Liebesbrief an Teheran

Institutionen im Westen machen das, weil es einfach ist. Man muss nicht viel nachdenken – man behauptet, es handelt sich um Islamische Kunst und die Menschen denken sofort an den Nahen Osten und die Araber. Es ist jedenfalls viel einfacher, als zu sagen, es handelt sich um iranische oder andalusische Kunst, oder Kunst aus Zentralasien. Die Bezeichnung Islamische Kunst gibt Museen in der Region des Persischen Golfs zum Beispiel die Möglichkeit all diese Artefakte aus dem Iran, Nordafrika, Spanien – tatsächlich aus allen Regionen der Welt – zusammenzubringen, und damit ihre Museen zu füllen.
Welchen Stellenwert und welche Wirkung hat Kunst Ihrer Meinung nach innerhalb der iranischen Gesellschaft?
Wenn man die iranische Kultur kennt, dann weiß man, dass wir Kunst leben und geradezu atmen. Iranische Künstler nutzen visuelle Kunst, um damit bestimmte Probleme zu thematisieren, wie alle Künstler auf der Welt. Dichter wie Khayyam, Hafiz, Ferdowsi – das sind Menschen gewesen, die unglaublich kritisch zu ihrer Umwelt standen, die Veränderungen angestoßen und die iranische Identität erforscht haben.
Zeitgenössische iranische Künstler – egal ob jung oder alt – erhalten diese Flamme am Leben und führen diese jahrhundertelange Tradition weiter. Iranische Künstler sind in der Lage, sich trotz all der herrschenden Restriktionen, insbesondere wenn es um sensible Themen geht, auszudrücken. Viele Lieder werden im Sinne dieser vergangenen Traditionen gesungen. Es handelt sich nicht um Kompositionen moderner Künstler, vielmehr singen einige junge iranische Musiker Verse von Rumi, Khayyam, Hafiz und anderen. Sie benutzen diese als Sprachrohr, um gegenwärtige Missstände anzuprangern.
Man muss nicht seinen eigenen Protest verbalisieren, sondern es ist möglich, sich durch den Dichter Hafiz auszudrücken. Ich finde es sehr interessant zu erleben, dass diese Gedichte auch heute immer noch Relevanz haben, abgesehen von der Tatsache das sie wunderschön sind, wenn auch in einem völlig anderen Kontext, vor langer Zeit verfasst wurden.

O-Hum ist eine der ersten Rockbands, die in ihren Songs die Verse des iranischen Dichters Hafiz verwenden und darin u.a. ihr Unbehagen mit den politischen und gesellschaftlichen Konventionen in der Islamischen Republik ausdrücken
O-Hum ist eine der ersten Rockbands, die in ihren Songs die Verse des iranischen Dichters Hafiz verwenden und darin u.a. ihr Unbehagen mit den politischen und gesellschaftlichen Konventionen in der Islamischen Republik ausdrücken

 
Man kann den Iranern keine Restriktionen aufbürden. Der Westen hat uns für Gott weiß wie lange Sanktionen auferlegt. Wenn es einem anderen Land so ergangen wäre, zum Beispiel in Europa, es wäre wohl nach einer Weile zusammengebrochen. Aber der Iran steht seit der Revolution seit fast 40 Jahren auf eigenen Füßen. Jeder dachte nach der Revolution, die Filmindustrie geht unter, wie können die Leute dort weiter Filme machen mit all diesen Einschränkungen? Nichtsdestotrotz hatten wir viele kreative Köpfe wie Abbas Kiarostami und andere Berühmtheiten. Wir wissen wie wir unsere Anliegen transportieren müssen und dabei trotzdem unseren Kopf auf den Schultern tragen können.
Ihre erste Novelle wurde 2016 veröffentlicht. Worum geht es in „Coming Down Again“?
„Coming Down Again“ war meine erste belletristische Arbeit. Die Erzählung spielt in Teheran. Es geht darin um einen Teenager, der sich einen Sommer lang furchtbar gelangweilt fühlt. Er lebt natürlich bei seinen Eltern und weiß nichts wirklich mit sich anzufangen – abgesehen von der Liebe zu seiner Gitarre und zum Rock ’n‘ Roll. Er sitzt also den ganzen Tag vor dem Fernseher und wartet darauf, dass seine Lieblingsbands gezeigt werden. Sein großer Traum ist es, nach London zu gehen, eine Rock ’n‘ Roll Band zu gründen und gemeinsam mit seinen Helden zu jammen.
Die Erzählung ist wie ein Tagebuch geschrieben – alles ist in der ersten Person verfasst und hat keinen Plot, es handelt sich mehr um eine atmosphärische Erzählung. Der Grund dafür ist, mir lag daran mehr als alles andere, die Stimmung von Langeweile, Unruhe, Hoffnungslosigkeit und Liebeskummer einzufangen. Es ist auch ein Liebesbrief an Teheran, der meine Liebes- und Hassbeziehung zu dieser Stadt erkundet. Ich liebe sie mehr als andere, aber es gibt natürlich auch Aspekte, die mich beunruhigen. Es geht darin also eher darum, eine Stimmung oder Emotion zu beschreiben, als eine Art lineare Geschichte zu erzählen. Dazu habe ich mich immer mehr hingezogen gefühlt.
Wenn ich mir die vielen Bücher in meinem Regal anschaue, kann ich mich bei manchen gar nicht mehr richtig erinnern, worum es in ihnen wirklich ging – einige Stellen sind noch da, aber der genaue Handlungsverlauf ist in mir inzwischen verpufft. Doch dann gibt es wieder andere Bücher ohne Handlungsstrang, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind. Sie haben bei mir tiefe Eindrücke hinterlassen, Stimmungen eingefangen, die bleiben und an die man sich bis heute erinnert. Ich wollte einfach genau das tun.♦
Das Interview führte Melanie Christina Mohr.
© Qantara
Zur Person: Joobin Bekhrad ist Gründer und Herausgeber von „Reorient“, einem Online-Magazin für zeitgenössische Kunst aus dem Nahen Osten. Er ist außerdem der Autor einer Übersetzung von Omar Khayyams „Robaiyat“ – einem Gedichtband, sowie einer Sammlung von Geschichten und Essays. 2015 wurde ihm der “International Award for Art Criticism” vom Royal College of Art in London verliehen.

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