intellektuelle Bewegung, die unter der Fragestellung „Warum hinken wir hinterher?“ versuchte, das konservative, streng islamische Land in Richtung Fortschritt zu lotsen. Ihr fehlte allerdings das nötige Selbstbewusstsein.
Die deutsche Irankunde
Die Anfänge der deutschen Irankunde finden sich im achtzehnten Jahrhundert. Das philologische Interesse an den indo-europäischen Sprachen war Zentral für die Auseinandersetzung mit Iranischer Geschichte und Kultur. Es gaben außerdem Interessen für archäologische und kunstgeschichtliche Forschungen.

Friedrich Hegel suchte den Ursprung der Regierung im altiranischen Reich
Friedrich Hegel suchte den Ursprung der Regierung im altiranischen Reich

Auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel zeigte ein spekulatives Interesse an dem Iran. Er verknüpfte das Wesen einer Zivilisation mit dem Schicksal ihrer Machthaber und suchte den Ursprung der Regierung im altiranischen Reich. In seiner Wahrnehmung der Geschichte setzte er die Iraner in das Zentrum der Zivilisation: Mit dem persischen Reich trete man erst in den Zusammenhang der Geschichte. Die Perser seien das erste geschichtliche Volk, Persien sei das erste Reich, das vergangen sei.
In den Augen vieler iranischen Intellektuellen werden damit die theoretischen Fundamente einer „iranophilen“ Iranistik gelegt, die dem Nationalstolz der Iraner und ihrem Wunsch nach Fortschritt dient.
Die deutschen Iranisten und Islamwissenschaftler nach dem achtzehnten Jahrhundert bis zu ihren letzten berühmten Vertreter im zwanzigsten Jahrhundert – etwa Annemarie Schimmel – betrachteten den Iran nicht herablassend wie die meisten ihrer französischen oder britischen Kollegen. Im Gegenteil: Sie animieren die Iraner zum Fortschritt und erinnerten sie an ihre „glorreiche“ und „goldene“ Vergangenheit. Annemarie Schimmel verehrt in ihrer Doktorarbeit „Studien zum Begriff der mystischen Liebe in der frühislamischen Mystik“ die iranische Zivilisation und beschreibt sie als Basis des islamischen Sufismus. Sie bedauert zugleich, dass sich die Iraner von dieser prunkvollen Zivilisation entfernt hätten. Die Islamwissenschaftlerin sucht in den Werken des pakistanischen Denkers Muhammad Iqbal aber auch nach den Gründen für die Rückständigkeit des Orients.
Es wäre nicht weit hergeholt, wenn man behaupten würde, dass der sich auf das alte persische Reich stützende iranische Nationalismus seine Wurzeln nicht nur in den Diskursen innerhalb des Landes hat, sondern zu einem erheblichen Teil unter dem Einfluss der Werke deutscher Iranisten und Islamwissenschaftler steht. Viele deutsche Orientalisten des neunzehnten Jahrhunderts suchen die Zivilisation – im Gegensatz zur damals üblichen Orientalistik – nicht ausschließlich in den Tempeln von Athen und halten die außereuropäische Welt nicht für barbarisch und jenseits jeglicher vorstellbaren Zivilisation. Auch zahlreiche Philosophen und Kulturschaffende wie etwa Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Hölderlin, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer geben sich nicht mit dem antiken Griechenland als Quelle der modernen Zivilisation zufrieden, sondern beschäftigen sich respektvoll mit dem Orient.
Nietzsche ist bei den Iranern der bekannteste von ihnen, weil er sich auch mit dem altiranischen Religionsstifter Zarathustra befasste und damit dem Zoroastrismus außerhalb der iranischen Grenzen ein geistiges Denkmal setzte.
Britische Armee besetzt den ölreichen Süden des Iran - Foto: Faradeed.ir
Die Iraner hoffen sich Hilfe aus Deutschland, um sich vom Joch der Besatzungsmacht Großbritannien zu befreien – Foto: Britische Soldaten im ölreichen Süden des Iran (Faradeed.ir)

 
Das Kennenlernen
Bis zum 18. Jahrhundert wurde Europa im Iran mit dem „Land der Franken“ (Farang oder Farangestan) assoziiert. Iraner, die sich seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts vom Joch der beiden Kolonialmächte Russland und Großbritannien zu befreien versucht hatten, begrüßten die Gründung des Deutschen Reiches 1871 als neue europäische Macht, die ihren Interessen dienen könnte.
Die Bemühungen der Iraner um eine neue Staats- und Rechtsordnung fingen etwa 1828 an – nach der militärischen Niederlage des Landes gegen das zaristische Russland, in deren Folge der Iran siebzehn Städte in der Kaukasus-Region an Russland verloren hatte. Nach knapp 80 Jahren voller Höhen und Tiefen brachten die westlich orientierten Kräfte des Landes, inspiriert von der Französischen Revolution, 1906 die Konstitutionelle Revolution und das erste Parlament zustande. Dies war jedoch von kurzer Dauer. Denn Schah Mohammad Ali Qajar löste mit Unterstützung der Russen das Parlament gewaltsam auf und setzte die neue Verfassung außer Kraft. Das politische Tauziehen zwischen den Revolutionären und ihren Gegnern hielt an, doch der Aufbau eines stabilen parlamentarischen Systems gelang erst nach dem Ersten Weltkrieg.
Die Pro-Deutschland-Bewegung, eine der wichtigsten Strömungen unter den fortschrittlichen Kräften im Iran, begann kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Widerstandsbewegung gegen Russland und Großbritannien. Nach der Besetzung der Hauptstadt Teheran durch die Russen setzen sich die pro-deutschen Kräfte in die westiranische Stadt Kermanschah ab und gründeten eine dort Exilregierung. Nachdem sie auch aus Kermanschah vertrieben wurden, zogen sie erst nach Istanbul und später nach Berlin weiter.
In Berlin kam damit eine Gruppe iranischer Intellektueller zusammen, deren Ansichten und Werke die Grundlagen der iranischen Modernität von 1925 bis 1979 prägten. Auch nach der Islamischen Revolution von 1979 blieb Deutschland für die Iraner eine vertrauenswürdige europäische Macht, die einerseits das islamische System aus der internationalen Isolation zu befreien versuchte und andererseits dessen Gegner als politische Flüchtlinge großzügig aufnahm. So bleibt Deutschland für die Iraner bis auf Weiteres ein solides befreundetes Land, mit dem man rechnen kann – ob als Kooperationspartner oder als Zufluchtsort.♦
  Übertragen aus dem Persischen von Iman Aslani

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