Die verbotene Universität

Wie der Englischkurs finden alle Veranstaltungen der geheimen Uni in Privatwohnungen statt – meist abends und am Wochenende, damit Leute aus anderen Städten nach Teheran pendeln können. Die Standorte schicken sie sich in verschlüsselten Chats des Messenger-Dienstes Telegram. Immer wieder mieteten sie auch mal ein ganzes Bürogebäude an, doch jedes Mal stürmten Sicherheitskräfte die Räume, verhafteten viele.
Für den iranischen Staat sind die Bahai Abtrünnige: Im 19. Jahrhundert spalteten sie sich als eigenständige Religion vom schiitischen Islam ab. Seitdem werden sie verfolgt. Schon für die Schahs waren sie Staatsfeinde. In den Jahren nach der Islamischen Revolution 1979 wurden über 200 von ihnen hingerichtet oder starben im Gefängnis.
Bis heute schützt sie die iranische Verfassung nicht als religiöse Minderheit, anders als Juden, Christen und Zoroastrier. Regime-Propaganda diffamiert sie als politische Sekte, die die Islamische Republik stürzen wolle. Der Ausschluss von den Unis sollte die Bahai sozial isolieren und sie von wichtigen gesellschaftlichen Positionen fernhalten.
Doch die Bahai verlegten ihre Bildung einfach in den Untergrund. Die Geisteswissenschaftler sammelten Ende der Achtzigerjahre Tausende Bücher in ausgewählten Privatwohnungen und schufen so Bibliotheken, zu denen sie sich mit nachgemachten Schlüsseln Zutritt verschafften. Die Ingenieur-Studierenden bauten selbst Windkanäle. Und die Chemiker brachten Bunsenbrenner und Destillationssäulen in geheime Keller, beschafften Chemikalien, einige auf dem Schwarzmarkt.
Mittlerweile gibt es 18 Bachelor- und 14 Masterstudiengänge, darunter Informatik, Musik, Ingenieurwissenschaften, Neurowissenschaften und Internationales Recht. Statt geheimer Bibliotheken gibt es heute E-Book-Datenbanken. Meist reichen den Studenten Laptops und Wohnzimmer. Jedes Jahr bewerben sich tausend junge Bahai, knapp die Hälfte besteht den Aufnahmetest. Pro Jahrgang sind 10 bis 20 Studierende in jedem Studiengang. Insgesamt soll es etwa zweitausend Studierende geben und mehrere Tausend Absolventen. Die Uni hat aufgehört, genau zu zählen, damit keine Namenslisten in die Hände der Autoritäten gelangen.

„Der göttliche Gesandte“

Der Alltag der Bahai hat sich auch mit dem im Mai 2017 als Präsident wiedergewählten Reformer Hassan Rouhani kaum geändert. Bahai werden immer noch nicht an die Unis gelassen.
Die Bahai gehören einer jungen Religion mit einer langen Geschichte der Verfolgung an. Ihr Prophet, genannt Baha’ullah, wurde vor etwas über 200 Jahren in Teheran geboren. Doch bevor er selbst Prophet wurde, schloss er sich einem anderen an. Mit 27 Jahren wurde er „Babi“, Jünger eines Schiraser Geschäftsmannes, genannt „der Bab“. Der prophezeite einen neuen göttlichen Gesandten. Der Schah witterte politischen Aufruhr und ließ den Bab öffentlich erschießen. Einige der Babis wollten den Herrscher dafür aus Rache ermorden. Doch das misslang. Der Schah ließ Tausende weitere Babis massakrieren. Baha’ullah floh in den Irak und predigte, er selbst sei der angekündigte göttliche Gesandte.

Sieben Mitglieder des Führungsgremiums der Bahai im Iran sitzen seit 2008 in Haft
Sieben Mitglieder des Führungsgremiums der Bahai im Iran wurden 2008 zu zehn Jahren Haft verurteilt – einer von ihnen, Afif Nemati (hinten, 2. v. re.), sitzt immer noch! 

Gott, so seine Lehre, offenbare sich den Menschen immer wieder – etwa durch Moses, Jesus, Buddha, Mohammed und nun ihn selbst. Er propagierte die Einheit aller Religionen, die Vereinbarkeit von Glaube und Wissenschaft und die Gleichheit von Mann und Frau. Die Bahai waren geboren.
Der islamische Klerus war beunruhigt: Baha’ullah sprach dem Islam den Rang als letzte göttliche Offenbarung ab. Man verbannte ihn ins heutige Israel, damals Teil des Osmanischen Reichs. Dass dort heute das Bahai-Weltzentrum steht, macht sie in den Augen iranischer Konservativer verdächtig. Über sieben Millionen Bahai gibt es weltweit. Wie viele davon im Iran leben, weiß niemand genau, weil sie in keiner Statistik auftauchen.
„Da haben wir das Problem“
Ihr Ausschluss von den Unis läuft meist so ab wie bei Soheil: Trotz sehr guter Ergebnisse im nationalen Uni-Eingangstest Konkur konnte er sich nirgendwo einschreiben. „Jede Uni, bei der ich es versucht habe, sagte, meine Bewerbung sei unvollständig.“ Wochenlang lief er von Büro zu Büro, fragte nach, was fehle. Bis ein Beamter ihn schließlich nach seiner Religion fragte. Er sagte die Wahrheit. „Da haben wir das Problem“, habe der Beamte gesagt, und: Da könne man leider nichts machen.
„Ich hätte auch lügen können“, sagt Soheil, „aber die Wahrheit zu sagen ist eines der wichtigsten Gebote für Bahai.“ Er habe natürlich schon gewusst, dass er nicht an eine normale Uni könne. „Aber ich wollte mit meinen Nachfragen zeigen, dass es uns noch gibt.“ Ein kleiner Sieg. Ein gefährlicher Sieg.
Früher mussten alle Studienbewerber auf dem Konkur-Test ihre Religion ankreuzen. „Heute scheinen sie auch so zu wissen, wer Bahai ist“, sagt Schirin. Sie hat die gleiche Geschichte zu erzählen, nur dass sie schneller aufgab. Wer zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, riskiert eine Haftstrafe: Im November 2017 schrieben drei junge Bahai Protestbriefe an Ministerien und Autoritäten, ein Gericht verurteilte sie daraufhin zu je fünf Jahren Haft.
Schwierigkeiten der Absolventen in Deutschland
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