Das Exil und der Tod

Der heute 58-jährige Shahrouz Rashid, ebenfalls ein bedeutender iranischer Dichter, flüchtete mit 24 Jahren nach Deutschland. Bereits mit 11 Jahren hatte er Gedichte geschrieben. Er wurde vom Fieber der Revolution erfasst, beteiligte sich an der Protestbewegung gegen den Schah und wurde Mitglied der linken Gruppe „Rahe kargar“. Um seiner Verhaftung zu entgehen, musste er Iran verlassen.
Anderes als Bozorg Alavi, der als Hochschullehrer in privilegierten Verhältnissen lebte und dennoch literarisch weder in Deutsch noch in Persisch etwas Neues hervorbrachte, haben Rashid und seine Frau Azar Shahab trotz ihrer prekären Lage ihre Literatur und Dichtkunst weiter verfolgt und sind darin sogar gewachsen. Shahrouz Rashid hat acht Gedichtbände in persischer Sprache veröffentlicht. Lesungen führen ihn in diverse europäische Länder und auch jenseits des Atlantiks. Aus Leidenschaft bietet er europaweit Workshops zum Kreativen Schreiben an. Dabei hat er engen Kontakt zu seinen Dichterkollegen im Iran gepflegt, die oft – von Institutionen und Stiftungen eingeladen – zu Dichterlesungen nach Deutschland kamen. Sie haben ihn schließlich überredet, eine Auswahl seiner Gedichte im Iran zu veröffentlichen. Inzwischen sind ein Gedichtband und fünf Bände von Rashid übersetzte Weltliteratur dort erschienen. (2)
Seine persischen Gedichte sind zum Teil in Deutschland vor allem im Selbstverlag erschienen, einige wurden von kleinen Verlagen in Deutschland und Schweden veröffentlicht. Rashid arbeitete zeitweise in der Küche eines Berliner Restaurants, weil sein literarisches Schaffen in persischer Sprache ihn nicht ernähren konnte. Er verwandelte diese Küche in den Schauplatz seiner Fantasien und reimte dort die bunten Worte, die er abends am Schreibtisch zu Gedichten schliff. Shahrouz Rashid und seine Frau lebten in bescheidenen Verhältnissen, ein paar Schritte von der U-Bahn-Linie 1 entfernt – wenn die U-Bahn vorbeifuhr, mussten wir das Gespräch unterbrechen oder ganz laut reden.

Der Dichter Shahrouz Rashid
Der Dichter Shahrouz Rashid

Seine Frau Azar Azar-Shahab, ebenfalls literarisch tätig, fuhr in Berlin Taxi und veröffentlichte im Iran ihre literarischen Arbeiten. Das Einkommen daraus reichte, auch wenn die Auflage nicht immer niedrig war, gerade dafür, sich einige der Bücher nach Berlin schicken zu lassen und sie hier Freunden und Kollegen zur Verfügung zu stellen.
Shahrouz Rashid ist in den 35 Jahren Aufenthalt in Deutschland nie in den Iran gefahren. Seine Eltern haben ihn nie in Berlin besuchen können. Einmal hat er sie in einem Drittland getroffen, für das die Eltern kein Visum benötigten. Inzwischen sind beide Elternteile gestorben. Seine einzigen Fenster zur deutschen Gesellschaft waren ein kleiner Raum in einem Gemeinschaftsbüro in Kreuzberg, wo er seinen Schreibtisch stehen hatte, der Farsi-Unterricht für Journalist*innen, den Rashid erteilte, und seine Bemühungen, im „The Poetry Project“ jungen Schutzsuchenden aus diversen Ländern beizubringen, wie sie durch Schreiben ihre Seelen von Krieg- und Fluchterlebnissen befreien können.
Am 2. Februar starb Shahrouz Rashid mit 58 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts.
Die „Exil“-Übersetzerin
Roshanak Dariush, geboren 1961 in Teheran, gestorben 2003 in München, war eine Literatur-Übersetzerin. Sie hat sieben Romane ins Persische übertragen (3). Sie war auch Übersetzerin bei der berühmten und folgenreichen Berlin-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im Jahr 2000, die zu zahlreichen Verhaftungen im Iran führte. Zu dieser Zeit war ihr Mann im Gefängnis, ihr kleiner Sohn lebte bei der Großmutter im Iran. Als diese krank wurde, war der Junge auf sich allein gestellt. Es gelang Dariush mithilfe humanitärer Vermittlung, ihn nach Deutschland zu holen. Kurze Zeit später erlag sie einer Krankheit und dem Dauerstress.
Iranische Schriftsteller auf dem Père Lachaise
Roshanak Dariush
Roshanak Dariush

Sadegh Hedayat, der bedeutendste iranische Schriftsteller der Moderne, nahm sich 1951 mit 48 Jahren in Paris das Leben. Er ist auf dem berühmten Père Lachaise-Friedhof begraben. Gholamhossein Saedi, ein namhafter Schriftsteller und Dramatiker, starb 1985 mit 50 Jahren in Paris. Auch sein Grab liegt auf dem Père Lachaise.
Resa Daneshvar hatte sich bereits vor der Revolution mit seiner Erzählung „Totengebet“ einen Namen gemacht. Die Geschichte handelt von zwei politischen Gefangenen: Der eine bricht zusammen und bespitzelt Mitgefangene, der andere bleibt sich und seiner Überzeugung treu. Drei Jahre nach der Revolution, 1982, hält Daneshvar es im Iran nicht mehr aus, er schreibt weiterhin im Pariser Exil – unter anderem eine Erzählung, die auf einer wahren Geschichte beruht: über einen Iraner, der 18 Jahre lang auf dem Flughafen Charles de Gaulle lebte. 2015 starb Daneshvar mit 68 Jahren in Paris an Lungenkrebs und ist auf dem Père Lachaise begraben.
Alireza Rezaie, Satiriker und Regisseur, schrieb für „Gol Agha“, ein bedeutendes iranisches  Satiremagazin. Während der Grünen Bewegung 2009 suchte er in Paris Schutz. Im November 2018 starb er mit 44 Jahren in der Stadt Lille an einem Herzinfarkt.
Viele Intellektuelle und Schriftsteller im Exil verlieren ihr Leben durch Herzversagen, Gehirntumore oder Lungenkrebs; Krankheiten, die mit Herz und Seele in Verbindung stehen. So sehr die Unzufriedenen aus dem Iran mit dem Gottesstaat auf Kriegsfuß stehen, so sehr sind sie den Schönheiten des Landes, seiner Natur, Literatur, Kunst und Kultur verbunden. Sie verabscheuen Aberglauben, aber fast jede*r Iraner*in im Exil hält an Neujahrstraditionen fest; auch ich. Am 21. März beginnt der Frühling im Iran, die Obstbäume tragen Blüten und das neue Jahr beginnt. Auf dem Neujahrsgedeck darf der Gedichtband von Hafiz nicht fehlen, und sieben Sachen, die mit Buchstaben „sin“ (S) anfangen; schöne Dinge des Lebens und Zeichen für Fruchtbarkeit und Hoffnung: Sonbol (Hyazinthe), Sabzeh (grüne Weizen- oder Linsenkeime), Sib (Apfel), Sir (Knoblauch), Sekke (Münze), Somagh (Sumak) und Samanou (eine Mehlspeise aus Weizenkeimen). Sie zeigen, dass Verfall und Verwesung genauso zum Leben gehören wie Hoffnung, Sprießen und Blühen.♦
  © Iran Journal 
(1) Der Kirschgarten, Anton Tschechow; Zwölf Monate, Samuel Marshak; Mrs. Warren’s Profession, George Bernard Shaw; An Inspector Calls, J.B. Priestly; Die Jungfrau von Orleans, Friedrich Schiller;   Das Iranische Nationalepos, Theodor Nöldeke.
(2) Die Glut, Sandor Marai; Plötzlich tief im Wald, Amos Oz; Ecce Nietzsche, Günther Schulte; Spaziergang, Thomas Bernhard; Die irdischen Notizen, Dostojewski; Die folgende Geschichte, Cees Nooteboom.
(3) Wie eine Träne im Ozean, Manes Sperber – 2 Bänder, 1000 Seiten;   Das Spiel ist aus  (Drehbuch), Jean-Paul Sartre; Exil, Lion Feuchtwanger – 3 Bänder; Ambiquität, Maurice Merleau-Ponty; Lena, Käthe Recheis; Mein Jahrhundert, Günter Grass;  Die satanischen Verse, Salmen Rushdi.
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