„Wir haben eine Periode der Gewalt und der Furcht vor uns“

Das zeigt ein vollkommenes Durcheinander auf der Ebene der politischen und rechtlichen Strukturen des Machtapparats, das immer nur kurzfristig durch Einmischung des geistlichen Führers Ali Khamenei zugunsten einer Seite beigelegt wird, bis es später in anderer Form wieder zutage tritt.
Khamenei hat in der letzten Zeit viele Reden gehalten – und sich dabei plötzlich bescheiden gezeigt: Er habe die Benzinpreiskalkulation Experten überlassen, da ihm das nötige Wissen fehle, und dann deren Entscheidung unterstützt, sagte er kürzlich. Das ist neu, denn bisher hat sich der geistliche Führer des Iran in allen Angelegenheiten vom Atomdeal bis zu innenpolitischen Belangen kompetent genug gefühlt, um sich einzumischen. Warum die plötzliche Bescheidenheit?
Das ist eine Flucht nach vorne und eine Unschuldsbehauptung angesichts der Folgen, die die Benzinpreiserhöhung hatte.
Können Sie einschätzen, wie hoch die Strafen für die bei den Protesten Festgenommenen ausfallen werden?
Es ist wahrscheinlich, dass sie besonders harte Urteile erhalten werden.
Erwarten Sie, dass sich die jüngsten Ereignisse auf die Lage der bereits einsitzenden politischen Gefangenen auswirken werden? Werden sie strengeren Regeln wie etwa eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten unterworfen werden?
Der Druck auf die politischen Gefangenen wurde schon vor Beginn der Proteste, als die Machthaber eine neue Protestwelle befürchteten, verstärkt.
Internationale Medien haben kaum von den jüngsten Unruhen im Iran Notiz genommen. Auch in Europa lebende Iraner*innen reagieren anders als 2009, wo sie solidarisch und mit vereinten Kräften reagiert haben. Was denken die Menschen im Iran darüber?
Unterschiedlich: Manche meinen, dass die internationalen Medien keine Bedeutung für den Iran haben, andere finden sie sehr wichtig. Es ist auf jeden Fall richtig, dass die Reaktionen der Medien im Ausland der Größe der Katastrophe im Iran nicht gerecht wurden.
Wie sehen Sie die Zukunft? Wird es eine nationale Versöhnung geben? Werden die Regierenden und die dritte Bevölkerungsgeneration nach der Revolution jemals friedlich miteinander leben können?
Ich persönlich sehe keinen Anlass, zu hoffen, dass die Lage im Iran in nächster Zukunft besser wird – es sei denn, es geschieht ein Wunder. Aber längerfristig hoffe ich, dass so etwas passiert. Wir haben auf jeden Fall eine Periode der Gewalt und der Furcht vor uns.
© Iran Journal

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