Blogger frei, Cafés geschlossen

Völlig überraschend ist die iranische Blogging-Koryphäe Hossein Derakhshan vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Während einige IranerInnen über diese Nachricht erfreut sind, sind andere wütend. Mehr Einigkeit herrscht unter den iranischen Internet-User über Sinn und Unsinn der Schließung mehrerer Cafés. Die MoralhüterInnen empfinden die Cafés als „Sündenpfuhl“.

Irans berühmtester und vielleicht umstrittenster Blogger, Hossein Derakhshan, ist vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Der Mann, der im Iran das Bloggen populär gemacht hat, schrieb auf Twitter: „Begnadigt von Ayatollah Khamenei. Nach sechs Jahren endlich aus dem Gefängnis befreit.“Im Iran arbeitete Derakhshan bei einer Zeitung als Technik-Kolumnist. Als die Zeitung geschlossen wurde, zog er im Jahr 2000 nach Kanada und fand heraus, wie BloggerInnen auch auf Persisch bloggen können. Für seine Anleitung zum Erstellen von Webseiten wurde Derakhshan sogar von internationalen Medien gelobt. Er galt Anfang der 2000er Jahre als der Verantwortliche dafür, dass Tausende IranerInnen selbst zu bloggen anfingen.
Für die Mullahs in Teheran wurde „HoDer“ jedoch immer mehr zum roten Tuch. Der Blogger kritisierte das politische System und reiste im Jahr 2006 schließlich auch noch nach Israel – ein Tabu im islamischen Gottesstaat. Schließlich wurde die Sehnsucht nach der Heimat aber zu groß: Derakhshan wandte sich in seinen Blogbeiträgen plötzlich dem Regime zu und kritisierte die iranische Opposition. Das bewahrte ihn jedoch nicht davor, vom iranischen Staat weiterhin als Feind betrachtet zu werden: Kurz nach seiner Rückkehr nach Teheran im Herbst 2008 wurde Derakhshan in Gewahrsam genommen und wegen „Verschwörung, Propaganda, Blasphemie und dem Betrieb einer obszönen Webseite“ zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.
Gemischte Reaktionen im Netz
Auf sozialen Netzwerken und in den Kommentarspalten diverser Webseiten hat Derakhshans Begnadigung viele Reaktionen hervorgerufen. Zahlreiche iranische Internet-UserInnen begrüßen seine Freilassung. „Derakhshan ist der erste, der uns die Macht des Internets demonstriert hat. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wäre das Internet im Iran bei weitem langsamer gewachsen“, schreibt beispielsweise ImanKarjoo auf Twitter. Manche bedanken sich sogar beim geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei: „Das sind fantastische Neuigkeiten. Mein Respekt gilt Khamenei für diese noble Geste“, so Twitterer AmitTut. Ein anderer User, TohidAzizi, schreibt: „Happy Freiheit! Danke, Khamenei.“

Der Blogger Hossein Derakhshan
Der Blogger Hossein Derakhshan

„Ich freue mich unheimlich für Derakhshan und seine Familie. Es ist mir egal, was er womöglich gesagt und getan hat, um freizukommen“, schreibt auch Siamak. Doch nicht jeder ist Derakhshan wohlgesonnen. Manche nehmen ihm seinen vermeintlichen politischen Wandel übel: „Wer bisher Zweifel daran hatte, dass Derakhshan ein Verräter ist, weiß es spätestens jetzt nach seiner Begnadigung besser“, schreibt ihnd4, ein User der Webseite Balatarin. „Wahrscheinlich war er von Anfang an schon ein Spitzel Khameneis“, glaubt User Ada-wongsogar. Twitterer dshepherd1985 ist der Überzeugung, dass Derakhshan bald zu einem Instrument konservativer Meinungsmacher werden wird: „Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Mann anfängt, für Kayhan und PressTV zu arbeiten.“ Auch Amir Javadi kann seine negativen Gefühle für „HoDer“ nicht verbergen: „Dieser Mensch ekelt mich einfach nur an. Dass er jetzt begnadigt worden ist, nervt mich ungemein.“
Während sich die einen über Derakhshans vermeintliche Nähe zum konservativen Lager ärgern, freuen sich andere: „Gott sei Dank ist Derakhshan frei. Nun, seit er sich zu einem Anhänger des Systems entwickelt hat, ist er nicht nur geistig frei, sondern auch körperlich“, schreibt Shariati, ein User des konservativen Nachrichtenportals Alef. „Hossein hat sich immer vorbildlich verhalten und nicht zugelassen, dass die Konterrevolutionäre seine Inhaftierung für ihre Zwecke instrumentalisieren“, lobt ihn ein weiterer Alef-User mit dem Pseudonym YekDoost. Doch nicht jeder Konservative mag Derakhshans Wandlung vom Regimekritiker zum Regimeanhänger trauen. So schreibt Amir unter einem Beitrag über die Freilassung des Bloggers auf Weblognews: „Wenn dieser Typ sich nach seiner Freilassung erneut strafbar macht, dann sollte man ihn diesmal zu lebenslanger Haft verurteilen.“
Islamische Republik geht gegen Cafés vor
Teherans Polizei hat in der vergangenen Woche 20 der beliebten Cafés, in denen junge IranerInnen gerne ihre Freizeit verbringen, schließen lassen. Die Gründe: Angeblich sollen sich Frauen dort nicht ausreichend verschleiern, außerdem geraucht haben, auch hätten dort unverheiratete Männer und Frauen miteinander Kontakt, was im Gottesstaat Iran gesetzlich verboten ist.
Seit der Schließung der Coffeeshops diskutieren viele iranische Internet-UserInnen über Sinn und Unsinn der polizeilichen Maßnahme. Jene, die die Schließungen gutheißen, sind dabei in der Unterzahl und den eher konservativ-traditionellen Bevölkerungsgruppen zuzuordnen: „Es ist doch ganz einfach. Unverheirateten Frauen und Männer ist es nicht erlaubt, sich in der Öffentlichkeit zusammen zu zeigen. Und wenn sie es doch tun, müssen sie damit rechnen, dass unsere Gesetzeshüter einschreiten. Jeder wahre Moslem muss die Schließungen begrüßen“, schreibt ein anonymer User des konservativen Nachrichtenportals Asriran. Ein anderer User der Webseite warnt vor negativen Folgen für die Gesellschaft, falls die Polizei keine Konsequenzen ziehe: „Viele IranerInnen sind extrem verantwortungslos. Wenn die Polizei nicht härter durchgreift, verlieren wir die Kontrolle über unsere Frauen und Männer.“
Die Moralhüter im Gottesstaat empfinden die Cafes als "Sündenpfuhl" - Foto: baharnews.ir
Ein „Sündenpfuhl“ in Teheran – Foto: baharnews.ir

Deutlich lauter sind jedoch die Stimmen, die die Schließungen verurteilen. So schreibt ein anonymer User der Nachrichtenseite Tabnak: „Die Jugend tut mir einfach nur leid. Jede erdenkliche Freizeitmöglichkeit wird ihr genommen.“ Ähnlich äußert sich Peyman auf der Facebookseite IranWire: „Ihr schließt die Coffeeshops, ihr schließt die Bars. Warum bringt ihr uns nicht gleich um? Ist das der Dank Rouhanis dafür, dass wir ihn gewählt haben?“ Auch Maryam ist von dem moderaten Präsidenten enttäuscht. Sie schreibt: „Wie soll das weitergehen? Die Situation ist ja fast noch schlimmer als zu Ahmadinedschads Regierungszeit. Es wird immer klarer, dass es nicht die Regierung ist, die die eigentliche Macht im Iran hat.“ Ein anderer Internet-Nutzer beweist auf der Webseite Fararu Ironie: „Wahrscheinlich müssen wir uns jetzt sogar bei denen da oben dafür bedanken. Denn wie wir alle wissen, sind Cafés ja die Orte, von denen Korruption und Säureangriffe ausgehen.“

Arbeitsmarktpolitisches Eigentor?

Manche Internet-NutzerInnen kritisieren die Schließungen aus einem anderen Blickwinkel – etwa Fararu-Nutzer Yazdtabar. Er schreibt: „Es ist unglaublich verantwortungslos, in der derzeitigen schwierigen wirtschaftlichen Lage den CafébesitzerInnen ihre Lebensgrundlage zu nehmen. Was können denn die InhaberInnen dafür, dass ihre KundInnen sich nicht den Gesetzen des Staates unterwerfen wollen?“ Ein anderer anonymer User pflichtet ihm bei: „Wir haben doch schon genug Arbeitslose. Durch die Maßnahme der Polizei sind es jetzt noch ein paar mehr. Das ist eine Schande.“
Doch nicht nur die LadeninhaberInnen sind von den Schließungen betroffen. Daran erinnert Radmehr auf Tabnak: „Wir dürfen nicht vergessen, dass viele junge Leute in diesen Cafés beschäftigt waren und jetzt ohne Job dastehen.“
Konservative Bedenken
Selbst religiöse Internet-UserInnen können sich nicht alle mit den Schließungen der Cafés anfreunden. So schreibt AliJB auf Asriran: „Wenn junge Frauen und Männer sich in den Coffeeshops treffen, kann man sie zumindest im Auge behalten. Wenn ihnen solche öffentlichen Treffpunkte genommen werden, treffen sie sich heimlich, was unsittlicher ist.“ Ein anderer anonymer User der Webseite stimmt ihm zu: „In Cafés werden zumindest rote Linien eingehalten, was aber möglicherweise nicht der Fall sein wird, wenn unverheiratete Männer und Frauen zueinander nachhause gehen.“
  JASHAR ERFANIAN