Überzeugungskraft aus der Ferne

Die Rolle der Exiliraner bei den Protesten in Iran ist eine immer wieder ‎heiß diskutiertes Thema in persischsprachigen Blogs. Nach den ‎Demonstrationen der letzten Woche widmen sich erneut einige ‎Blogger dieser Debatte. Hier ein Blogeintrag von Kaave Lajevardi, und ‎die nicht abgeschlossene Diskussion nach dem Beitrag.
„Viele meiner Freunde haben in den letzten Tagen ihre Facebook-‎Profile mit grüner Werbung, Nachrichten und Gerüchten über die ‎Demos am 14. und 20. Februar vollgestellt. Die meisten dieser ‎Freunde leben allerdings gar nicht in Iran.
Häufig erkläre ich mir das so, dass es das Einzige ist, was sie fern der ‎Heimat tun können, um ihre Solidarität zu zeigen. Ich selbst hatte ja ‎auch in einer Ecke meines Profils die Fahne Ägyptens reingestellt. ‎
Bis dahin ist das ja auch in Ordnung (darüber hinaus natürlich auch, ‎es gibt vieles, was nicht nach meinem Geschmack ist). Aber was kann ‎man jenen sagen, die versuchen, andere zur Teilnahme an den ‎Protesten zu überreden? Nichts anderes sind doch Bilder mit der ‎Überschrift „Beteilige dich,liebe/r“ mit dem Demo-Datum oder „Warum ‎müssen wir am 20. Februar auf die Straßen gehen?“ ‎
Ich versuche hier nur nachzuvollziehen, was in so einem Kopf vor sich ‎geht. Gerade gestern erzählte ein Freund, wie ihn jemand aus dem ‎Ausland vorwurfsvoll im Chat fragte, warum er abends nicht auf der ‎Straße geblieben ist. Gleichzeitig verbreiten die gleichen Leute die ‎Nachrichten darüber, wie Demonstranten verprügelt oder mit ‎Tränengas attackiert werden. ‎

Warum ist das so? Meines Erachtens denken viele Freunde im ‎Ausland: „Im Iran ist ein unmenschliches, rücksichtsloses, ‎blutrünstiges Regime an der Macht, und in dem Fall müssen die ‎Bewohner des Landes dagegen kämpfen. Wir im Ausland verbreiten ‎die Nachrichten dazu und ermutigen sie.“ Dabei weiß jeder, der nach ‎langer Zeit wieder nach Iran zurückkommt , dass die Situation doch ‎etwas ruhiger ist, als Voice of America oder Balatarin* präsentieren. ‎
Meine Frage ist, wenn das Regime so böse und rücksichtslos ist, ‎warum kommt ihr nicht zurück, und kämpft persönlich? Seid ihr von der ‎Aufgabe befreit, weil andere sie übernehmen? Habt ihr die Führung ‎inne, und wollt dem heldenhaften Volk eure Ratschläge nicht ‎vorenthalten? Oder sind es andere Gründe; ihr hattet Kontakt zu ‎jemandem, der verhaftet wurde, und habt Angst vor Gefängnis und ‎Folter, sobald ihr zurückkommt? Oder haben ihr Mutigen keine Angst ‎vor Folter und Vergewaltigung, wollt aber euer Studium nicht unfertig ‎aufgeben? Oder eure Arbeit verlieren? Oder wollt ihr euren Lieben ‎nicht Sorge bereiten? ‎
Warum also diese Überredung zur Teilnahme? Diese Unzähligen, die ‎auf die Straßen gehen sollen, haben doch auch einen Beruf, sind ‎Studenten oder haben Angehörige, die sich um sie Sorgen machen. ‎Ist ihr Leben weniger wert? ‎
Ich behaupte, dass ich an Meinungsfreiheit glaube. Meiner Meinung ‎nach hat jeder das Recht, seinen Standpunkt und seine Gefühle ‎darzustellen – ob nun in Wort, Zeichnung oder Tanz. Ich kann ‎trotzdem nicht nachvollziehen, was in so einem Kopf vor sich geht, der ‎aus der Ferne erwartet, dass andere aufs Schlachtfeld ziehen. Mein ‎Ärger ist kein Zeichen dafür, dass ich, wenn ich die Macht dazu hätte, ‎die Tat verhindern würde, über die ich mich ärgere.“ ‎

Einige Kommentare der Leser dieses Blogs, die den Umfang der Debatte skizzieren:

FaFaz: ‎ ‎
„Super, du redest uns aus der Seele“‎
Naser: ‎ ‎
„Ich finde es nicht richtig, so zu urteilen: „warum kommt ihr nicht ‎zurück, und kämpft persönlich?“ Es ist möglich, dass ich selbst im ‎Land bin, und stellt euch vor, ich nähme aus Angst an den Protesten ‎nicht teil. Aber ich kann doch trotzdem andere ermutigen, die ‎teilnehmen wollen.“‎
Kaave: ‎ ‎
„Einverstanden, jemand, der etwas nicht tut, kann trotzdem darüber ‎reden. Mir gefällt aber ein solches Verhalten nicht.“‎
Khosro: ‎ ‎
„Anscheinend ist es mehr als Ärger, was da spricht. Ich kann sowas ‎auch nicht nachvollziehen“‎
Bahar: ‎ ‎
„Schauen Sie, es ist doch nicht so, dass sie gar nichts machen ‎würden… Ich muss dazu sagen, dass ich selbst im Ausland bin. Erst ‎mal kann man den Medien nicht vorhalten, dass sie die Situation ‎besonders zuspitzen würden, sie berichten immer über besondere ‎Ereignisse. Zum anderen helfen die Menschen im Ausland da, wo sie ‎können, vor allem, um die Nachrichten zu verbreiten, was von drinnen ‎eingeschränkt ist. Keine Sorge, wenn es soweit ist, werden viele ‎zurückkommen. Viele die mit ihren Gedanken dort sind, wollen eines ‎Tages zurück; aber man kann doch nicht alles sofort liegen lassen. … ‎Insgesamt kann ich deine Gedanken nachvollziehen, aber dein Urteil ‎ist unvollständig.“‎
Unbekannt: ‎ ‎
„Der Autor versucht mit List etwas anderes zu machen: er will ‎Zwietracht säen zwischen „In- und Auslandiranern“. Das ist das ‎gleiche, was das Regime seit über 30 Jahren mit „die unseren“ (oder ‎Systemtreue) und „die anderen“ (oder Systemgegner) veranstaltet; bis ‎zum Auftauchen der Grünen Bewegung auch mit Erfolg.‎
Unbekannt: ‎ ‎
„Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Islamische ‎Republik das Internet filtert, die Sattelitenprogramme mit Störsendern ‎attackiert, und alle Zeitungen im Land verbietet. Wie sollen die ‎Menschen noch an echte und richtige Nachrichten kommen? Die ‎Exiliraner sind die letzte Quelle, die übrig bleibt und die das Regime ‎nicht kontrollieren kann; solche Beträge könnten, wissentlich oder ‎unwissentlich, die letzte Öffnung schließen.“‎
Keyvan: ‎ ‎
„Ich habe auf Facebook über 600 Freunde…von denen teilen etwa ‎zehn Personen Beiträge über die Unruhen in Iran. Aus dieser ‎Zehnergruppe leben neun im Ausland. Von diesen neun sind 5 in Iran ‎verurteilt worden und in Evin oder ähnlichen Gefängnissen inhaftiert ‎gewesen. Von den neun wollen sechs definitiv nach Iran ‎zurückkehren, und von den übrigen drei wurde einer vor kurzem zu ‎zehn Jahren Haft verurteilt.‎ Mit meiner ganz persönlichen Statistik kann ich Ihrem Artikel ‎widersprechen: Menschen im Ausland, die solche Aktivitäten im Netz ‎betreiben, haben selbst häufig für ihr Engagement großes Leid ‎ertragen müssen. ‎
Was ich bisher beobachtet habe ist, dass, je weiter Menschen vom ‎Konflikt entfernt sind, desto mehr sie sich darum sorgen, was ihr Tun ‎bewirken könnte…Die meisten, die im Land der Gefahr aus dem Weg ‎gehen, würden im Ausland auch die Gefahr, die aus der Verbreitung ‎der Nachrichten hervorgeht, meiden. ‎ Zum Schluss resümiere ich, dass Ihre Persönlichkeitsanalyse der ‎besagten Gruppe absolut nicht der Wahrheit entspricht.“‎
Unbekannt:‎ ‎
„Was Sie schreiben geht wahrscheinlich vielen durch den Kopf; viele ‎sitzen unbeteiligt neben dem Schauplatz und fordern Action; aber ich ‎denke nicht, dass es unbedingt Leute sind, die im Ausland leben.“‎
Amir:
„Ich studiere in Kanada. Ich habe niemanden überredet, zur Demo zu ‎gehen. Ich habe nur die Nachrichten und Videos zu den Ereignissen ‎verbreitet. Du musst doch zugeben, dass Informieren und Überreden ‎zwei verschiedene Dinge sind. Dafür habe ich bisher an den meisten ‎Demos in Vancouver teilgenommen. Und ich habe mich immer schon ‎gefragt, was die Menschen in Iran über mich und meinesgleichen ‎denken. Was, deiner Meinung nach, sollte ich von hier aus machen?“‎
Unbekannt:‎ ‎
„Man müsste in dieser Debatte einiges beachten. Ich bin erst seit ‎kurzem ‎ im Ausland und kann beide Perspektiven betrachten. Als ich noch im ‎Land war, habe ich mich sehr gefreut, wenn meine Freunde im ‎Ausland die Nachrichten verbreiteten oder ihr Profilbild änderten. Aus ‎drei Gründen: 1. Sie dachten an uns und zeigten, dass ihr Weggehen ‎sie nicht abgetrennt hatte. 2. Als ich in der Provinz war, konnte ich ‎viele Nachrichten, besonders die Videos nur auf ihren Seiten sehen. ‎‎3. Sie informierten auch ihre nicht-iranischen Freunde; viele von ‎denen wollten die Übersetzung der Nachrichten und mehr wissen. ‎
Was mich ärgerte, waren diejenigen, die dort ihre Namen änderten. Ich ‎hatte das Gefühl, dass sie sogar wenn sie nicht im Land sind, nicht ‎den Mumm haben, dem Regime zu begegnen. Ich versuchte es ‎trotzdem nachzuvollziehen, sie hatten wahrscheinlich ihre Gründe. ‎ Wenn jemand zu einer Demo geht, dann weiß er, was ihn erwartet. Er ‎tut es nicht wegen der Aktivitäten einiger Facebook-Mitglieder. Und ‎wenn jemand nicht gehen will, wird er seine Meinung mit dem Teilen ‎einiger Fotos oder Videos nicht ändern.“‎
Unbekannt:
„Ihre Argumente sind nicht haltbar. Als ich in Iran war habe ich bis ‎Ashura alle Demos mitgemacht; zur gleichen Zeit hatte ich ein US-‎Visum in der Tasche. Und jetzt denke ich, dass mein Studium ebenso ‎wichtig für das Land ist, wie auf Demos zu gehen. Ich lade meine ‎Freunde sowohl dazu ein, zu den Demonstrationen zu gehen, als ‎auch zum Studieren im Ausland. Diese Schwarz-Weiß-Malerei hilft nur ‎dem Regime.“‎
Unbekannt: ‎
„Ich bin mit dem meisten, was Sie schreiben, einverstanden. Aber der ‎Satz: „…die Situation doch etwas ruhiger ist, als Voice of America oder ‎Balatarin* präsentieren“ brachte mich auf die Palme. Wo leben Sie ‎den? Irgendwo gemütlich am Kamin? In den besseren Gegenden? Ich ‎lebe in Teheran und habe in den letzten anderthalb Jahren keine ‎Demo ausgelassen. Ich habe Sachen gesehen, die nicht einmal auf ‎Video festgehalten werden konnten, damit sie im Westen ausgestrahlt ‎würden.
Wo waren Sie am 13. Aban (Jahrestag der Besetzung der ‎US-Botschaft, offizieller Feiertag; Anm. Red.)? In einem hübschen ‎Café in der Jordan-Straße? Ich aber kann die Blutspur auf der Vali Asr ‎Straße nicht vergessen. Die blutüberströmten Haare des jungen ‎Mannes kommen noch immer in meinen Albträumen vor. Ich hoffe er ‎lebt noch! Meine Lunge musste wegen dem ganzen Pfefferspray und ‎Tränengas, das ich eingeatmet hatte, zweimal durchgespült werden. ‎Diese Einschätzung macht den Rest unglaubwürdig.‎
Unbekannt:‎ ‎
„Ist der Autor sich der Zensur und Filterung des Internets bewusst? Ich ‎nehme an, ja. Aber warum polarisiert er dann in solchen unsicheren ‎Zeiten? Wenn ein freier Zugang zum Internet möglich wäre oder die ‎Nutzer im Land – die meistens mit ihren echten Namen aktiv sind – ‎von der Verbreitung der Demo-Aufrufe und sonstiger „Gerüchte“ unter ‎ihrem eigenen Namen sich nicht fürchten müssten, dann könnte die ‎Sache eine andere Bedeutung haben.“‎
Unbekannt:‎ ‎
„Egal ob im Land oder außerhalb, viele sind aus Selbstschutz nicht ‎bereit ihr Facebookprofil eindeutig „grün“ zumachen. Außerdem trägt ‎jeder zum Kampf bei, wo er kann. Wir können aus dem Ausland mit ‎einer schnellen Internetleitung den Hackerangriffen der Regierung auf ‎Nachrichtenseiten begegnen. Das ist bestimmt nicht weniger Wert als ‎auf der Straße zu sein. ‎ Dass ihrer Meinung nach in Iran alles ruhig und sicher ist finde ich ‎bedauernswert. Müssen wir erst das afghanische Schicksal unter den ‎Taliban erleiden? Vielleicht habe ich auch zu hohe Ansprüche ans ‎Leben, dass die „Ruhe im Land“ mich nicht zufrieden stellte.“‎
Narges:‎ ‎
„Es ist wichtig, dass man Nachrichten von Menschen erhält, denen ‎man vertraut. Facebook ist der stete Tropfen auf einen Stein. ‎Unabhängig vom Standort. Wir brauchen Erosion, keine Bulldozer. ‎Wael Ghonim lebte übrigens auch in den Emiraten. ‎ Aus der Perspektive von jemandem im Ausland, der letztes Jahr ‎verprügelt, dessen Auto demoliert und dessen Kamera konfisziert ‎wurde, und der dieses Jahr nächtelang wach ist, aus Sorge, ob die ‎Schwester unversehrt nach Hause kommt, finde ich die Beschreibung ‎der Lage als „ruhig“ zum Kotzen.“ ‎
Typ:‎ ‎
„Der Artikel ist teilweise logisch. Der unhöfliche Ton stört aber. Aber ich ‎mag es, wenn in Weblogs unterschiedliche Atmosphären herrschen. ‎ Zur „Ruhe im Land“ muss ich was beitragen: Es ist immer abhängig ‎davon, wo du wohnst und wer deine Freunde sind. Am 25. Bahman ‎‎(14. Februar) gab es sowohl Valentinstag, als auch Demonstrationen, ‎aber auch normalen Alltag, unberührt von beidem. Ich habe mit ‎Menschen aus allen drei Gruppen geredet, und die Erlebnisse glichen ‎sich nie, noch nicht einmal in der selben Gruppe. Was habe ich, der ‎keine materiellen Sorgen hat, mit dem zu tun, der unter dem Müll auf ‎dem Tarebar-Platz nach etwas Brauchbarem sucht. Kann man mich ‎und dich, die nie eine Ohrfeige bekommen haben, mit den Insassen ‎der (Haftanstalt) Kahrizak vergleichen? (..)‎
Nadia:‎ ‎
„Es ist nicht fair alles in einen Topf zu schmeißen. Ich lebe in Iran, bin ‎aber mit Straßenprotesten nicht einverstanden. Verbreite aber die ‎Nachrichten dazu, weil viele meiner Freunde hingehen, und ich hoffe, ‎mit der Erhöhung des Informationsstandes die Niederschlagung zu ‎minimieren. ‎
Übrigens haben wir hier die Einschränkungen, die alle kennen. ‎Dagegen kann jemand aus dem Ausland die gleichen Ziele wie ich ‎verfolgen. In meiner etwa 200 Personen umfassenden Facebook-‎Liste verbreiten nur diejenigen die Demo-Aufrufe, die selbst an ihnen ‎teilnahmen, als sie hier waren.“‎
Reza:
„Viele verfolgen keine bestimmte Absicht, wenn sie Videos etc. teilen. ‎Sie freuen sich, dass viele an den Protesten teilnehmen, wollen aber ‎gleichzeitig nicht, dass ihren Freunden etwas zustößt. Jetzt fühlen sie ‎sich von deinem Beitrag angesprochen, aber vom harschen Ton ‎ungerecht beurteilt.“‎
Kaveelajevardi (Bloginhaber)‎:
“Reza, das sehe ich ein (siehe meinen nächsten Post), dass ich nicht ‎den richtigen Ton angeschlagen hatte. Dass sich Leute angesprochen ‎fühlen: es ist nicht so, dass ich vorher berechne, wie etwas ‎aufgenommen wird, während ich das schreibe. Stell dir vor, wir sitzen ‎mit Freunden irgendwo, und jemand macht einen Fehler in seinen ‎Ausführungen. Ich mache darauf aufmerksam und korrigiere es. Es ‎vergeht aber einige Zeit, bis ich merke, dass meine Absicht seine ‎Demütigung war, und keine Korrektur.“ ‎