„Rückschlag“ für die AIDS-Bekämpfung durch Ahmadinedschad

Hunderte HIV/AIDS-Behandlungszentren im Iran verdanken ihre Existenz vor allem den Bemühungen von zwei Ärzten: Arash und Kamiar Alaei. Im Sommer 2008 wurden die Brüder Alaei allerdings festgenommen. Der Vorwurf gegen sie lautete: „Verschwörung zum Sturz des Systems“ – was die beiden Brüder vehement zurückweisen. Kamiar wurde nach zweieinhalb Jahren, Arash nach 39 Monaten freigelassen. TFI sprach mit den beiden Pionieren, die heute im US-Bundesstaat New York leben.
 
Zwei Jahrzehnte lang weigerte sich der herrschende Klerus im Iran, anzuerkennen, dass es HIV/AIDS-Infizierte im Lande gibt. Dann, zur Zeit des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami, konnten die Brüder Kamiar und Arash Alaei erste wissenschaftliche Forschungen über die Immunschwächekrankheit durchführen und ihr erstes Behandlungszentrum, die „Trianguläre Klinik“, gründen. Sie wurde von der Weltgesundheitsorganisation als „Best practice“-Beispiel für Kontrolle und Prävention von HIV-Infektionen im Mittleren Osten anerkannt.
TFI: Dr. Arash und Kamiar Alaei, Sie gehören zu den Pionieren der AIDS-Bekämpfung im Iran, Ihre Tätigkeit wurde international anerkannt. Warum wurden Sie 2008 festgenommen?

Kamiar Alaei: Wir haben seitdem drei Jahre lang über diese Frage nachgedacht, konnten aber keine logische Antwort finden. Sie sollten sie denjenigen stellen, die über unsere Verhaftung entschieden haben. Was wir damals taten, war völlig transparent. Wir arbeiteten auf dem Gebiet der Bekämpfung von HIV und AIDS.
Unter welchen Umständen wurden Sie verhaftet?

Arash Alaei: Ich hatte an dem Tag auf dem Weg von einem Krankenhaus in ein anderes an einer Tankstelle im Teheraner Norden angehalten, um mein Auto aufzutanken. Dort umzingelten mich drei Autos. Ich wurde von fünf bis sechs Männern in ziviler Kleidung verhaftet, die mir nicht sagten, warum und woher sie gekommen waren. Am Tag darauf durchsuchten sie unser Haus und verhafteten auch meinen Bruder.
Was waren die Vorwürfe?

Arash Alaei: Wir haben etwa acht Monate lang nicht gewusst, wie die Vorwürfe gegen uns lauteten. Erst als wir vor Gericht gestellt wurden, wurde uns gesagt, dass wir „der Beziehung zu einem feindlichen Staat zwecks sanften Sturzes des Systems“ beschuldigt wurden.
Wurde Ihnen erklärt, was damit gemeint ist?




Arash (links) und Kamiar Alaie
Arash (links) und Kamiar Alaie



Arash Alaei: Die ganze Gerichtsverhandlung gegen uns dauerte zehn Minuten. Dabei fiel kein konkretes Wort über die Vorwürfe gegen uns. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sprach lediglich über die politischen Konflikte zwischen dem Iran und den westlichen Ländern. Als wir fragten, was das mit uns zu tun habe, wurden wir angewiesen, den Mund zu halten. Dann wurde ich zu sechs und mein Bruder zu drei Jahren Haft verurteilt. Wir wurden früher entlassen, weil wir nicht vorbestraft waren.
Wie verliefen die Vernehmungen?
Arash Alaei: Während der Vernehmungen mussten wir unsere Tätigkeiten beschreiben, alle Konferenzen, an denen wir teilgenommen und alle Länder, die wir besucht hatten, sowie Leute, die wir kannten und unser Verhältnis zu ihnen detailliert darstellen. Das taten wir hunderte Male.
Die iranische Regierung hatte 2006 bekanntgegeben, ein Medikament für die Behandlung der AIDS-Patienten produziert zu haben. Sie haben damals einen kritischen Artikel darüber geschrieben …
Arash Alaei: Das stimmt. In dem Artikel, der in der reformorientierten Tageszeitung Schargh veröffentlicht wurde, schrieb ich, dass man sich auf das neue Medikament nicht verlassen könne, bevor es nicht wissenschaftlich getestet worden sei. Mein Zweifel erwies sich als begründet: Später sprach keiner mehr über das neue Medikament, das am Anfang als „iranisches Geschenk für die Menschheit“ gefeiert wurde. Mein Artikel wurde in den Vernehmungen auch angesprochen. Es hieß, ich hätte mit ihm die „Errungenschaften der iranischen Regierung“ in Frage gestellt.
Wie wurden Sie im Gefängnis behandelt?
Arash Alaei: Wir waren zwei Monate lang in Einzelhaft. Sieben weitere Monate teilten wir eine Einzelzelle mit drei bis vier anderen Häftlingen. Nur zwei Mal pro Tag durften wir die Toilette und zwei Mal in der Woche das Bad benutzen. Jedes Mal, wenn wir unsere Zelle verließen, wurden unsere Augen verbunden. In den ersten Monaten hatten wir gar keinen Kontakt zu unserer Familie, später durften unsere Familienangehörige uns ab und zu anrufen oder besuchen. Der Kontakt zum Anwalt wurde erst am Tag der Gerichtsverhandlung möglich, also acht Monate nach der Verhaftung.
Ihnen wurden erst zur Zeit der Reformer erlaubt, auf dem Gebiet der HIV- und AIDS-Bekämpfung aktiv zu werden. War die Machtübernahme von Präsident Mahmud Ahmadinedschad ein Rückschlag für diesen Kampf?
Kamiar Alaei: Im Großen und Ganzen ja, weil seine Regierung nicht anerkennt, dass es im Iran risikoreiches Verhalten gibt. Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung ist jung und daher der Gefahr der HIV-Infizierung durch Geschlechtsverkehr ausgesetzt. Wenn die Regierung nicht zulässt, dass die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, werden immer mehr Leute mit dem Virus infiziert.
Sie durften auch eine Zeit lang in Schulen Aufklärung betreiben. Was wurde daraus?
Kamiar Alaei: Damals starteten wir Pilot-Programme. Wir veranstalteten Kurse in Mädchen- und Jungenschulen. Wir verfassten sogar ein Buch für Schüler über HIV und AIDS. Die Programme ließen allerdings nach der Machtübernahme von Ahmadinedschad quantitativ und qualitativ nach.
Wie viele HIV- und AIDS-Patienten gibt es momentan im Iran?
Kamiar Alaei: Laut dem iranischen Gesundheitsministeriums gibt es momentan etwa 24.000 Patienten mit HIV oder AIDS. Unseren Einschätzungen zufolge liegt die tatsächliche Zahl jedoch bei über 100.000. Etwa 75 Prozent der HIV-Infizierten wissen gar nicht, dass sie krank sind, und infizieren deshalb ungewollt andere. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bevölkerung aufgeklärt wird. Doch der Iran vernachlässigt das.
Interview: Mohammad Reza Kazemi