Gemeinsam für mehr Menschenwürde

Seit über fünf Jahren kooperiert die Berliner Lebenshilfe, ein Selbsthilfe-Verbund zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Beeinträchtigungen, mit Einrichtungen für behinderte Menschen im Iran. Im Zuge dieses Erfahrungsaustausches, der auf gegenseitigen Besuchen beruht, sind im Iran bereits über 60 Wohngemeinschaften für Menschen mit Beeinträchtigungen entstanden. Alke Wierth sprach über das Austauschprojekt mit den beiden Initiatoren Abbas Djalilehvand und Jürgen Schwarz*.
Iran Journal: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen der Lebenshilfe Berlin und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen im Iran?
Abbas Djalilehvand: Ausgangspunkt war eine Reise in die Türkei, die Jürgen Schwarz und ich 2013 mit einem internationalen Bildungsinstitut unternommen haben, um zu erfahren, wie das Leben von Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen in Istanbul ist. Wir haben uns dort verschiedene Einrichtungen angesehen, und als wir zurückkamen, ging uns das nicht mehr aus dem Kopf. Damals begannen wir über ausländische Kooperationen nachzudenken. Jürgen dachte an die Türkei, ein anderer Kollege schlug Jordanien als Partnerland vor, und mir fiel auf, dass ich überhaupt keine Ahnung davon hatte, wie Menschen mit Beeinträchtigungen im Iran leben.
Sie stammen selbst aus dem Iran?
AD: Ja, aber ich lebte zu dem Zeitpunkt bereits viele Jahre in Deutschland.
Jürgen Schwarz: Unser damaliger Geschäftsführer, dem wir ein Konzept vorgelegt hatten, hat sich dann für die Kooperation mit dem Iran entschieden.
Warum Iran?
JS: Er fand das einfach am Spannendsten. So hat er das begründet!
AD: Ich hatte damals zu recherchieren begonnen, über Internet und über Bekannte, und dann hat er mich auf eine Dienstreise in den Iran geschickt, um vor Ort zu gucken, was wir dort tun könnten. Es war erstmal gar nicht einfach, einen Zuständigen zu finden.

Eine fünfköpfige Delegation aus dem Iran besuchte im September 2018 die Lebenshilfe Berlin
Eine fünfköpfige Delegation aus dem Iran besuchte im September 2018 die Lebenshilfe Berlin

 
Wer ist denn zuständig?
AD: Es gibt eine Organisation namens Behzisti, die quasi für alles im Bereich Soziales und Gesundheit zuständig ist. Das ist eine Unterorganisation des Ministeriums für Arbeit und Soziales, also eine staatliche Organisation.
JS: Wir sind dann in den Iran geflogen, um mit dem zuständigen Abteilungsleiter dieser Organisation zu besprechen, in welchem Bereich wir zusammenarbeiten können. Grundlage einer Zusammenarbeit war für uns die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen von 2006, die auch der Iran ratifiziert hat.
AD: Wir haben uns dann auch einige Einrichtungen im Iran ansehen können. Als wir gesehen haben, wie die Menschen dort wohnen, haben wir uns entschlossen, in dem Themenbereich Wohnen anzuknüpfen. Denn wir hatten beide den Eindruck, dass da etwas verändert werden muss.
 Warum?
AD: Die Wohnsituation war nach unseren Maßstäben verbesserungsfähig ..
JS: .. während es etwa im Bereich der Tagesstruktur, also Bildungs- oder der Beschäftigungsangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen, gute Projekte gab.
AD: Aber die Menschen wohnten teils in sehr großen Schlafsälen, ohne jede Unterscheidung nach Art ihrer Beeinträchtigung: Lernbehinderte, geistig Behinderte, psychisch Kranke, Blinde, schwerst Mehrfachbehinderte lebten nebeneinander in Hallen mit 60 bis 120 Betten.
JS: Und das haben wir damals in vielen Einrichtungen gesehen. Übrigens, nur um das klarzustellen: auch bei unserer Reise in der Türkei.
AD: Und auch im Nachkriegsdeutschland sahen Einrichtungen noch nicht anders aus.
Waren das alles staatliche Einrichtungen, die Sie im Iran besichtigt haben?
JS: Ja. Unser Informationsstand damals war der, dass es nur staatliche Einrichtungen gibt. Das stimmt nicht ganz, wie wir später gesehen haben: Es gibt private Einrichtungen mit einem teils ausgezeichneten Standard, die aber nur wohlhabenden Leuten offenstehen.
AD: Auch im Iran leben viele Menschen mit Beeinträchtigungen mit und in ihren Familien. In den staatlichen Einrichtungen leben vor allem Menschen, die keine Familien haben oder von diesen allein gelassen wurden – Menschen, die auf der Straße leben müssten, wenn es diese Einrichtungen nicht gäbe.
Was konnte die Lebenshilfe tun?
Fortsetzung auf Seite 2