Die Kritik wird lauter

Nachdem der Iran angekündigt hat, die zweite Phase des Teilaustritts aus dem Wiener Atomabkommen zu vollziehen, flammt die Debatte über die Bedeutung von Verhandlungen mit den USA und Europa erneut auf. Vor allem Präsident Rouhani gerät ins Visier der Kritiker – von allen Seiten.
Von Sepehr Lorestani
Die Beschlagnahmung eines Öltankers, der mit iranischem Öl auf dem Weg nach Syrien gewesen sein soll, vor Gibraltar durch die britische Marine, die Planlosigkeit Europas bei der Rettung des Atomabkommens mit dem Iran und die Warnungen der Europäischen Union vor dem Austritt der Islamischen Republik aus dem Abkommen lassen keinen Zweifel daran, dass das islamische Regime im Iran in eine aussichtslose Lage geraten ist. Die Experten sind sich einig: Um da herauszukommen, nützen politische Bluffs nichts mehr. Teheran muss handeln. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Ankündigung Rohanis, „wir werden je nach Bedarf Uran anreichern“, zu verstehen: als Maßnahme gegen die verheerenden Wirtschaftssanktionen der USA.
Das erkennen auch viele Iraner*innen und sie nehmen sich vor allem den gemäßigten Präsidenten vor. Sie, das sind einflussreiche Politiker und Medien sowohl aus dem radikal konservativen als auch aus dem reformistischen Lager. Die einen plädieren für erneute Verhandlungen mit Europa und den USA. Die anderen warnen, dass der Fortbestand des aktuellen Kurses die nationalen Interessen der Iraner ernsthaft und für längere Zeit gefährden könne.
Mohsen Aminzadeh etwa, der ehemalige Vizeaußenminister der reformistischen Regierung von Mohammad Khatami, fordert die iranische Regierung auf, mit den Amerikanern zu verhandeln: „Die USA sind entschlossen, den Iran durch enormen Druck zum Verhandeln zu zwingen. Umso ernsthafter müssen wir daher solche Verhandlungen in Erwägung ziehen“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Tageszeitung Shargh. Die Islamische Republik hoffe, dass die Demokraten aus den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA als Sieger hervorgehen und die neue US-Regierung dann den Atomdeal wieder anerkennen und die Sanktionen außer Kraft setzen werde, meint Aminzadeh: „Das ist eine gefährliche und risikoreiche Einschätzung. Selbst wenn ein demokratische Gegner Donald Trump besiegen würde – was übrigens eher unwahrscheinlich ist -, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass der neue US-Präsident den Austritt der USA aus dem Atomabkommen sofort rückgängig macht und so dem Handel mit dem Iran Steine aus dem Weg räumt. Der Iran sollte die Lage weitsichtiger betrachten und gemäß seiner nationalen Interessen den richtigen Zeitpunkt und die passende Art und Weise der Verhandlungen mit den USA wählen“, fügte er hinzu.
Der Reformist kritisiert die Radikalkonservativen, die „heimliche Regierung“ im Iran. Sie hätten die Beziehungen zu einigen Staaten in der Region, unter anderem Saudi-Arabien, in eine Krise gestürzt und damit für noch engere Beziehungen dieser Länder zu den USA gesorgt.

So weit waren beide Länder: Irans Außenminister M. Javad Zarif schüttelte nach dem Zustandekommen des Atomdeals 2015 die Hand seines US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry!
So weit waren beide Länder: Irans Außenminister M. Javad Zarif schüttelte
nach dem Zustandekommen des Atomdeals 2015 die Hand seines US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry!

 
Verpasste Gelegenheiten
Auch ein bekannter General der Revolutionsgarde und hochrangiger Befehlshaber während des Irak-Iran-Kriegs von 1980 bis 1988 kritisiert die Ablehnung von Verhandlungen mit den USA. Hossein Alaie sprach in einem Interview mit der staatlichen Nachrichten Agentur IRNA von „verpassten Gelegenheiten“. Der damalige Stabschef der Revolutionsgarde bezieht sich dabei auf den Zeitpunkt, als US-Präsident Donald Trump die baldige Aufkündigung des Atomabkommens angekündigt hatte, und auf die verbale Bereitschaft Trumps im April, mit Rouhani bedingungslose Gespräche führen zu wollen.
Die Islamische Republik hätte diese beiden Chancen nutzen sollen, meint der General: „Egal, ob man am längeren oder am kürzeren Hebel sitzt: Verhandlungen darf man nicht ablehnen. Verhandlung ist ein Machtinstrument, das man einsetzen soll“, fasst er zusammen.
„Rouhani liebäugelt mit den Radikalkonservativen“
Nicht nur einflussreiche Politiker und Militärangehörige, sondern auch manche Experten und Journalisten wagen es, die Ablehnung von Verhandlungen mit den USA zu kritisieren. Das ist deshalb ein Wagnis, weil Revolutionsführer Ali Khamenei jede Äußerungen über mögliche Gespräche mit den USA und Europa verboten hat. Die Entscheidungsgewalt darüber hat nur er.
Der als reformistisch bekannte Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam hält die Drohungen von Präsidenten Rouhani gegen Europa für eine „Liebäugelei“ mit den Hardlinern. „Sie schaden Instex genauso wie die Hardliner dem Atomabkommen schadeten“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Mit Instex versucht Europa den Handel mit dem Iran trotz US-Sanktionen aufrechtzuerhalten. Die Tauschbörse, die sich laut der Bundesregierung in den Startlöchern befinde, zeigt jedoch bislang keine Wirkung. Sie ähnele einer Bank ohne Geld, monierte neulich Rouhani. „Die Hardliner haben kurz nach dem Atomabkommen mit dem Test zweier Raketen begonnen, auf denen in hebräischer Schrift stand: Israel muss ausradiert werden. Jetzt kündigen Sie kurz nach der Entstehung der Tauschbörse Instex den Teilaustritt aus dem Atomabkommen an und drohen den Europäern, um die Hardliner für sich zu gewinnen“, kritisiert Zibakalam den Präsidenten. Hätte die Islamische Republik die enormen Investitionen in ihr Atomprogramm für die Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft, der Umwelt und des Gesundheits- und Bildungssektors eingesetzt, wäre die Situation der Bevölkerung nicht „so miserabel wie heute“, so der Politikwissenschaftler. Eine hochgradige Urananreicherung hält er auch für zwecklos, da man das Produkt weder im Inland verwerten noch exportieren könne.
Die Paroloe "Israel muss verschwinden" auf einer Rakete der iranischen Revolutionsgarde - Foto: farsnews.com
Die Paroloe „Israel muss verschwinden“ auf einer Rakete der iranischen Revolutionsgarde – Foto: farsnews.com

 
Wie Ahmadinedschad
Die Internetseite Bahar, die den staatlichen Reformisten nahe steht, beschreibt die Drohungen von Rouhani gegen Europa als „Drohungen à la Ahmadinedschad“ und hält sie für ein Zeichen der Verwirrung der Machthaber in Teheran. „Die Sanktionen und der Druck verhindern neben der Korruption und der Verwirrung verschiedener Instanzen einen wirkungsvollen Schritt“, schreibt das Portal. „Wozu braucht der Iran hoch angereichertes Uran? Das AKW in Buschehr wurde vor einiger Zeit vom Netz genommen und steht im Moment still. Selbst wenn es noch Strom erzeugen würde, können wir unseren Bedarf an angereichertem Uran nicht decken. Und die Brennstäbe können wir definitiv auch nicht herstellen, weil uns dazu die Technologie fehlt. Wir können nicht einmal unser Öl und Gas verkaufen, was soll uns das Weiterentwickeln des Atomprogramms bringen?“, fragt Bahar weiter. Das Internetportal warnt zudem vor „den heftigsten Reaktionen seitens der Weltgemeinschaft“, sollte der Iran sein Atomprogramm auf den Stand vor dem Atomabkommen von 2015 bringen.
Viele Beobachter sind der Meinung, dass der Teilaustritt der Islamischen Republik aus dem Atomabkommen nicht nur mit der Machtlosigkeit Europas zur Aufrechterhaltung der Iran-Geschäfte zu tun hat. Die Hardliner im Iran sollen dabei ebenso eine wichtige Rolle spielen. Sie hätten mit allen Mitteln die iranische Regierung an guten Beziehungen mit dem Westen gehindert, so der Tenor. Der Präsident selbst hat dies bereits mehrmals angedeutet. Das letzte Mal am 24. Juni in einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Rede: „Einige haben solange gemeckert, bis einem der ganze Geschmack [des Atomabkommens] vollkommen verging. Den bitteren Geschmack erfährt nun vor allem die Bevölkerung!“
© Iran Journal 2019

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