Die Situation der bildenden Künste im Iran

Die im Kunstdiskurs selbstdefinierte Problematisierung, die mit einer polemischen Formulierung wie ‘Kunst sei eine Kopie des Westens’ zum Ausdruck kommt, ist in beiden Bereichen, dem In- wie dem Ausland, eine der interessanteren Spezifika iranischer Kunst. Im Weiteren heißt dies, dass die Freiheit der Kunst nicht bedeuten kann, das eigene Arbeiten in einen interesse- und geschichtslosen Raum zu stellen, sondern mit eben diesen sozialen, historischen und politischen Voraussetzungen umgehen zu können. Hierin nationale respektive gegen-nationale Eigenheiten zu lesen, also affirmative oder dezidiert anti-affirmative Zielstellungen zu sehen, wird der Sache nicht gerecht, nicht nur deshalb, weil sich beide Positionen gelegentlich auf einen Künstler vereinen. Die entstandene Sensibilisierung lässt sich weit mehr in einem Begriff wie dem ‘Othering’ sehen, der seine Herausbildung auch seiner möglichen Abwesenheit verdankt. Die Auseinandersetzung mit diesem Begriff aus dem Kontext postkolonialer Diskussionen ist im Iran komplex angelegt. Er beinhaltet ein vielschichtiges Fragen und Hinterfragen, nicht nur im Zusammenhang mit der Globalisierung, sondern mit der Rolle des Künstlers im Feld internationaler, nationaler und individueller Ausformungen. Das schließt ein, dass sich der künstlerische Diskurs auch als ein oppositioneller ausformuliert hat. Einer Vereinnahmung begegnete er auf unterschiedlichen Ebenen.

Der Übergang in die Zeit Rouhanis lässt sich auf der einen Seite mit dem Aufsatz von Iman Afsarian beschreiben, ‘The fortunate adolescent’ (2012). Afsarian zeigt in einem analytischen Abriss der Kunstentwicklung unter den Präsidenten Chatami und Ahmadinedschad mit einem dezidiert polemisch gewählten Titel die Tendenz der Kunst, auf unkritische Weise eine globalisierte Sprache der Kunst zu internalisieren, um dazu gleichsam gegenläufig programmatisch einen Diskurs einzufordern, der im Kontext postkolonialer Diskussionen anzusiedeln ist. Mit einer ähnlichen Akzentsetzung lässt sich eine Diskussion auffassen, die unter Verweis auf ‘westliche’ Kuratoren die Frage stellt, wer eigentlich den Begriff der ‘Iranischen Gegenwartskunst’ und damit diese selbst erfunden hätte. Die Antwort auf diese Frage richtet sich auf eine die iranische Kunst repräsentierende Öffentlichkeit wie auch auf die Einforderung einer unabhängigen Öffentlichkeit im Iran selbst.

Eine Kunstszene hinter den Türen

"Ma‘sumeh", aus der Reihe „Es geht uns nicht gut“, von Zahra Jafarpoor
„Ma‘sumeh“, aus der Reihe „Es geht uns nicht gut“, von Zahra Jafarpoor

Das Ausbleiben von Reformen im kulturellen Bereich bedeutete für die bildenden wie auch für andere Künste den weiteren Rückzug aus einer all zu öffentlichen Präsenz: Die Kunstszene findet hinter den Türen statt. Die Konzentration auf einen privaten Markt, sowohl den nationalen wie den internationalen, ist nach wie vor der Rahmen, der Kunst wirtschaftlich ermöglicht – und birgt die Gefahr, die spezifischen Auseinandersetzungen in der Kunst aufzuweichen.

Sicherlich ist eine Lockerung des zensurbedingten Verhaltens spürbar. Seit Mitte 2013 hat eine Vielzahl neuer Galerien eröffnet, ein Prozess, dem merkbar weniger Hürden im Wege stehen. Ein direkter und transparenter Dialog zwischen staatlichen Institutionen und den Künstlern dagegen ist ausgeblieben und damit eine strukturelle Veränderung, die der Kunst eine andere gesellschaftliche Rolle hätte zuweisen können. Der Versuch, das Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst (TMOCA) in eine private Stiftung zu überführen und damit seine Arbeitsweise in mehr kommerzielle Bahnen zu bringen, wurde von Seiten der Künstler und Galeristen, die dagegen protestierten, verhindert.

Nicht zuletzt aus dem heraus lässt sich die Haltung der Künstler und Galeristen, die sich gegen den Transfer der ‘Tehran-Collection’ ausgesprochen haben, paradigmatisch sehen. Zum einen wurde dieses Kulturprogramm als aufoktroyiert empfunden, ähnlich dem Versuch, das TMOCA zu privatisieren, insofern Entscheidungen sich auf verwaltungstechnischen Ebenen abspielten. Andererseits spiegelt sich dadurch, dass der Dialog mit den Künstlern nicht angegangen wurde, in dem politisch angegangenen Kulturaustausch mit dem Westen der subtile Diskurs, der in der Kunst selbst reflektiert wird, kaum wider und erscheint als marginal. Zu sehr sind die Argumente der Soft-Power-Politik mit globalen Interessen verknüpft und einem Universalismus verpflichtet, als dass sie in ein Verhältnis zu den Thematisierungen in der Kunst finden könnten. Sicherlich ist das ein allgemeines Problem überall dort, wo sich ein technokratischer Apparat über die Reflexionen der Akteure in der Kunst legt. Konkret ist dies dort anzusiedeln, wo es in den Bildern der visuellen Kunst um Fragen der Identität und den damit im Iran verbundenen Implikationen hinsichtlich einer global geprägten Kunst geht.

‘Unsere neue Kunst’

In der Zeit vor Rouhani hat sich ein neo-orientalistischer Diskurs entwickelt, dessen kritische Qualität darin liegt, in der Auseinandersetzung mit Kunst identitätsspezifische Ansätze zu formulieren und in Absetzung dessen steht, Kunst als universales Ausdrucksmöglichkeit zu implantieren. Die Fragestellung ist nicht neu und begleitet die iranische Kultur, seit sie in ein Verhältnis zur ‘westlichen’ Moderne getreten ist. Die Problemstellung lässt sich mit einer Formulierung von Ruyin Pakbaz verdeutlichen: “Wir haben weder in der Entwicklung der Moderne noch innerhalb ihrer Kritik eine Rolle gespielt. Unsere ‘Neue Kunst’ wie auch die Reaktion auf sie erhalten Bedeutung im Zusammenhang mit unserem kulturellen Leben und dessen Widersprüchen.” (Ruyin Pakbaz, In Search of Identity )

"Nationales Eigentum nicht privatisieren" - Protest gegen die Privatisierung des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst
„Nationales Eigentum nicht privatisieren“ – Protest gegen die Privatisierung des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst

Zwei Momente werden hier angesprochen. Einmal das einer Moderne, die nicht originär als Iranisch oder Persisch zu bezeichnen ist und in ihrer Materialisation als Kunst nicht aus der eigenen Tradition hervorgegangen ist. Auf den Punkt gebracht, spielt Pakbaz auf jene surrogate europäische Abspaltung an, die den Kern dessen ausmacht, was Orientalismus darstellt. Zum anderen spricht er die nicht mehr wegzudiskutierende Faktizität der ‘neuen Kunst’ an, deren Legitimation er in den Kontext kulturellen Lebens und seiner Widersprüche stellt.

Und das ist der Kontext, der dazu geführt hat, der bildenden Kunst immer auch ihre Infragestellung beizufügen. Darin haben sich all die Brüche, Schwellen, das dauernd fortgesetzte Unzeitgemäße, Überlagerungen politischer, sozialer, kultureller und historischer Fragen aufrechterhalten können, die dann letztlich doch zu einer genuinen Identität geführt haben. Diese mag im Gegensatz zur Tradition als einer fix verankerten Vergangenheit stehen, ihre Qualität liegt aber in der Beweglichkeit. Mag sein, man könnte diesen Gegensatz selbst schon zu einer Art Tradition erklären und ihm damit das Kantige nehmen. Als ein bewusster Reflexionshorizont fungiert dieser Gegensatz deutlich komplexer und entzieht sich den möglichen Erstarrungen der Vereinnahmung durch eine technokratisch staatliche Kultur – wie auch angestrebten Kommerzialisierungen.

Die Schärfe dieser Fragestellung erhält darüber einen Katalysator, worin die Kunst an die Grenzen ihrer Legitimität gerät und sich in das Spannungsfeld von Global Art und iranischer Identität gebracht sieht. Es geht um eine geopolitische Selbstvergewisserung, die sich im weitesten Sinne im Kontext postkolonialer Diskussionen wiederfindet. Die Kunst als unhinterfragtes Handlungsinstrument aufzufassen, welches global gesehen seine Wirkung tut, verzerrt und reduziert die Kunst selbst zu kohäsiven Formalisierungen – zwar können in einem gewissen Sinne hier iranische Problemstellungen aufgenommen werden, die sich im Gegenzug in einer ‘westlichen Sprache’ artikulieren. Die Nichtanwendung dieser Sprache, also von Ausdrucksmitteln, die auf eine einheitliche syntaktische Oberfläche gebracht sind, unterläuft nicht ein allgemeines Verständnis, vielleicht das Bedürfnis nach Globalität, für das diversifizierte Streuung per se eine sie in Frage stellende Bedrohung darstellt.

Für die bildende Kunst im Iran heißt das tatsächlich, dass ein großes Zugeständnis an Freiheit ihrer Bedeutung einen öffentlichen Platz geben könnte, jenseits der Diaspora im Privaten wie auch der außerhalb des Iran. Ihre kritische Qualität wie auch ihre Bedeutung entfaltet die Kunst, wenn ihre gesellschaftliche Anerkennung sich nicht mehr in technokratisch organisierten Bahnen mit der Tendenz, die Kunst auf den privaten Sektor zu delegieren, bewegen muss. Das steht noch aus. Das – auch nach der Wiederwahl Rouhanis – als eine einfache Entwicklung zu sehen, die dem differenzierten Feld der bildenden Kunst gerecht werden könnte, wäre naiv.

  CHRISTOPH SEHL*

Christoph Sehl ist Autor und Kurator. Seine intensive Beschäftigung mit der Kunst im Iran geht zurück auf das Jahr 2009. Die Ausstellung ‘Tehran Mon Amour’ (2015) in München stellt darin eine konzentriertere Einlassung dar, die auf engen Kontakten mit Künstlern und Galeristen in Teheran beruht.

Weiterführende Links:

„Ambivalent wie die Moderne selbst“

Zwischen Anpassung und Authentizität

Zeitgenössische Kunst: Werke von Ghazaleh Hedayat