Die Meister der Inszenierung

Trauer ist ein konstitutiver Bestandteil des Schiitentums. Keine Religion in der Welt hat so viele Anlässe zum Trauern wie der Schiismus. Fast alle schiitischen Imame wurden von Feinden ermordet. Zwölf Imame haben die Schiiten. Auf das Erscheinen des Zwölften, der in Verborgenheit lebt, wartet man seit fast 1.200 Jahren. Die vorangegangenen elf wurden geköpft, gemeuchelt oder vergiftet, so die offizielle Narration. Man trauert das Jahr hindurch an ihren Todestagen oder am jeweils vierzigsten Tag ihres Todes. Um Hussein, den dritten Imam, trauert man sogar zwei Monate. Auch den Propheten selbst nebst seiner Tochter Fatima betrauert man mehrere Tage lang. Es scheint fast, als reichten die 365 Tage eines Jahres nicht aus, um all dieser Anlässe würdig – will heißen: weinend und schluchzend – zu gedenken.
Die Machthaber der Islamischen Republik mögen in vieler Hinsicht unfähig sein. In Sachen Propaganda und Mobilisierung der Straße sind sie aber Meister. Bei jeder Krise sollen die Massen auf der Straße die Macht des Systems manifestieren.

Rache ist heilig und gerecht

Ein Wort wird bei diesen Trauerfeierlichkeiten stets wiederholt: انتقام – entegham. Man kann das mit „Rache“, „Vergeltung“, manchmal sogar mit „Gerechtigkeit“ übersetzen. Gott hat im Koran viele Namen, und منتقم , „Rächer“, ist einer davon. Für Rache ist im Iran so oft und so intensiv geworben worden, dass das Wort gar keine negative Konnotation mehr hat. Im Strafrecht der Islamischen Republik ist die Rache gleich in mehreren Paragraphen beschrieben. Tötet oder verletzt jemand einen anderen, so haben das Opfer oder seine Hinterbliebenen das Recht auf Rache – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ein schon zum Tode verurteilter Mörder kann im letzten Augenblick wortwörtlich seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, wenn die Erben des Opfers ihn begnadigen. Natürlich gelten auch dabei für verschiedene Geschlechter unterschiedliche Regelungen: Frauen haben nicht das volle Recht der Rache.

Generalmajor Qassem Soleimani (mitte), Kommandeur der al-Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarde im Irak - geschützt durch Milizen der „Volksmobilisierung“
Qasem Soleimani (mitte) war häufig im Irak, um „die Lage“ zu beurteilen – Foto: Soleimani geschützt durch die Milizen der Hashd al-Shaabi!

Das Wort Rache verwendete Ayatollah Khamenei bereits in seinem Kondolenzschreiben unmittelbar nach Soleimanis Tod. Nach dieser Rache werde „die Bitternis der Mörder größer sein als unsere Trauer“, schrieb er da. Seitdem ist das Wort so oft und von so vielen Mächtigen und weniger wichtigen Menschen im Iran wiederholt worden, dass man den Eindruck haben muss, die Islamische Republik sei selbst das erste Opfer ihrer eigenen Propaganda. Man setzt sich unter einen Zugzwang, den man sich nicht erlauben kann.
Es sei denn, hier ist gar keine Propaganda im Spiel. Im Gegenteil: Ernsthaft will die Islamische Republik Soleimanis Tod entsprechend seiner Bedeutung rächen. Eine solche Rache muss groß und sehr beängstigend sein. Der Getötete ist für das System unersetzlich. Er verkörperte die Macht der Islamischen Republik in der Region. Eine Rache, die Soleimanis würdig ist, bedeutet also einen ganz großen Krieg, der alles vernichtet, Khameneis Macht eingeschlossen.

52 Ziele, 52 Geiseln

Am Sonntagabend twitterte US-Präsident Trump, US-Militärs hätten bereits 52 iranische Orte, darunter auch wichtige kulturelle Stätten, im Visier, falls der Iran amerikanische Bürger oder Interessen angreifen sollte. Es waren 52 US-Diplomaten, die am Anfang der Revolution 444 Tage lang in Teheran als Geiseln festgehalten wurden.
Als Antwort auf Trumps Drohung sagte Mahmud Dehghan, Militärberater Khameneis, in einem CNN-Interview, die Antwort des Iran könne nur militärisch und Soleimanis würdig sein. Danach höre man auf. Amerika solle nicht reagieren, meint dieser hochrangige Militärberater, der auch einmal iranischer Verteidigungsminister war. Der Iran könne tatsächlich Soleimanis Bedeutung entsprechend einen Racheakt gegen die USA verüben – und danach bliebe alles ruhig?♦

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