Schlechte Zeiten für iranische ArbeiterInnen
Geringe Löhne, lange Arbeitszeiten und unsichere Arbeitsplätze: Auch im Jahr 2016 kämpfen viele iranische ArbeiterInnen ums nackte Überleben. Eine Besserung sei nicht in Sicht, so die Einschätzung eines Arbeiteraktivisten, der nach Deutschland geflohen ist.„Wenn einem das Leben und Überleben unmöglich gemacht wird, kann man nichts anderes tun, als die Flucht zu ergreifen.“ Das sagt der Iraner Ardavan, der seit Herbst 2015 mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft wohnt. Er sah sich gezwungen, sein Land zu verlassen, nachdem er wegen seiner politischen Aktivitäten ins Visier des iranischen Sicherheitsapparats geraten war. Ardavan hatte versucht, in einer Schuhfabrik im Süden Teherans eine unabhängige Arbeitnehmervertretung ins Leben zu rufen. Unter anderem habe er Flyer mit Forderungen nach Lohnerhöhungen verteilt, berichtet der Geflüchtete im Gespräch mit Iran Journal. „Noch am selben Abend stand die Polizei vor meiner Tür und ich verbrachte vier Tage im Gefängnis. Das war das zweite Mal innerhalb eines Monats, dass ich verhaftet wurde. Danach verließen wir den Iran“, erzählt der 44-Jährige.
„Miserable Löhne“

Die Lebenssituation iranischer ArbeiterInnen sei auch ihm Jahr 2016 „geprägt von Überarbeitung und miserablen Löhnen“, beschreibt Ardavan die Lage im islamischen Gottesstaat. Für den kürzlich um 14 Prozent angehobenen Mindestlohn, den 85 Prozent der iranischen Arbeiterschaft nun erhalten, hat der ehemalige Fabrikarbeiter nur Spott übrig. „Monatlich 235 Euro reichen auch im Iran für die meisten Familien zum Überleben nicht aus“, sagt er. Auch der iranische Staat sieht das so: Offiziell liegt die Armutsgrenze einer vierköpfigen Familie bei 865 Euro im Monat. Laut dem präsidialen Zentrum für statistische Forschung und Bildung des Iran sind die Mindestausgaben einer fünfköpfigen Familie in Teheran mindestens fünf Mal höher als der festgelegte Mindestlohn. Aktuell seien rund 2,4 Millionen ArbeiterInnen im Iran prekär beschäftigt, war jüngst auf dem iranischen Nachrichtenportal Mehrnews zu lesen. Der Lohn, den sie erhalten, könne die Lebenshaltungskosten kaum decken, zudem seien sie stets von Arbeitslosigkeit bedroht.
Drohende Schließungen
Wie unsicher die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist, zeigen Zahlen, die die konservative Zeitung Kayhan vor Kurzem veröffentlichte. Ihren Angaben zufolge wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren 7.000 Fabriken mit je 50 und mehr MitarbeiterInnen geschlossen. Jüngstes Beispiel einer drohenden Schließung ist die Fliesenfabrik Niloo in der zentraliranischen Stadt Isfahan, die in den vergangenen 39 Jahren Tausende Arbeitskräfte beschäftigte. Seit einem halben Jahr warten die ArbeiterInnen dort vergeblich auf ihren Lohn. Dass Niloo, seit einiger Zeit in privater Hand, die Tore dicht macht, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Schuld sieht die Belegschaft in der „Inkompetenz“ der neuen Fabrikbosse. Diese hätten die Fabrik ruiniert, zitiert das Nachrichtenportal Tasnim News die Beschäftigten.
Doch nicht nur Fabrikschließungen kosten iranische ArbeiterInnen den Job: Ein großes Problem sei die Befristung von Arbeitsverträgen, sagt Ali Rastgoo, der Vorsitzende der größten staatlichen Arbeiterorganisation des Iran Khaneye Kargar (Haus der Arbeiter) in der Region Fars. Diese seien häufig nur sechs Monate gültig. Manchmal würden Arbeitsverträge gar nur für die Dauer einer Woche geschlossen, erklärte Rastgoo auf dem Webportal Etehadeh.
Kämpfende Gewerkschaften fehlen
„Wer sich gegen solche Zustände ernsthaft wehrt, muss auch damit rechnen, ernsthaft verfolgt zu werden“, sagt der Flüchtling Ardavan. Von Khaneye Kargar hält er wenig: „Die Organisation ist vom Staat offiziell anerkannt – sie ist ein Werkzeug des Arbeitsministers.“ Das sage schon alles, so Ardavans Einschätzung: „Hier und da setzt sie sich für die Arbeiter ein, aber alles in allem ist Khaneye Kargar nur eine Alibi-Arbeiterorganisation ohne Biss.“ Viel mehr fühlt sich Ardavan von dem Arbeiteraktivisten Jafar Azimzadeh und dem Aktivisten des iranischen Lehrerverbandes Esmail Abdi vertreten. Beide sitzen im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Sie wollen ab dem 1. Mai, dem internationalen Tag der Arbeit, aus Protest gegen die Situation der iranischen ArbeiterInnen in den Hungerstreik treten. In einem Statement wenden sie sich gegen niedrige Löhne, unregelmäßige Gehaltszahlungen, kurze Arbeitsverträge und zu lange Arbeitszeiten.
Auch ein Grund für die angekündigte Nahrungsmittelverweigerung Azimzadehs und Abdis: das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Etwa 250 anerkannte kleinere und größere Arbeitnehmerorganisationen, sogenannte Shorahaye Eslamiye Kar (Islamische Arbeitsräte), existieren derzeit im Iran. Unabhängig ist keine. Zentrale Schaltstelle dieser Räte ist Khaneye Kargar. In den vergangenen Jahren gab es zwar immer wieder Bestrebungen, freie Gewerkschaften zu gründen, doch die AktivistInnen wurden verhaftet, manche auch gefoltert. Ein Extrembeispiel ist Mansur Ossanlou, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft der Teheraner Verkehrsbetriebe: Ihm wurde in der Untersuchungshaft die Zunge geschlitzt und damit gedroht, sie ganz abzuschneiden, sollte er je wieder laut protestieren. Auch seine Nachfolger gerieten ins Visier der Sicherheitskräfte.
„Solange Menschen, die für ArbeiterInnenrechte kämpfen, inhaftiert, gefoltert oder, wie ich, ins Exil getrieben werden, sehe ich keine Besserung der Lage der ArbeiterInnen in meiner Heimat“, sagt Ardavan. Er hoffe aber, dass die ArbeiterInnen den Staat am 1. Mai durch spontane Massenproteste überraschten.