Halal-Internet und seine Auswirkung auf soziale Bewegungen

Das Internet hat sich in den vergangenen Jahren als das Kommunikationsmittel in Iran etabliert, das trotz zahlreicher Hürden noch den spärlichen Nachrichtenfluss aus dem abgeschotteten Land aufrechterhielt. Nun kündigt die Regierung an, das Netz, so wie wir es kennen, abschalten, und an dessen statt ein „nationales“ bzw. „reines“ (Halal) Internet einführen zu wollen. Welche Implikationen das für die Opposition habe kann, erörtert Elham Gheytanchi.Ob die Grüne Bewegung oder die iranische Frauenbewegung: Menschen, die sich für soziale und politische Rechte in Iran einsetzen, nutzen alle das Internet, um ihre Kräfte zu organisieren, ihre Zusammenkünfte zu planen oder Nachrichten über ihre Situation und die der verhafteten oder verschollenen Mitstreiter zu verbreiten.
Internet und mobile Technologien sind zu einem überlebenswichtigen Teil dynamischer Bewegungen geworden. Besonders wenn sie taktisch und strategisch gewaltlos agieren. Deshalb sind diese Bewegungen darauf angewiesen, in privater Atmosphäre, mit hoher Geschwindigkeit, in weiten Räumen und mit hoher Sicherheit zu kommunizieren, um fortbestehen zu können.
Der iranische Staat rüstet aber nun – wie alle totalitären Systeme – zum Krieg im virtuellen Raum auf, um oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Seit Juni 2009, als Millionen auf die Straßen kamen, um gegen die umstrittenen Wahlergebnisse zu protestieren, haben die Revolutionsgarden ein Budget über 500 Mio. Dollar für diesen Krieg zugewiesen bekommen und Gerdab (Zentrale zur Bekämpfung organisierter Kriminalität unter der Aufsicht von Sepahe Pasdaran, [Revolutionsgarden], www.gerdab.ir) gegründet. Zuletzt haben staatliche Stellen von der Einführung eines „Halal-Internets“ berichtet, womit ein islamisches Internet gemeint ist, das die negativen Einflüsse des World Wide Web bekämpfen möchte.

‎„Auf Grundlage der Gesetze der Islamischen Republik Iran ist der ‎Zugriff auf diese Seite nicht erlaubt. Wenn diese Seite fälschlicherweise gefiltert ‎wurde, senden Sie die Adresse ein.“‎

 
Um seine Ziele zu erreichen setzt der iranische Staat auch Computer-Hacker ein. Am 23. März hat Comodo, eine führende Companie für Internetsicherheit zugegeben, durch eine Person mit einem iranischen IP, dem es gelungen war, neun SSL-Sicherheitszertifikate zu ergattern, gehackt worden zu sein.
Comodo hat zwar versichert, dass die Zertifikate innerhalb weniger Stunden ihre Gültigkeit verloren und somit für Hacker unbrauchbar geworden sind, um gefälschte Internetseiten zu bauen, einen Pseudoverkehr zu erzeugen (künstlich erzeugte Seitenaufrufe, die den Zugang zu einer Homepage verhindern, Anm.d.Red.), oder an Informationen der Internetnutzer zu gelangen.
„Aufbau neuer und gefälschter Internetseiten, neuer Bewegungen oder Parallel-Organisationen, um potentielle Anhänger der Opposition zu vereinnahmen.“ Dennoch hat der Hacker vorgeführt, welche Möglichkeiten existieren. Die Person, die sich selbst später unter dem Pseudonym „Hacker von Comodo“ auf der Seite www.pastebin.com (Wiki) als einen 21 jährigen Studenten vorstellte, gab seine Tat als Racheakt für den Stuxnet-Wurm aus, der wiederum von USA und Israel zu Sabotagezwecken gegen die iranischen Atomanlagen programmiert worden sein soll. Er behauptete dort zudem, zu noch „größeren Schlägen“ fähig zu sein.
Comodo kann sicherlich weder die Identität des Hackers herausfinden, noch eine mögliche Beteiligung der iranischen Regierung an solchen Angriffen nachweisen.
Aber die Aktion selbst trug die gleiche Handschrift, wie die neugegründete „Cyber-Polizei“ gegen eine „Samtene Revolution in Iran“ hinterlässt: Aufbau neuer und gefälschter Internetseiten, neuer Bewegungen oder Parallel-Organisationen (staatliche NGOs), um potentielle Anhänger (der Opposition) zu vereinnahmen. Eine Vorgehensweise, mit der die Regierung Aktivisten und potentielle Anhänger erkennungsdienstlich erfasst, verhaftet und schlussendlich mundtot macht.
Viele Aktivisten in Iran stellen ihre Internetverbindungen zu sozialen Netzwerken über VPN-Schnittstellen her, um staatliche Internet-Filter zu umgehen. Wenn der „Hacker von Comodo“ die Fähigkeit besitzt, Sicherheitszertifikate zu klauen, und damit eine Homepage nachzubauen, ist es auch möglich, an persönliche Informationen der Aktivisten zu kommen, ihre virtuellen Netzwerke zu unterwandern oder ihre VPN-Schnittstellen unbrauchbar zu machen.
„Die Verbreitung von Angst und Schrecken ist ein wirksames Mittel, um bestehende oder potentielle Proteste in der iranischen Gesellschaft zu unterdrücken.“Eine solche Maßnahme würde den Zugriff der Aktivisten auf soziale Netzwerke einschränken und ihre Verbindungen untereinander kappen. Das Erbeuten eines nur wenige Stunden gültigen Sicherheitszertifikats kann nicht als ernsthafte Bedrohung gelten. Es zeigt aber den Willen, die Richtung des Informationsflusses zu kontrollieren. Ein politischer oder sozialer Aktivist, der mit Hilfe des in Iran sehr beliebten Programms Skype kommuniziert, könnte demnach durch die Geheim- und Sicherheitsdienste abgehört werden.
Verhaftungen infolge solcher Geheimdienstoperationen können die Folge sein. Noch wichtiger in diesem „Cyber-Krieg“ ist aber die induzierte Angst und Einschüchterung, (die sich mit dem Wissen über solche Operationen verbreitet, Anm.d.Red.) und die den Staat als Sieger aus diesem Krieg hervorgehen lassen könnte.
Die Verbreitung von Angst und Schrecken ist ein wirksames Mittel, um bestehende oder potentielle Proteste in der iranischen Gesellschaft zu unterdrücken. Ein „Cyber-Angriff“ wie auf Comodo kann mit Leichtigkeit Angst verbreiten und zu vermehrter Selbstzensur führen. Wenn die Angst verinnerlicht wird und die staatlichen „Cyber-Krieger“ als fähig angesehen werden, führt es merklichen zu einer Drosselung des Aktionstempos sozialer Bewegungen.
Ohne die Möglichkeiten sicherer Kommunikation laufen Aktivisten Gefahr verhaftet, und soziale Bewegungen vollkommen niedergeschlagen zu werden. Wichtige Aktionen wie die Organisation von Demonstrationen, (Wahl-)Boykott-Maßnahmen, weltweite Berichterstattung über staatliche Übergriffe, oder Initiierung von globalen Kampagnen für die Einhaltung der Menschenrechte, sind ohne sichere und schnelle Internetkommunikation unmöglich.
Die Bluffs des „Hackers von Comodo“ erinnern an die Strategie der iranischen Regierung: Großaufschneiden über die eigenen Maßnahmen, um Angst und Schrecken zu verbreiten, mit der Pose der Gewaltandrohung zur Durchsetzung eigener unterdrückerischer Ziele. Damit, so ihr gemeinsamer Wunsch, soll ein erneutes Kräftesammeln der Opposition verhindert werden.