Häftlinge als Druckmittel und Tauschobjekt

Politische Geiselnahmen und der Einsatz von Häftlingen als Druckmittel und Tauschobjekt sind dem Iran also keineswegs fremd. Dennoch stellt die Inhaftierung der  Forscher eine neue Dimension dar. Sie fällt mitten in den erneuten Konflikt um das Atomabkommen, der seit Mai 2018 zu einer Eskalation der Spannungen geführt hat. Über die Gründe der Festnahmen kann man nur spekulieren, doch liegt der Verdacht nahe, dass sie politisch motiviert sind.
„Es besteht insofern eine neue Dimension, dass vermehrt Fälle zu beobachten sind, die Forscherinnen betreffen, die nicht Doppelstaatler sind und noch dazu aus Ländern stammen, die eigentlich gute Beziehungen mit dem Iran pflegen, wie Frankreich und Australien“, sagt ein deutscher Islamwissenschaftler, der erst im September zur Forschung im Iran war und anonym bleiben will. Er vermutet weniger die Regierung, als die Revolutionsgarden hinter den Festnahmen.

Nazanin Zaghari-Ratcliffe
Nazanin Zaghari-Ratcliffe

 
Auch andere Experten vermuten, dass Hardliner in Justiz und Geheimdienst damit die Verhandlungen mit dem Westen hintertreiben wollen. Konservative wie Justizchef Ebrahim Raisi lehnen die auf Dialog und Ausgleich bedachte Politik von Präsident Hassan Rouhani entschieden ab und setzen auf eine Eskalation mit dem Westen. Gut möglich, dass sie mit der Festnahme von Adelkhah und Marchal die Gespräche mit Paris über die Rettung des Atomabkommens torpedieren wollten.
Neben den Forschern sitzt auch die britisch-iranische Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe in Evin, die für die Medienstiftung Thomson Reuters arbeitete. Sie wurde bei einem Familienbesuch festgenommen und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Zudem wurde der „New York Times“-Korrespondent Thomas Erdbrink monatelang an der Ausreise gehindert, wie seine Zeitung im Juni öffentlich machte. Bei ausländischen Journalisten sorgte dies für erhebliche Verunsicherung.
Vier Deutsche in Haft
Wie viele westliche Staatsbürger insgesamt im Iran inhaftiert sind, ist unklar. Die bekannten Fälle gelten nur als Spitze des Eisbergs. Ein Journalist, der bis zum Frühjahr in Teheran gelebt hat, berichtet, westliche Diplomaten würden privat von einer Vielzahl an Fällen sprechen, über die nicht berichtet wird in der Hoffnung, in aller Stille einen Deal erreichen zu können. Auch vier Deutsche sind laut dem Auswärtigen Amt in Haft, doch sind die Hintergründe nicht bekannt.
Den deutschen Islamwissenschaftler, der im September zu Recherchen im Iran war, haben die Festnahmen der Kollegen verunsichert. Er habe Wert darauf gelegt, mit einer offiziellen Einladung des Bildungsministeriums einzureisen, um eine gewisse Sicherheit zu haben, sagt er. Wegen der Festnahmen habe er auf ursprünglich geplante Interviews verzichtet. Als er am Flughafen seinen Pass zurückbekommen habe und ausreisen konnte, sei er sehr erleichtert gewesen.
Bei Forschungsreisen rät er derzeit zur Vorsicht. „Jeder muss sich im Moment bewusst sein, dass man sich auf ein gewisses Risiko und ein Spiel einlässt, dessen Regeln man nicht kennt“, sagt der Wissenschaftler. „Es besteht ein nicht unerhebliches Risiko, zum Spielball größerer geopolitischer Verstrickungen zu werden.“ Für Moore-Gilbert und die anderen verheißt das nichts Gutes. Ihre Freiheit hängt wohl nun eng mit dem weiteren Verlauf des Atomstreits zusammen.
ULRICH VON SCHWERIN
© Qantara

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